"Für mich war es ein Abenteuer"

Ein Stück deutscher Geschichte: Zischup-Reporterin Lena Bittner interviewt ihren Opa Jürgen Bittner zu seiner Flucht aus der DDR im Jahr 1961.  

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Jürgen Bittner mit seiner Cousine in der damaligen DDR Foto: privat
BZ: Wie alt warst du, als ihr geflohen seid?
Ich war acht Jahre alt, als wir geflohen sind.

BZ: Mit wem bist du damals geflohen?
Damals bin ich mit meinen Eltern zusammen geflohen.

BZ: Warum seid ihr geflohen?
Weil meine Eltern keine Wohnung in der DDR gefunden haben und wir immer noch bei meiner Großmutter gewohnt hatten. Mein Vater hatte meine Mutter einmal mit nach Westberlin genommen, als sie dann diese leuchtend helle und freundliche Stadt mit den ganzen Geschäften gesehen hatte, wollte sie nicht mehr in der tristen DDR leben.

BZ: Wie seid ihr geflohen?
In der Früh um drei Uhr wurde ich aufgeweckt und wurde in eine Schlafkabine eines Lkw gebracht. Mein Vater musste damals Schokolade nach Berlin fahren. Die Fahrt ging ungefähr fünf Stunden. Wir haben den Lkw auf einem Parkplatz abgestellt, dann sind wir zu einer U-Bahn-Station nach Ostberlin gelaufen. Vier lange Stunden sind wir dann nach West-Berlin gefahren.

BZ: Hat euch jemand bei der Flucht geholfen?
Nein, weil es gefährlich gewesen wäre, anderen Leuten von unserer Flucht zu erzählen. Mein Vater hat damals seinen Freunden zur Flucht verholfen und wusste deshalb, was zu tun war.

BZ: Wusstest du, dass ihr fliehen würdet?
Nein, meine Eltern haben es mir nicht erzählt, weil ich es sonst in der Schule hätte verraten können.

BZ: Wie hast du dich dabei gefühlt?
Für mich war es ein Abenteuer, in einem Lkw in eine große Stadt wie Berlin zu fahren. Als meine Mutter mir in Westberlin gesagt hat, dass wir nicht mehr zurückkehren, habe ich geweint.

BZ: Gab es etwas, das ihr beachten musstet, um nicht erwischt zu werden?
Die U-Bahn-Stationen wurden von der Polizei kontrolliert und es war sehr verdächtig, wenn große Familien mit viel Gepäck dort standen, eben wie Flüchtlinge, deshalb stand ich alleine mit meiner Mutter am Bahnhof und mein Vater 100 Meter weiter weg. Wir hatten keine Koffer dabei, sondern nur eine Handtasche meiner Mutter und eine Aktentasche meines Vaters.

BZ: Hattest du während beziehungsweise nach der Flucht Kontakt zu anderen Flüchtlingen?
In Westberlin mussten wir zwei Wochen in einem Flüchtlingslager verbringen, bevor wir nach Westdeutschland ausgeflogen wurden. Das Lager war damals voller Flüchtlinge. Eine Woche später wurde dann die Berliner Mauer gebaut, weil drei Millionen Flüchtlinge die DDR verlassen hatten.

BZ: Wie hast du dich danach zurechtgefunden?
In Westdeutschland waren wir wieder in einem Lager untergebracht, bis wir eine Wohnung gefunden hatten. Das empfand ich als gar nicht so schlecht, weil es viele Kinder zum Spielen gab. In der neuen Wohnung bin ich wieder in die Schule gegangen und habe neue Freunde gefunden. Meine Verwandten habe ich aber lange vermisst.

BZ: Was war im Westen anders als in deiner Zeit in der DDR?
Es gab mehr zu kaufen und die Häuser waren nicht so grau und trist. Und es stank nicht so nach Abgasen von den Trabis.

BZ: Musstest du irgendwen in der DDR zurücklassen?
Meine ganzen Schulfreunde, meine Verwandten und meine vertraute Umgebung.

BZ: Wie hast du die Nachricht vom Fall der Mauer 1989 erlebt?
Den Mauerfall habe ich über den Fernseher mitbekommen. Es war eine sehr große Freude und Erleichterung und wir sind direkt danach an Weihnachten in meine alte Heimat gefahren, um meine Verwandten zu besuchen.

BZ: Hattest du in deinem späteren Leben noch etwas mit deiner damaligen Flucht zu tun?
Ja, die Staatssicherheitsbehörde der DDR hat die DDR-Bürger überwacht und viele Dokumente angelegt. Nach dem Mauerfall durften sich die Bürger informieren, ob sie Stasi-Akten von einem angelegt hatte. Auch ich fragte an, ob es etwas über mich gab, und habe schließlich nach langer Zeit eine Akte über mich bekommen. Es war interessant zu lesen, wie die Stasi mich als Abiturienten beobachtet hatte.

BZ: Wie würdest du jetzt deine damalige Flucht einschätzen?
Ich hätte in der DDR nie die schulischen und beruflichen Möglichkeiten gehabt wie in Westdeutschland. Studieren durfte man in der DDR nur, wenn man nicht kritisch zur Regierung stand. Man musste sich unterordnen und nichts preisgeben. Die Freiheiten, die ich in Westdeutschland hatte, hätte ich in der DDR nie gehabt.
Schlagworte: Jürgen Bittner, Lena Bittner
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