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"Wir lebten in ständiger Angst"

ZISCHUP-INTERVIEW mit Manfred Kraus, Jahrgang 1931, darüber, wie er als Kind in Neustadt den Zweiten Weltkrieg erlebt hat.  

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Neustadt im Krieg: In der Pfauenstraße und am Stalter zerstörten Fliegerbomben etliche Gebäude. Foto: Roland Weis

Am Sonntag hat sich mein Opa, Manfred Kraus, viel Zeit für mich, Johannes Kraus aus der Klasse 9b des Kreisgymnasiums Hochschwarzwald in Titisee-Neustadt, genommen und mir erzählt, wie es ihm in meinem Alter ergangen ist. Er ist im Jahr 1931 geboren. Als er 14 Jahre alt war, wie ich es heute bin, war der Krieg gerade zu Ende. Seine Kindheit war überschattet von der NS-Diktatur.

Zischup: Inwiefern nahm das NS-Regime Einfluss auf deinen Schulalltag?
Kraus: Wir hatten an unserer Schule im Vergleich zu anderen Orten noch ziemlich Glück. Schüler-Drill, wie sonst auch berichtet wird, gab es an unserer Schule nicht so ausgeprägt. Die meisten meiner Lehrer waren Elsässer, da die anderen im Krieg waren. Es gab einzelne Lehrerinnen, aber damals waren die Lehrer meist Männer. Schau mal, hier habe ich noch einen Zeitungsbericht, den mein Klassenlehrer nach Kriegsende über seine Zeit an unserer Neustädter Oberschule in einer französischen Zeitung veröffentlicht hat: "Die Schüler waren insgesamt in Ordnung und die Eltern verständig." Öfters wurde der Schultag durch Arbeitseinsätzen unterbrochen. Zum Beispiel mussten wir die Schienen vom Schnee befreien, damit Züge mit Rüstungsgütern an die Front fahren konnten. Im Sommer mussten wir Heilkräuter für die Soldaten sammeln.


Zischup: Musstest du auch in die Hitlerjugend?
Kraus: Auch hier hatte ich Glück. Da mein Vater Glaser war und seine Mitarbeiter bald alle in den Krieg mussten, wurde ich freigestellt, um ihm zu helfen.


Zischup: Waren du oder deine Familie von Nazi-Schikane betroffen?

Kraus: Eine Freundin meiner Schwester hatte im Zug eine Klassenkameradin mit "Guten Morgen" begrüßt und nicht mit "Heil Hitler". Aus diesem Grunde wurde sie vom Kreisleiter verhört, der Direktor der Schule konnte sie schützen.

Zischup: Hast du von der Judenverfolgung vor Kriegsende etwas mitbekommen?
Kraus: Während des Krieges wurde nur gemunkelt. Über dieses Thema zu sprechen, war strengstens untersagt. Bestimmte Beobachtungen konnte ich dann später zuordnen. So habe ich einmal mitbekommen, dass in der Heimatstadt meines Vaters, Zwiefalten, Patienten einer psychiatrischen Klinik in Busse mit dunklen Scheiben einsteigen mussten. Erst nach dem Krieg wusste ich dann, was das bedeutet hatte. Die psychisch kranken Menschen hatten wohl in der psychiatrischen Klinik in Zwiefalten eine Spritze bekommen und wurden dann in die Gaskammern nach Grafeneck transportiert. Eine Bekannte kam ins Konzentrationslager, da sie in Anwesenheit eines Nazis nach dem Hitlerattentat gesagt hatte: "Hätte es ihn bloß erwischt!" Sie kam schwer traumatisiert erst nach einigen Jahren wieder frei.

Zischup: Wie hast du die Bombardierung im Krieg miterlebt?
Kraus: Im Jahr 1942 war ich in der Heimatstadt meines Vaters in einem Geschäft, das bombardiert wurde. Hierbei wurden zwei Menschen getötet. Ich wurde nur zu Boden geworfen, aber ab diesem Zeitpunkt hatte ich große Angst vor den Bomben. Dies war der Auftakt zu einer langen Bombenserie in Titisee-Neustadt. Wir lebten in ständiger Angst.

Zischup: Wie und wo hast du das Kriegsende erlebt?
Kraus: Da Neustadt am Kriegsende stark bombardiert wurde, wurde ich zu meinen Großeltern nach Zwiefalten geschickt. Nach Kriegsende holten mich mein Vater und meine Schwester zu Fuß dort ab. Er lief also zirka 130 Kilometer hin und mit uns 130 Kilometer zurück nach Neustadt.

Zischup: Warum musstet ihr den ganzen Weg zu Fuß gehen?
Kraus: Züge fuhren nicht, Auto und Fahrrad mussten wir schon während des Krieges abgeben.

Zischup: Musstet ihr Hunger leiden?
Kraus: Ja, im Krieg und in der Nachkriegszeit hungerten wir. Dabei ging es uns noch viel besser als vielen anderen. Wenn mein Vater auf einem Bauernhof Fenster repariert hat, hat er oft Lebensmittel bekommen.

Zischup: Hattet ihr nach dem Krieg wieder Schule?
Kraus: Das erste halbe Jahr hatten wir gar keine Schule. Dann ging es wieder los.

Zischup: Du warst also richtig froh, als ihr wieder normal Schule hattet?
Kraus: Ja, ich war sehr dankbar, dass meine engste Familie den Krieg überlebt hatte und ich wieder normal in die Schule gehen und mein Abitur machen durfte.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 17. Dezember 2021: PDF-Version herunterladen

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