Leben mit einer Sehbehinderung

"Es kommt darauf an, was man daraus macht"

Wenn man Daniela Brohlburg begegnet, sieht man eine aufmerksame, gesprächige und humorvolle Mitvierzigerin mit einer fröhlichen Ausstrahlung. Nicht sofort käme man auf den Gedanken, dass sie durch ihre Augenkrankheit als blind gilt und nur zwei Prozent Sehfähigkeit besitzt. Zischup-Reporterin Verena Niemann sprach mit ihr über ihre Augenkrankheit, ihr Leben und ihre ehrenamtliche Arbeit bei der Selbsthilfevereinigung PRO RETINA, für die sie 2009 das Bundesverdienstkreuz verliehen bekam.  

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Irgendwann wird sie vollständig erblin... war für Daniela Brohlburg ein Schock.  | Foto: Sean Gladwell/fotolia.com
Irgendwann wird sie vollständig erblinden – diese Diagnose war für Daniela Brohlburg ein Schock. Foto: Sean Gladwell/fotolia.com
Zischup: Was ist das für eine Erkrankung, unter der du leidest?

Daniela Brohlburg: Ich leide an einer erblich bedingten Netzhautkrankheit mit Verlust des Sehzentrums. Das bedeutet, wenn ich etwas fokussiere, sehe ich an den Stellen, die ich zentral betrachte, einen großen blinden Fleck. Man kann sich das so vorstellen, dass mein Sehbild wie ein Puzzle ist, von dem mir viele Teile fehlen, inzwischen auch am Rand des Sehfeldes. Ich kann keine Gesichter mehr erkennen, nicht mehr lesen und nur sehr schwer Farben auseinander halten. Die Erkrankung ist außerdem fortschreitend, die Sehfähigkeit verschlechtert sich also fortwährend, und die fehlenden Puzzleteile werden immer mehr und immer größer. Die Krankheit heißt Zäpfchen-Stäbchen-Dystrophie und ist die Umkehrung von der Augenkrankheit Retininis Pigmentosa, abgekürzt RT, bei der die Sehbeeinträchtigung von außen nach innen eingeschränkt wird.

Zischup: Kann man die Krankheit denn heilen oder zumindest aufhalten?
Brohlburg: Nein, bisher ist diese Krankheit noch unheilbar. Man kann sie weder aufhalten noch verlangsamen. Doch es wird in den letzten Jahren immer verstärkter nach einem Medikament geforscht.

Zischup: Seit wann weißt du, dass du diese Augenkrankheit hast?
Brohlburg: Die Diagnose habe ich mit 19 Jahren bekommen. Da es eine erblich bedingte Krankheit ist, habe ich sie von Geburt an, aber bis zu meinem 20. Lebensjahr konnten die Ärzte sie nicht richtig diagnostizieren, obwohl ich auch in meiner Kindheit bei zahlreichen verschiedenen Ärzten war. Zwar wurde mir gesagt, dass ich später mal keinen Führerschein machen könnte und irgendwann mal viel später nicht mehr lesen könnte, aber die Diagnose kam dann doch völlig überraschend. Dazu musste ich mich einer langen Untersuchung mit teilweise unangenehmen Methoden unterziehen. Es war ein Schock für mich: Die Ärzte prophezeiten mir, dass ich in zehn Jahren blind sein würde. Das hat sich so aber nicht bewahrheitet, schließlich bin ich auch heute noch nicht vollständig blind.

Zischup: Du hast bereits gesagt, das die Krankheit fortschreitend ist. Wie verlief sie von deiner Geburt an bis heute?
Brohlburg: Als Kind habe ich bereits schlecht im Dunkeln gesehen und hatte Ausfälle im Gesichtsfeld. Wenn mir zum Beispiel Bauklötze auf unseren bunten Perserteppich gefallen sind, dann habe ich sie nicht gesehen, obwohl sie direkt vor mir waren. Und wenn ich mit meinen Eltern im Auto saß, und sie sagten "Guck mal, da draußen ist ein Reh", dann habe ich das auch nirgendwo entdecken können. Genauso war es mit Flugzeugen.
Abgesehen davon habe ich immer schon langsamer gelesen als die anderen, doch das habe ich nicht meiner Sehkrankheit zugeschrieben. Schließlich hatte ich keinen Vergleich. Früher bin ich auch noch Fahrrad gefahren, auch noch in meinem Psychologiegrundstudium, mit Mitte 20 dann nicht mehr. Genauso hat meine Lesefähigkeit abgenommen, die ich dann mit 35 verloren habe. Heute sehe ich nur noch zwei Prozent und bin gesetzlich blind, aber das ist noch ein deutlicher Unterschied zu vollständig blind.

Zischup: Wenn man an Sehbehinderte denkt, fallen einem sofort Blindenstock und Blindenhund ein. Hast du auch solche Hilfsmittel, die dir den Alltag erleichtern?
Brohlburg: Ja, ich habe viele verschiedene Hilfsmittel. Überhaupt gibt es heute zahlreiche Hilfsmittel, die man auch nutzen sollte, um sich das Leben zu erleichtern. Es kommt darauf an, was man aus seiner Sehfähigkeit noch macht. Ganz wichtig ist mein Blindenstock, genannt Langstock, mit dem ich im Dunkeln unterwegs bin. Zum Lesen besitze ich ein Bildschirmlesegerät, das die Schrift um ein Vielfaches vergrößert. Am Computer habe ich eine elektronische Sprachausgabe, genauso wie an meinem Fieberthermometer.
Vergrößerung ist allgemein enorm wichtig, Lupen helfen in meinem Stadium aber nur noch bedingt für den Alltag. Ich benutze sie zum Beispiel, um im Geschäft die richtige Teesorte ausfindig zu machen, oder um an der Waschmaschine das richtige Programm auszuwählen. Abgesehen davon habe ich eine sprechende Küchenwaage und ein IPhone 4s, das viele nützliche Zusatzfunktionen hat. So kann ich mit ihm sprechen und es befragen, zum Beispiel mit einem Einkaufszettel besprechen, und diesen im Geschäft wieder abrufen. Bücher kann ich nicht mehr lesen, aber dafür höre ich Hörbücher. Im Haushalt sind allgemein Kontraste sehr wichtig, zum Beispiel farbige Gläser. Auch kontrastreiche Markierungen der Umwelt, wie zum Beispiel an Stufen und Pollern, sind wichtig für sehbehinderte Menschen. Solche Mittel kommen ihnen zugute, und überhaupt ist die Technik sehr hilfreich. Ich informiere mich regelmäßig auf Hilfsmittelausstellungen für Sehbehinderte und Blinde über die neueste Technik und die neuesten Hilfsmittel. Durch sie kann ich den Alltag bewältigen und ein großes Maß an Selbstständigkeit erhalten.

Zischup: Und woher weißt du das alles?
Brohlburg: Viele lebenspraktische Fähigkeiten habe ich in einem Mobilitätstraining für Sehbehinderte gelernt. Dort wurde mir eben auch gezeigt, wie ich im Haushalt besser zurecht kommen kann.

Zischup: Gibt es Hilfsmittel, die du immer dabei hast, wenn du unterwegs bist?
Brohlburg: In meiner Handtasche immer dabei habe ich meinen Blindenlangstock, eine Lupe, ein Monokular, das ist ein kleines Fernrohr, und eine Kantenfilterbrille, die mich vor Blendung schützt.

Zischup: Du engagierst dich bei der Selbsthilfevereinigung Pro Retina. Kannst du kurz erklären, was das ist?
Brohlburg: Pro Retina ist eine Selbsthilfevereinigung von und für Netzhauterkrankte. Sie berät und informiert Patienten und deren Angehörige und gibt Hilfe zur Selbsthilfe. Pro Retina hat eine eigene Stiftung für Verhütung von Blindheit, die finanzielle Unterstützung für Forschungsförderung betreibt, um eine Therapie für die bisher noch nicht heilbare Krankheit zu finden. Mittlerweile gibt es zwei Professoren in der Stiftung, die von Pro Retina bezahlt werden. Pro Retina bietet in vielen Städten Stammtische an, in denen sich Leute mit der Augenkrankheit gegenseitig beraten, austauschen und unterstützen. Es herrscht hier meist eine lockere Atmosphäre. Und dann gibt es noch unsere ausführliche Website im Internet: www.pro-retina.de.

Zischup: Und in welchen Punkten wollen sich die Betroffenen beraten lassen, die zu euch kommen?

Brohlburg: Häufige Fragen sind, was es für Hilfsmittel gibt, wo man die kaufen kann und wie viel von den Kosten die Krankenkasse übernimmt. Wenn die Leute sehen, wie man, selbst sehbehindert, so gut zurechtkommt, wollen sie wissen: Wie schafft man das? Oft klagen die Menschen mit 20 Prozent Sehfähigkeit, das sie "überhaupt nichts" sähen, und dann denke ich, dass es wirklich darauf ankommt, aus dem, was man noch sieht, das Beste zu machen.

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