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Zischup-Interview

"Ich habe viele Freunde, die Schlimmes erlebt haben"

Der Krieg in der Ukraine und Forderungen nach der Remigration deutscher Bürger können Angst machen. Marlen Mussap hat mit ihrem Opa Georg Thamm über Krieg und Ausgrenzung gesprochen.  

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Georg Thamm  | Foto: Marlen Mussap
Georg Thamm Foto: Marlen Mussap
Zischup: Was hast du vom Zweiten Weltkrieg mitbekommen?
Thamm: Erinnern kann ich mich an den Einmarsch der russischen Soldaten in unser damaliges Haus in Schlesien. Ein Gebiet, welches damals zu Deutschland gehörte, aber heute ein Teil von Polen ist. Der Offizier sprach Deutsch und sagte, der Krieg sei zu Ende. Er gab jedem die Hand und dann verließen sie das Haus. Zu diesem Zeitpunkt war ich drei Jahre alt. Später musste ich mit meiner Familie unseren Hof in Schlesien verlassen. Da Deutschland den Krieg verloren hatte und Schlesien zu polnischem Territorium wurde, wurden alle Deutschen enteignet und Haus und Gut als polnisches Staatseigentum polnischen Bürgern übergeben. Zu siebt mussten wir von einem großen Bauernhof in eine Dreizimmerwohnung in Niedersachsen umsiedeln.

Zischup: Kennst du Personen, die verfolgt wurden oder sogar in Gefangenschaft leben mussten?
Thamm: Ja, ich habe viele jüdische Freunde, die Schlimmes erlebt haben. Darunter Manfred und Shulamit Eppstein, die als junges Ehepaar am 20. April 1939 mit dem letzten noch fahrenden Schiff Berlin verlassen konnten. Sie flohen in das britische Kommissariat in Palästina, während ihre beiden Familien in Gaskammern umkamen. Manfred schloss sich dort der jüdischen Untergrundbewegung an und wurde als Mitglied des Untergrunds in ein Gefängnis in Palästina gesteckt. Erst als Israel als unabhängiger Staat anerkannt wurde, kam er frei und wurde Polizeioffizier in Israel. 1948 wurde das Ehepaar nach Köln geschickt und mit der Gründung eines Wirtschaftskonsulats beauftragt, um erste wirtschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und dem neuen Staat Israel aufzubauen. Sie sollten keinen persönlichen Kontakt zu Deutschen haben, wurden aber immer wieder von einem älteren Deutschen eingeladen. Auf die Frage, was er von ihnen wolle, antwortete er, er wolle seinen Enkelkindern beweisen, dass Juden keine Hörner haben. Sie kehrten nach einigen Jahren nach Israel zurück, um nur wenig später in Frankfurt mit der sogenannten "Israel-Mission" beauftragt zu werden. Diese hatte zur Aufgabe, jüdische Waisenkinder ausfindig zu machen und sie nach Israel in Sicherheit zu bringen. Diese Aufgabe verfolgten sie als Herzensangelegenheit.

Zischup: Warum trauten sie sich nach Deutschland zurück?
Thamm: Sie haben diese Aufgaben in Deutschland aus gesundheitlichen und klimatischen Gründen angenommen. Außerdem sprachen sie beide Sprachen. 1965 zogen sie dann nach Freiburg, da Freiburg als Wohnsitz durch die Nähe zur Französischen und Schweizer Grenze ideal war, um schnellstmöglich aus Deutschland fliehen zu können. Aus Angst versteckte Manfred eine Tasche mit Bargeld, Ausweisen und den wichtigsten Dokumenten, um im Notfall so schnell wie möglich verschwinden zu können. Er verstarb 1992 mit 82 Jahren. Seine Frau Shulamit überlebte ihn um 19 Jahre und verstarb mit 101 Jahren. Beide sind auf dem jüdischen Friedhof in Freiburg begraben.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 26. April 2024: PDF-Version herunterladen

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