Berührende Inspiration

Eigentlich will ich an diesem kalten Sonntag im November 2022 einfach nur ein bisschen sprayen gehen. Doch das Sprayen soll nicht so verlaufen, wie vorgesehen. .  

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Dieses Graffiti hat Clara Schroers für...„Frauen, Leben, Freiheit“.  | Foto: Clara Schroers
Dieses Graffiti hat Clara Schroers für die Frauen im Iran angefertigt. Daneben sprühte sie groß die Worte: „Frauen, Leben, Freiheit“. Foto: Clara Schroers
Ich packe wie gewohnt meine Cans, mein Black Book und was ich sonst noch benötige und mache mich auf zu der Unterführung, an welcher ich heute mein Graffiti sprayen will. Dort angekommen packe ich meine Sachen aus und fange an zu sprayen. Während ich in meine Arbeit vertieft bin, bekomme ich nicht mit, wie eine Frau auf mich zu kommt. Ich bemerke ebenfalls nicht, wie sie mir eine kurze Zeit beim Sprayen zuschaut. Als ich gerade nach einer anderen Farbe greife, sehe ich sie und schon spricht sie mich an.

Sie sagt mir, dass sie es toll finde, dass ich als junges Mädchen meine eigene Kunst erstelle, und so kommen wir miteinander ins Gespräch. Im Laufe dessen erzählt sie mir, dass sie Amira (aus Gründen der Anonymität habe ich ihren Namen geändert) heißt und aus dem Iran kommt.

Sie fragt mich, ob es für mich möglich sei, etwas für sie zu sprayen. Da ich interessiert bin, was das sein könnte, und immer für neue Inspiration offen bin, sage ich ja.

Amira erklärt mir, dass es im Iran gerade die Proteste gebe für mehr Freiheit für Frauen. Sie fragt mich, ob ich die Wörter "Frauen, Leben, Freiheit" sprayen könne.

Ich finde das eine sehr gute Idee. Ich erkläre ihr, dass ich diesen Spruch natürlich hier jetzt einfach irgendwo an den Rand sprayen kann, dass dann jedoch niemand groß darauf aufmerksam wird. Oder ich entwerfe etwas und kann ihn dann so sprayen, dass die Leute ihn sehen. Dies findet sie eine sehr gute Idee und wir tauschen unsere Handynummern aus, damit ich ihr mein Ergebnis schicken kann. Sie ist mir sehr dankbar und erzählt mir daraufhin ihre Geschichte.

Amiras Eltern sind sehr strenge Muslime und deshalb strikt gegen die Demonstrationen im Iran. Sie erzählt mir, dass sie einst entführt wurde, da sie und ihr Mann gegen den Staat waren. Ihr Mann wurde nach langer Folter schlussendlich vor ihren Augen erhängt. Wo man ihn begraben oder hingebracht hat, weiß sie bis heute nicht.

In Gefangenschaft musste sie außerdem viele schreckliche Dinge mit ansehen. Sie wurde so stark gefoltert, dass sie nicht in der Lage war, zu laufen. Zu ihrem Glück konnte sie jedoch Kontakt zu ihrem Onkel aufnehmen und mit seiner Hilfe konnte sie aus der Gefangenschaft entkommen und nach Deutschland fliehen. In Deutschland bekam sie dann ihr Kind, mit welchem sie während der Gefangenschaft schwanger gewesen ist. "Inzwischen habe ich sogar mehrere kleine Enkelkinder!", erzählt sie mir stolz.

Amira erklärt mir außerdem, dass sie immer noch sehr vorsichtig sein muss, da die Männer, welche sie damals gefoltert haben, immer noch hinter ihr her sind.

Mich hat ihre Geschichte so inspiriert und berührt zugleich, dass ich mich zuhause sofort daran mache, ein Stencil zu entwerfen. Ich entscheide mich als Vorlage für ein Foto, auf welchem eine Frau zu sehen ist, die ihr Kopftuch abgenommen hat und es im Wind wehen lässt.

Nachdem ich das Motiv skizziert und eine Schablone gemacht habe, geht es daran, einen passenden Ort für das Stencil zu finden. Ich entscheide mich für die Unterführung am Media-Markt. Dort führt ein Fahrradweg entlang und so können es viele Menschen morgens auf ihrem Weg zur Arbeit oder mittags auf ihrem Nachhauseweg sehen. Ich schicke Amira ein Bild des fertigen Graffitis, auf welchem mein Stencil und nebendran die Worte "Frauen, Leben, Freiheit" zu sehen sind, und sie ist mir sehr dankbar.

Das Stencil hing an der Unterführung ein gutes dreiviertel Jahr. Inzwischen ist es übermalt. Für die Frauen im Iran hingegen dauern der Kampf um Freiheit und die Proteste an.
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