"Wir haben Marmelade in der Erde vergraben"

Die Stunde der Fremden in St. Peter: Erna S. (89) erinnert sich im Interview mit ihrem Urenkel Noah Hoch an die französische Besatzung in ihrem Heimatdorf im Schwarzwald.  

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Erna S.  | Foto: privat
Erna S. Foto: privat
BZ: Wann hast du zum ersten Mal von den Soldaten gehört, die in euer Dorf kommen sollten? Was geschah dann?
Der Gemeindemelder ist abends durchs Dorf gelaufen, um die Bewohner unseres Dorfes zu informieren. Als er dann in unseren Ortsteil Ränke zu uns hinunter kam, musste er sich sehr anstrengen, überhaupt etwas zu sehen, denn ab 17 Uhr durfte kein Licht mehr brennen. Keiner sollte ja wissen, dass wir dort leben! Er klopfte also an unserer Tür und teilte uns mit, dass die Brücke in der Ränke gesprengt wird, damit kein Auto und niemand mehr durchkommt, da man französische Truppen erwarten würde.


BZ: Wie hast du auf diese Nachricht reagiert? Gab es Ängste oder vielleicht auch Neugier?
Wir haben Produkte wie Marmelade, Schmalzgläser, was eben ging, in der Erde vergraben, da wir enorme Angst hatten, dass die Soldaten unser Essen mitnehmen würden und wir selbst nichts mehr gehabt hätten. Ich war die Jüngste von insgesamt acht Geschwistern, da war mir vieles gar nicht bewusst, was passieren könnte.


BZ: Wie verlief die erste Begegnung mit den militärischen Besatzungen der Franzosen?
Die französischen Truppen merkten zwar, dass die Brücke, die sogenannte Holebruck zerstört war, fanden allerdings einen anderen Weg zu uns, nämlich quer durch die Wälder und Felder. Als wir sie dann von Weitem schon sahen, haben meine Eltern meine beiden älteren Schwestern im Haus versteckt, da wir wussten, dass Franzosen auch junge Damen verschleppen würden. Für mich galt zum Glück keine Gefahr, da ich zu diesem Zeitpunkt erst neun Jahre alt war. Sie kamen also an, aber wir verstanden sie nicht, da sie nur Französisch sprachen. Während des Versuchs zu kommunizieren, fiel einem der Soldaten eine Handgranate auf den Boden und ein Splitter der Granate landete im Gesicht der Tochter meiner ältesten Schwester. Die Verletzung blieb auch bis zum Tod sichtbar.

BZ: Haben die französischen Soldaten Dinge aus deinem Besitz entwendet?
Die Soldaten sind in unseren Hühnerstall gegangen und haben das ganze Geflügel getötet und alles mitgenommen. Wie wir erwartet haben, sind sie natürlich auch in unsere Stube gegangen und haben nach brauchbaren Lebensmitteln gesucht, die wir ja, Gott sei Dank, im Garten und ums Haus herum vergraben hatten. Sie sind dann aber doch leider in den Keller gegangen und haben den guten Wein und unseren Most mitgenommen.


BZ: Wie ging es dann weiter? Die Soldaten sind ja nicht nur zu euch gegangen, oder?
Ja natürlich, die Soldaten zogen dann weiter und vollbrachten ihre Taten im ganzen Dorf. Einige von ihnen ließen sich sogar in unserem Kloster nieder und blieben dort dann auch. Andere zogen über den Berg weiter nach Neustadt und haben Neustadt besetzt. Wir wurden im Laufe auch nicht weiter besetzt und wir lebten dann auch so weiter wie zuvor. Nach dem Krieg waren dann aber wieder überall französische Soldaten, die waren aber sehr nett zu uns allen. Das Einzige, was sie noch taten, war die Abholzung unserer Wälder. Bei uns unten in der Ränke und oben vom Potsdamer Platz bis zum Gschwing-Hof an der Platte war alles abgerodet.

BZ: Gibt es außer diesen doch sehr erschreckenden Erinnerungen noch andere Dinge, die dir einfallen?
Ja, denn 1944 wurde Glottertal bombardiert und eben eine dieser Bomben ging auch bei uns am Kandelberg hinunter. Das habe ich deutlich gehört, das war nämlich an einem Samstagmittag. An diesem Tag hatte ich noch meinen Kommunionsunterricht und da gab es einen großen Knall. Später habe ich erfahren, dass vier Personen der Familie D., die wir sehr gut kannten, ums Leben gekommen sind. Das hat mich sehr beschäftigt.


BZ: Wie ist dein Leben nach dem Krieg weiter gegangen?
Wir hatten ein gutes Leben mit unserer kleinen Landwirtschaft. Meine Eltern wurden beide sehr alt, das ist schön. Wir Kinder haben alle unsere eigene Familie gegründet. Meine Schwester und ich besuchen uns heute noch, so gut es geht, sie wohnt in Hammereisenbach.
Schlagworte: Noah Hoch, Erna S.
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