"Die meisten würden sterben"

ZISCHUP-INTERVIEW mit Johannes Bockstaller, der ausgesetzten Reptilien und Amphibien in seiner Freiburger Auffangstation ein neues Zuhause bietet.  

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Ein Jemenchamäleon – sein Name: Pascal Foto: privat

Für Zischup war Jonas Baruc-Westhäuser, Schüler der Klasse 8 des Evangelischen Montessori-Schulhauses Freiburg, unterwegs im Drachenunterschlupf von Johannes Bockstaller, einer Auffangstation für exotische Tiere in der Dreikönigstraße 2 in Freiburg. Bockstaller ist Vorstand des Vereins "Dragon Shelter" ("Drachenunterschlupf").

Ich war "tierisch" gespannt auf meinen Termin im "Dragon Shelter". Johannes Bockstaller erwartete mich bereits am Eingang und wir betraten gemeinsam einen großen Raum, der sich offensichtlich noch im Baustellenzustand befand und mit Aquarien und Terrarien bis unter die Decke gefüllt war. Nach ausgedehntem Rundgang durch die Räumlichkeiten und hautnahem Kennenlernen all seiner Bewohner verweilten wir vor dem großen Terrarium der Tiger-Python-Dame "Samira" und ihres geliebten Albino-Artgenossen.

Zischup: Herr Bockstaller, toll, dass ich hier sein darf. Sie haben ziemlich viele Tiere hier! Wie viele haben Sie insgesamt? Können Sie die überhaupt zählen?
Bockstaller: Das ist relativ einfach zu beantworten, da alle Tiere im Regierungspräsidium gemeldet sind. Momentan sind es circa 200.

Zischup: Woher kommen all diese Tiere? Welche Geschichten hatten sie, bevor Sie sie aufgenommen haben? Sind sie entlaufen? Wurden sie ausgesetzt?
Bockstaller: Etwa die Hälfte der Tiere werden abgegeben, weil die Vorbesitzer umziehen oder einfach keine Lust mehr auf die Tiere haben. Es gibt aber auch vom Zoll beschlagnahmte Tiere, geschmuggelte Tiere wie etwa teure Schildkröten, die an der Grenze abgenommen werden, oder auch ausgesetzte Tiere, die gefunden werden.


Zischup: Dann kann man "Dragon Shelter" also ein bisschen mit einem Tierheim vergleichen, oder?
Bockstaller: Ja, wir sind auch als solches gemeldet. "Dragon Shelter" ist offiziell ein Tierheim mit Bildungshintergrund – also eine Fortbildungsstätte und Tierheim in einem.

Zischup: Was war der kritischste Fall, bei dem sie nicht wussten, ob das Tier überleben würde?
Bockstaller: Da fallen mir spontan zwei Beispiele ein. Bei einem Fall wusste ich nicht, ob ich es selbst überlebe: Da ging es um eine sehr gefährliche Schnappschildkröte. Der andere Fall war Samira, die Tigerpython, die du ja schon kennengelernt hast. Sie wurde von ihrem Vorbesitzer sehr vernachlässigt und zwei Jahre lang gar nicht gefüttert. Samira kam in einem sehr bedenklichen Zustand zu uns, aber es geht ihr inzwischen schon viel besser.

Zischup: Was würde mit den Tieren passieren, wenn es Sie und den Verein nicht gäbe?
Bockstaller: Es gibt zum Glück noch andere Auffangstationen, die deutlich größer sind als wir, wie zum Beispiel in München und in Aachen, die aber auch am Limit sind und eigentlich keinen Platz mehr haben. Die meisten ausgesetzten Tiere würden sterben, denn sie würden in unserem Klima den Winter nicht überleben.


Zischup:
Welches Tier würden Sie nicht annehmen?
Bockstaller: Eigentlich nehmen wir grundsätzlich alle Tiere an. Manche können wir etwa wegen ihrer Größe nicht hierbehalten und vermitteln sie dann sofort weiter. Riesige Tiere, die zwischen fünf und zehnt Meter lang sind, wie große Alligatoren und Netzpythons, oder auch Gifttiere, die einfach zu gefährlich sind, können wir nicht hierbehalten. Da kontaktieren wir dann zum Beispiel einen Krokodilzüchter in Frankfurt, der sich extrem gut mit Alligatoren auskennt, oder das "Snake Paradise" in Zürich, einen Giftexperten in Weil am Rhein oder den Schildkrötenzoo in Neu-Ulm. Es gibt da schon einige Adressen, an die wir uns wenden können, um dem jeweiligen Tier ein neues Zuhause zu vermitteln.

Zischup: Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten Spaß?
Bockstaller: Am meisten Spaß macht mir bei Leuten die Faszination für diese Tiere zu wecken. Die meisten Menschen kennen sich mit diesen Tieren gar nicht aus, aber ihnen fehlt einfach nur der Zugang zu Ihnen. Diesen Zugang zu schaffen, macht mir Spaß. Aber auch füttern, pflegen und die Terrarien und Aquarien reinigen macht mir Spaß, denn dabei habe ich direkten Kontakt zu all den Tieren.

Zischup: Was würden Sie ändern, wenn Sie könnten. Gesetze? Regelungen?
Bockstaller: Das ist eine schwierige, aber auch sehr interessante Frage. Grundsätzlich sollte gesetzlich zwischen den einzelnen Reptilien besser unterschieden werden, was aber leider nicht der Fall ist. Wenn zum Beispiel eine Schlange ausbricht, fordert man sofort ein komplettes Verbot für alle exotischen Tiere. Dabei können die meisten Menschen eine harmlose Kornnatter nicht von einer giftigen Königskobra unterscheiden, wenn sie sie vor sich haben. In Baden-Württemberg kann man zum Beispiel alle Reptilien leicht im Internet kaufen – egal, ob sie gefährlich für das Ökosystem oder für uns Menschen sein können. Da werden keine Unterschiede gemacht, beziehungsweise es wird gar nicht kontrolliert. Ich arbeite schon länger an einem Gesetzesentwurf, um genau dieses Problem vielleicht eines Tages lösen zu können.

Zischup: Seit wann gibt es den Verein? Und wie finanziert er sich?
Bockstaller: Den Verein gibt es offiziell seit Oktober 2019. Finanziert wird der Verein bisher zu rund 80 Prozent aus eigener Tasche seiner Mitglieder. Dazu kommen etwa 10 Prozent Spenden und etwa 10 Prozent Einnahmen für Weiterbildungsseminare oder Vorträge für Feuerwehr oder Polizei. Aber zum Glück fressen Reptilien nicht besonders viel und sind deshalb in der Versorgung nicht extrem teuer.

Zischup: Sie sind zudem Fachmann für viele andere: Sie erwähnten Feuerwehr und Polizei. Und Sie geben auch Seminare. Erzählen Sie doch mal!
Bockstaller: Wenn etwa beim Zoll oder von der Feuerwehr ein exotisches Tier gefunden wird, gibt es eine Notfall-Liste von Fachleuten, die dann kontaktiert werden. Da gehören wir mit dazu. Bisher haben wir vier große Vorträge gehalten, die vor allem Feuerwehrleuten und der Polizei helfen sollen, wie sie mit Tieren wie Schlangen oder Vogelspinnen umgehen können, wenn sie damit konfrontiert werden.

Zischup: Wann sind Sie mit den Bauarbeiten und Vorbereitungen fertig? Und wann wird "Dragon Shelter" dann offiziell eröffnet?
Bockstaller: Diese Frage ist vor dem Hintergrund der weiterhin unsicheren Corona-Situation sehr schwer zu beantworten. Seit Monaten sind keine Seminare möglich, es gibt keine Bezuschussungen und natürlich auch keine Eröffnung, solange es keine Lockerungen gibt.

Zischup: Wenn "Dragon Shelter" hoffentlich bald eröffnet wird, kann dann jeder hier vorbeikommen, der sich für Tiere interessiert? Wird das Eintritt kosten wie in einem Zoo? Oder wird man auch exotische Tiere bei Ihnen kaufen können?
Bockstaller: Sobald Corona vorbei ist, darf natürlich jeder hier vorbeikommen! Ob wir Eintritt verlangen, haben wir noch nicht entschieden, aber wenn, dann nur einen kleinen symbolischen Betrag. Kaufen wird man hier keine Tiere können, aber adoptieren kann man sie – wie in einem normalen Tierheim auch. Da wird natürlich geprüft, ob sich derjenige wirklich mit dem Tier auskennt, ihm ein artgerechtes Zuhause bieten kann und sich liebevoll darum kümmern wird.
Schlagworte: Johannes Bockstaller
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