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"Man gewinnt an Klarheit"

ZISCHUP-INTERVIEW mit einer Krebspatientin darüber, wie sich ihr Leben mit der schweren Krankheit verändert hat – und das nicht nur zum Negativen.  

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Viele Frauen erkranken an Brustkrebs. Foto: Rawpixel.com (Stock.adobe.com)

Zischup-Autorin Kim Winterer aus der Klasse 8.2 des Evangelischen Montessori-Schulhauses in Freiburg hat sich mit dem Thema Krebs beschäftigt. Sie findet, dass zu wenige Menschen wissen, wie es jemandem geht, der Krebs hat. Die Interviewpartnerin von Kim Winterer wollte allerdings anonym bleiben. Hier im Text taucht sie darum unter dem Pseudonym Klara Hirt auf.

Zischup: Sie haben vor einem halben Jahr Ihre Krebsbehandlung abgeschlossen. Wie geht es Ihnen heute?
Hirt: Bis vor einem halben Jahr habe ich eine Chemotherapie bekommen. Deshalb bin ich immer noch schnell erschöpft. Die Chemotherapie ist ja quasi ein Gift, und das merke ich noch in meinem Körper. Ich brauche mehr Schlaf, bin nicht so belastbar, auch emotional, ich arbeite weniger, ich mag noch nicht so viel essen. Im Ganzen ist man einfach geschwächt. Wenn ich mich anstrenge, brauche ich einfach mehr Ruhe hinterher.
"Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen."
Zischup: Wie haben Sie gemerkt, dass Sie Brustkrebs haben?
Hirt: Vor zehn Jahren habe ich zum ersten Mal Brustkrebs diagnostiziert bekommen. Damals hatte ich einen Traum. Im Traum war ich bei einer Untersuchung, und der Arzt hat mir gesagt, dass ich eine ganz schlimme Krankheit und nur noch drei Tage zu leben hätte. Er hat mir geraten, dass ich mein Leben organisieren soll. Ich habe den Traum meiner Schwester erzählt, und die meinte, ich solle zum Arzt gehen und mich untersuchen lassen. Ich bin dann zu meiner Frauenärztin gegangen und die hat mir dazu geraten, eine Biopsie machen zu lassen. Bei einer Biopsie wird Gewebe entnommen und untersucht. Das ist eigentlich die sicherste Methode, um Krebs festzustellen.

Zischup: Können Sie sich noch daran erinnern, was Ihnen damals durch den Kopf gegangen ist, als sie die Diagnose Brustkrebs bekamen?
Hirt: Ja, das war nicht so schön. Meine Ärztin ging davon aus, dass ich den Befund bereits erhalten hatte, also hat sie bei mir angerufen. An dem Tag hatte ich Gäste. Sie hat es mir also am Telefon gesagt. Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich konnte diese und weitere Nächte vor Todesangst nicht schlafen.

Zischup: Was hat Ihnen am meisten Angst gemacht?
Hirt: Wenn man die Diagnose bekommt, ist natürlich die große Angst die vor dem Tod. Man weiß gar nicht, was das bedeutet und was auf einen zukommt und was die Therapien für den Alltag bedeuten. Es ist ein Schock, dass es einen getroffen hat. Alle anderen sind gesund, und man selbst ist sterbenskrank.

Zischup: Welche Nebenwirkungen hat die Medizin, die Sie bekommen haben?
Hirt: Es kommt auf die Therapie an. Während der Strahlentherapie kann man Verbrennungen bekommen. Langfristige Nebenwirkungen von einer Chemotherapie sind, dass man sich über lange Zeit schwach fühlt, ich brauche seitdem mindestens zwölf Stunden Schlaf am Tag. Während der Chemotherapie hatte ich immer so einen Nebel im Kopf. Von der Chemotherapie sind mir die Fingernägel, Haare, Wimpern und Augenbrauen ausgegangen. Ich hatte keinen Appetit und alles hat gleich geschmeckt, Gewichtsverlust, Übelkeit, Kopfschmerzen. Meine Schleimhäute waren wund und offen, die Gelenke haben weh getan. Ich hatte Taubheitsgefühle in den Händen und Fingerspitzen. Man kann auch während der Therapie nicht so unter Leute, denn das körpereigene Immunsystem ist in dieser Zeit schutzlos gegenüber allen Krankheitserregern.

Zischup: Was hat Ihnen gegen die Angst geholfen?
Hirt: Ich hatte mit der Krankheit ja schon vor zehn Jahren zu tun. Darum hat sich das mit der Angst auch verändert. Diese krasse Todesangst kommt natürlich immer wieder. Mir hat dann immer geholfen, dass ich aktiv geworden bin und mir überlegt habe, welchen Weg ich gehen möchte. Möchte ich die Schulmedizin annehmen oder gibt es vielleicht Alternativen? Wie kann ich mein Leben verändern? Ich habe natürlich darüber nachdacht, warum ich Krebs bekommen habe und welche Konsequenzen ich ziehen muss. Bei den meisten, die ich kennengelernt habe, wie auch bei mir ist es so, dass die Lebensführung einfach nicht gut war, dass man zu viel gearbeitet hat, zu viel Stress hatte, dass man nicht richtig nach sich selbst gekuckt hat. Ich habe zwar gesund gegessen, ich habe auch Sport gemacht, aber zu wenig darauf geachtet, auch Freude im Leben zu haben. Vielmehr ging es darum, Pflichten zu erfüllen. Ich habe einfach eher auf die Bedürfnisse anderer geachtet. Wichtig ist, dass man hilfsbereit ist und bleibt, aber dennoch auch lernt "Nein" zu sagen.

Zischup: Und weiter?
Hirt: Ich habe mich mit Naturheilkunde und ganzheitlicher Medizin beschäftigt und gelernt, darauf zu achten, besser in Balance zu sein. Dazu gehört, genug zu schlafen, sich positive Gedanken zu machen. Aber das schützt einen auch nicht davor, Krebs zu bekommen. Im Grunde weiß man ja bis heute nicht, warum der eine Mensch Krebs bekommt und der andere nicht. Das weiß nur der liebe Gott, sagt mein Arzt. Tägliche Gebete helfen mir auch sehr, weil ich weiß, dass ich die Krankheit nicht alleine tragen muss.

Zischup: Und haben Ihnen auch Freunde und Familie geholfen?
Hirt: Bei der ersten Krebserkrankung vor zehn Jahren war das noch echt schwierig. Es gab damals noch keine Social Media, das heißt, die Leute mussten alle anrufen, um Kontakt aufzunehmen. Und ich war nicht immer in der Stimmung ans Telefon zu gehen. Nur die engsten Leute hatten Kontakt mit mir. Heute mit Social Media ist das was ganz anderes, man kann einfach kurz über WhatsApp kommunizieren, ohne direkten Kontakt zu haben. Das heißt, die Leute können sich anbieten, ohne Dich gleich zu überfahren. Alleine kann man so eine Erkrankung nicht bewältigen, man braucht Familie und Freunde, die einem helfen. Man braucht Hilfe – nicht nur mit Durchhalteparolen wie "Du schaffst das", sondern mit Unterstützung im Alltag, wie einkaufen gehen, Essen vorbeibringen, gemeinsame Spaziergänge.

Zischup: Was würden Sie jemandem raten, der auch Brustkrebs bekommt?
Hirt: Die Diagnose ist immer ein Schock. Wichtig ist, sich die nötige Zeit zu nehmen, um das zu verarbeiten und zu verstehen. Das ist zwar unendlich schwer, aber auch wichtig. Vor allem, dass man nicht gleich irgendwelche Entscheidungen trifft, die vielleicht nicht gut sind, gerade was Therapien angeht. Ich habe mich lange Zeit gegen die Schulmedizin gewehrt. Viele Ärzte wundern sich, dass ich nach zehn Jahren immer noch lebe. Ärzte wissen einfach nicht, wenn sie eine Therapie anbieten, ob sie richtig und passend ist und auf Dauer den Patienten am Leben erhält. Es geht vielmehr um ein gutes Management der Krebserkrankung. Jemand, der Diabetes hat oder einen Herzstillstand, ist danach auch nicht vollständig geheilt und muss ein Leben lang Medizin nehmen. So ist das auch bei Krebs. In den ersten zwei Jahren muss man sich alle drei Monate nachuntersuchen lassen, danach halbjährlich und nach fünf Jahren jährlich. Es ist auch sehr wichtig, ein Berater- und Helferteam aufzubauen. Ein Beraterteam, welches einen dabei unterstützt, die geeigneten Informationen über die Krankheit und Therapien herauszufinden. Ein Helferteam, welches einen im Alltag unterstützt und auf gute Gedanken und zum Lachen bringt.
Zischup: Haben Sie durch die Krankheit auch was gelernt?
Hirt: Die Einstellung zum Leben hat sich verändert, man gewinnt eine Klarheit. Man lernt, dass es einfach keine Gewissheiten gibt. Das Schöne an der ganzen Geschichte ist, dass man das Leben einfach mehr wertschätzt, mehr Demut vor dem Leben entwickelt und sich auf jeden neuen Tag freut, an dem man keine Schmerzen hat. Jetzt nach der Chemotherapie zu erleben, wie die Kräfte zurückkommen, ist schön. Freunde und Bekannte verstehen häufig gar nicht, in was für einer Welt man lebt, wenn man krank ist. Einige meiner Freunde haben nicht verstanden, dass ich mich mehr zurückziehe oder auch mal nein sage. Dafür habe ich andere Freunde gefunden. Die Krankheit hat mir geholfen, klarer zu sehen, was ich nicht brauche und was mir nicht guttut. Wie sich über Unwichtigkeiten aufzuregen.

Zischup: Und Ihre Einstellung zum Leben, hat die sich verändert?
Hirt: Wenn man fünf Jahre überlebt, gilt man als geheilt. Ich habe jetzt schon zehn Jahre überlebt, aber bin ich geheilt? Ich versuche herauszufinden, was ich wirklich noch will. Ich plane auch nicht mehr so viel. Ich versuche mein alltägliches Leben gut zu gestalten und nichts mehr auf die lange Bank zu schieben. Ich möchte ehrlich mit mir und andern sein, und meine Mitmenschen sollen auch ehrlich mit mir sein. Mit diesem ganzen gefakten Leben möchte ich nichts mehr zu tun haben. Ich möchte keine Zeit mehr vergeuden, weil ich weiß, dass das Leben kostbar ist. Aber die Endlichkeit des Lebens anzuerkennen, ist ein Prozess, den man sich jeden Tag erarbeiten muss. Vielleicht habe ich ja jetzt mehr Demut vor dem Leben und darüber mehr Freude am Leben.

Zischup: Was fällt Ihnen dazu noch ein?
Hirt: Ich möchte noch etwas sagen zum Umgang der Gesellschaft mit der Krankheit Krebs. Wenn Du Krebs hast oder eine andere Erkrankung, bist du irgendwie außerhalb der Gesellschaft. Du verhältst dich anders, machst manche Sachen nicht mehr mit, weil es auch nicht mehr geht, und hast vielleicht auch keine Haare mehr auf dem Kopf. Was ich mir wünschen würde, dass sich die Menschen bewusster sind, dass das Leben endlich ist, und es ganz schnell vorbei sein kann. Und dass man nicht warten sollte, bis man an der Wand steht. Eine Freundin von mir hat das mal schön gesagt. Wir sind alle auf einer Reise, die irgendwann vorbei ist. Nur du hast schon deine Fahrkarte. Und wenn man das weiß, dass das Leben endlich ist, erlebt man das Leben anders. Man ist empathischer, man hat mehr Dankbarkeit und man ist auch menschlicher miteinander. Was heutzutage wirklich fehlt ist, dass man nacheinander guckt, füreinander da ist. Man sollte realisieren, dass es jeden treffen kann und wir alle in einem Boot sitzen. Und wenn es einen erwischt hat, denkt man manchmal, warum kapieren die anderen das einfach nicht. Das verhindert keinen Krebs, macht aber das Leben lebenswerter.
"Der Krebs ist ein Teil

von meinem Leben"
Zischup: Wie ging es Ihnen mit diesem Gespräch?
Hirt: Ich beschäftige mich ohnehin viel mit der Krankheit. Der Krebs ist ein Teil von meinem Leben. Ich kämpfe damit, versuche ihn in friedlicher Koexistenz anzunehmen. Von daher hat mich das Gespräch jetzt nicht super umgehauen. Ich habe mir davor trotzdem Gedanken gemacht, ob ich es machen soll. Aber dann habe ich gedacht, es ist eigentlich ganz gut, weil es viele Menschen gibt, die gar nicht wissen was sie als Patient für Therapiemöglichkeiten haben. Anfangs hat man Panik, und aus der Panik heraus gibt es auch Menschen, die machen alles, was der Arzt sagt. Aber dazu sollte man auch wissen, dass bei Krebsbehandlungen auch manchmal falsche Hoffnungen gemacht werden und keine ordentlichen Aufklärungsgespräche stattfinden. Ich würde gerne Menschen dazu ermutigen, sich für mehrer Optionen zu öffnen und ihren eigenen Weg zu suchen, was die Behandlung angeht. Dabei sollte man die Schulmedizin nicht ausschließen und unterstützende biologische Therapien miteinbeziehen.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 03. Mai 2019: PDF-Version herunterladen

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