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Immer weniger, immer schwächer

Viel zu viele Mädchen leiden unter Essstörungen / Eine Betroffene erzählt, wie schmerzvoll ihr Weg aus der Magersucht war.  

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Isabel Becherer ist froh, dass sie ihre Hasen wieder knuddeln kann. Foto: privat

2020 war für Zischup-Autorin Isabel Becherer kein sehr schönes Jahr – das war es wohl bei den meisten nicht, aber bei der Schülerin hatte das nichts mit Corona zu tun. Hier erzählt sie ihre bewegende Geschichte.

Ich liebe meine beiden Hasen und Pferde und nehme seit Jahren Reitunterricht. Seit September letzten Jahres habe ich auch ein Pflegepferd, um das ich mich kümmere. Aber jetzt zu meiner Geschichte. Sie beginnt, als ich etwa elf Jahre alt bin. Bis dahin war ich ein sehr glückliches Kind, aber dann begann ich, mich dick zu fühlen. Das habe ich aber keinem erzählt. Später, so mit zwölf Jahren, habe ich öfter Kommentare wie "Du bist voll dick!" zu hören bekommen. Für die, die das sagten, war es nur so daher gesagt, aber für mich war es sehr verletzend.

Im Herbst 2019 begann ich, abzunehmen. Ich habe mit niemandem aus meiner Familie darüber gesprochen. Und weil ich im Winter gefütterte und weite Kleidung getragen habe, ist es auch niemandem aufgefallen. Anfang 2020 hat meine Mutter bemerkt, dass ich abgenommen hatte und sagte, dass ich jetzt nicht mehr weiter abnehmen darf. Da war ich aber schon so in der Krankheit Magersucht gefangen, dass ich nicht aufhören konnte und immer weniger aß und mich trotzdem zu dick fand.

Im Februar musste man mich wortwörtlich zum Essen zwingen. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten und mir war immer kalt. Es tat auch weh, wenn ich längere Zeit auf einem Stuhl saß, weil die Knochen so arg herausstachen. Seit meine Mutter das mit dem Abnehmen bemerkte, fragte sie regelmäßig, ob alles okay sei. Ich wollte aber nicht mit ihr reden und deshalb bejahte ich das immer. Als ich dann aber meinen ersten Schwächeanfall hatte, ließ sie überhaupt nicht mehr locker, und erst da habe ich mich ihr anvertraut.

Sie machte einen Termin bei meiner Kinderärztin. Zuerst wurden Untersuchungen gemacht und eine Woche später sollten wir wieder zur Therapie kommen. Weil ich mich nun aber komplett weigerte zu essen und immer schwächer wurde, gingen wir vor dem vereinbarten Termin zur Kinderärztin, die uns in die kinderpsychiatrische Ambulanz schickte. Am nächsten Tag erhielt meine Mutter einen Anruf, dass wir am folgenden Tag in die Klinik kommen sollten. An diesem Abend, als meine Eltern die Reisetasche packten, habe ich es einer Freundin erzählt.

Dann war dieser Tag da, an dem ich in die Klinik musste. Am Nachmittag verabschiedete ich mich von meinen Hasen, das war furchtbar. Und dann standen wir vor der Klinik, ich wollte da nicht hin und schon gar nicht bleiben. Gleich nach dem Gespräch mit der Oberärztin bekam ich eine Magensonde, die mir in den ersten beiden Wochen bei jedem Schluck und auch so schrecklich wehtat. Ich hatte schreckliches Heimweh und fühlte mich so allein und traurig und ich musste viel weinen.

Das Einzige, worüber ich mich freuen konnte, waren die Besuchstage und die Telefonate am Abend mit meinen Eltern. Hinzu kam auch noch Corona: Die ohnehin schon geringe Besuchszeit wurde nochmals eingeschränkt, in der man mich nicht in der Klinik, sondern nur draußen, im Garten, besuchen durfte. An meinem 13. Geburtstag, zwei Wochen nach der Klinikaufnahme, war zum Glück schönes Wetter, so dass meine Eltern und meine Schwester mit mir etwas feiern konnten.

Nach einer gewissen Zeit, als ich körperlich wieder stärker wurde, durfte ich die Besuchszeit am Wochenende für ein paar Stunden zuhause verbringen. An Ostern war ich dieses Jahr das erste Mal zuhause. Ich war so froh, meine Hasen wiederzusehen. Langsam ging es mir wieder besser und ich erfreute mich an kleinen Dingen, wie zum Beispiel 200 Gramm zuzunehmen. Nach drei Monaten konnte ich in die Tagesklinik übernommen werden. Das bedeutet, dass man nachts zuhause und nur tagsüber in der Klinik ist.

Nach fast drei Monaten stationärem Klinikaufenthalt und einem Monat Tagesklinik bin ich im Juli, nachdem ich acht Kilogramm zugenommen hatte, entlassen worden. Ich war so glücklich, wieder zu Hause zu sein. Ich muss sagen, das war die schlimmste, schwierigste und langweiligste Zeit meines Lebens. Aber ich bin froh, dass ich noch lebe. Jetzt, ein Jahr später habe ich noch alle sechs Wochen eine Therapiestunde und werde ein Mal pro Woche gewogen, auch wenn ich das für sehr überflüssig halte. Doch die Wahrscheinlichkeit, einen Rückfall zu erleiden, ist hoch.

Heute weiß ich, wer ich bin und was ich liebe und dass es egal ist, was andere sagen, denn entweder haben sie einen schlechten Tag, sind neidisch oder sie versuchen, dich zu verunsichern, weil sie sich so besser fühlen. Nur wenn du dich selbst akzeptierst, kannst du mit dir glücklich sein. Falls du gerade in so einer Situation steckst und dich, aus welchem Grund auch immer, schlecht fühlst und traurig bist, dann rede mit jemandem – es hilft.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 23. April 2021: PDF-Version herunterladen

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