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Zischup-Interview

"Im Bunker war es sehr eng und auch sehr laut"

Anneliese Kümmerlin (84) berichtet über ihre Kindheit und Jugend in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Das Interview führte ihre Enkelin Lia Faller (13). .  

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Anneliese Kümmerle (links) mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Foto: Privat
Zischup: Wie alt warst du, als der Krieg begann?
Kümmerlin: Ich bin 1939, am Anfang des Krieges, geboren, und als der Krieg 1945 geendet hat, war ich sechs Jahre alt.

Zischup: Wie war für dich und deine Familie diese Zeit von 1939 bis 1945?
Kümmerlin: In dieser Zeit waren die Menschen sehr arm und wir hatten viele Ängste, zum Beispiel dass eine Bombe unser Haus trifft oder mein Vater nicht mehr aus dem Krieg zurückkommt. Aber wir waren trotzdem zufrieden, da wir ja nichts anderes kannten und uns deshalb nichts gefehlt hat.

Zischup: Wohin seid ihr gegangen, als die Sirenen erklungen sind?
Kümmerlin: Wir sind in einen Bunker bei uns in Bahlingen geflüchtet, in dem es sehr eng war und auch sehr laut. Wir sind dort sehr lange gesessen und haben gewartet, bis es wieder still draußen war. Manchmal einen ganzen Tag lang. In dem Bunker waren immer sehr viele Bahlinger und es war sehr voll.

Zischup: Kannst du dich an die Nationalsozialisten erinnern?
Kümmerlin: Ich war ja ein Kind und weiß nur noch, dass ich große Angst hatte, wenn die Nationalsozialisten kamen und die Häuser nach Behinderten oder Juden durchsuchten. Leute aus der Nachbarschaft hatten ihr behindertes Kind zeitweise bei Verwandten in einem anderen Ort versteckt, so überlebte es diese schlimme Zeit.

Zischup: Hattet ihr Essen in dieser Zeit und wenn ja, woher?
Kümmerlin: Wir hatten sehr wenig Essen. Eigentlich nur das, was meine Mutter selbst angepflanzt hatte oder wir selbst hatten, also Tiere. Außerdem gab es Lebensmittelkarten, mit denen man pro Person auch ein bisschen Essen bekommen hat, aber nicht viel. Zum Beispiel 250 Gramm Fleisch für einen Mann in einer Woche. Zucker und Brot wurden auch über diese Lebensmittelkarten rationiert.

Zischup: Was habt ihr den ganzen Tag gemacht?
Kümmerlin: Wir Kinder haben Spiele gespielt. Da wir nichts hatten, mussten wir selbst Spielpläne zeichnen. Als Spielfiguren benutzten wir Knöpfe, Mais oder andere Dinge. Manchmal haben wir auch Fußball oder Tanzknopf gespielt. Sonst haben wir unserer Mutter bei irgendwelchen Dingen geholfen und morgens waren wir in der Schule.

Zischup: Woher hattet ihr Kleider? Gab es Läden?
Kümmerlin: Kleider haben wir von meiner Tante aus Amerika zugeschickt bekommen. Es gab kleine Lebensmittelläden, aber sonst nichts.

Zischup: Wann wurde die Zeit besser?
Kümmerlin: Die Zeit wurde 1948 besser, als die D-Mark kam. In dieser Zeit konnte man sich wieder mehr leisten und das Leben wurde wieder besser.

Zischup: Gab es ein besonderes Erlebnis in dieser Zeit für dich?
Kümmerlin: Ja, als mein Vater nach neun Jahren aus dem Krieg zurückkam. Er brachte mir als Geschenk eine Orange. Ich hatte davor noch nie eine Orange gesehen.

Zischup: Wie war es für dich, ohne Vater aufzuwachsen?
Kümmerlin: Ich kannte meinen Vater ja nur aus Erzählungen und von Bildern, deshalb musste ich mich dann erst einmal daran gewöhnen, als er wieder da war. Es war nicht so schlimm für mich, ohne Vater aufzuwachsen, da ich ja nichts anderes kannte.

Zischup: Wie war die Schulzeit für dich?
Kümmerlin: Wir waren insgesamt 56 Schülerinnen und Schüler in einem Klassenzimmer und hatten nur einen Lehrer in allen Fächern – insgesamt neun – außer in Religion, Sport und Hausarbeit. Die Lehrer waren sehr streng. Die Jungen wurden mit einem Stock geschlagen. In der ersten Klasse hatten wir, weil es so kalt war, nur eine Stunde Schule und mussten Holz für den Ofen mitbringen. Später hatten wir fünf bis sechs Stunden Schule. Insgesamt waren wir acht Jahre in der Schule und hatten dann den Hauptschulabschluss. Pünktlichkeit war damals auch sehr wichtig, und wenn man die Hausaufgaben nicht hatte, musste man nachsitzen. Ich war eine gute Schülerin und bin gerne in die Schule gegangen.

Zischup: Welche Schulmaterialien hattet ihr?
Kümmerlin: In den ersten Jahren hatten wir nur eine Schreibtafel, später erst eine Feder. Jeder hatte einen Schreibtisch mit einem Fläschchen Tinte darauf. Damals hatten wir nicht so viele Sachen wie ihr heutzutage. Wir hatten ein eigenes Lese- und Rechenbuch, einen Federhalter, eine Feder, ein Holzkästchen mit einem Radierer und einen Bleistift und einen Atlas.

Zischup: Wie war die Situation nach dem Krieg mit den Lehrstellen und Ausbildungen?
Kümmerlin: Es gab kaum einen Ausbildungsplatz. Von meinem Jahrgang haben von 56 Kindern sieben einen Ausbildungsplatz bekommen und das waren die, bei denen der Vater im Krieg gestorben war. Der Rest ging in eine Fabrik zum Arbeiten. Ich bin mit 14 Jahren in eine Zigarrenfabrik gegangen, um etwas Geld zu Hause abgegeben, damit meine Eltern ein Haus bauen konnten.

Anneliese Kümmerlin ist 1939 in Freiburg geboren und lebte seit ihrer Kindheit bis heute in Bahlingen.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 26. April 2024: PDF-Version herunterladen

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