Ernährungsforschung
"Fleischverzicht scheint auf kultureller Ebene die Männlichkeit zu gefährden"
Ein echter Kerl haut sich alle zwei Tage ein Steak auf den Grill und isst es möglichst blutig: Fleisch galt lange als Inbegriff der Männlichkeit. Doch das ändert sich langsam. Ein Interview.
Mo, 13. Mai 2019, 15:12 Uhr
Gastronomie
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BZ: Frau Paulitz, Herr Winter, was hat es mit dem Ausspruch "Ein Mann braucht Fleisch" auf sich?
Winter: Da ist zum einen der historische Aspekt. Studien zeigen, dass sich zur Zeit der Industrialisierung und spätestens mit Anfang des 20. Jahrhunderts in der Ernährungswissenschaft das Wissen durchgesetzt hat, dass Fleisch zum Muskelaufbau beiträgt. Es etablierte sich die Vorstellung, dass der Mann, der ja in den Industriebetrieben die vermeintlich härtere Arbeit erledigte, mit ausreichend Fleisch versorgt werden musste. Dieser Gedanke hat sich dann quasi verselbständigt in einer Zeit, in der der Zugang zur Ernährung vor allem ein funktioneller war.
Winter: Ja, in der Ernährungswissenschaft gibt es nun auch die Ansicht, dass Fleisch eben nicht zwingend nötig ist, um Muskeln zu bekommen. Daneben gibt es ethische und ökologische Einwände. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Veggie-Booms wird Fleischkonsum aber dennoch stark verteidigt, bis hin zu speziellen Hochglanzzeitschriften für Männer, die sich explizit diesem Thema widmen. Das zeigt: Mit dem Verzicht auf Fleisch steht mehr auf dem Spiel als eine Mahlzeit.
Paulitz: Wir haben das als Ausgangspunkt für unsere Forschung genommen. Zu sehen, dass sich das Lebensmittelangebot ändert, gleichzeitig aber auch in der beschriebenen Form darauf reagiert wird, war für uns eine interessante soziologische Fragestellung. Wir wollten wissen, was genau da in der Gesellschaft passiert.
Winter: Es entsteht fast der Eindruck, Männer wollen sich dagegen wehren, dass man ihnen mit dem Fleisch auch ihre Männlichkeit wegnimmt.
Paulitz: Diese Erfahrung machen in der Tat viele. Der Verzicht auf Fleisch scheint bei vielen Männern das Bedürfnis auszulösen, das kommentieren zu müssen. Das ist natürlich ein interessantes soziales Phänomen. Offenbar gibt es solches Essen, das begründungsbedürftig ist, und solches, für dessen Wahl man sich nicht rechtfertigen muss. Übrigens steckt da auch eine geschlechtliche Norm drin: Für Männer ist es riskanter, ein vegetarisches Gericht zu bestellen, denn für einen Mann steht damit mehr auf dem Spiel als für eine Frau – seine Männlichkeit.
BZ: Jetzt übertreiben Sie aber.
Winter: Nein, das ist recht eindeutig und hängt damit zusammen, dass Männlichkeit sehr stark über körperliche Stärke und Kraft definiert wird. So wird ein Unterschied zu Weiblichkeit hergestellt.
Paulitz: Das ist auch ein Ergebnis unserer Forschung: Es ist bei der fleischlosen Ernährung wichtig, dass das Bild der Männlichkeit unangetastet bleibt. Das geschieht auch durch die Art und Weise, wie vegane Lebensmittel beworben werden. Fleischalternativen als Abweichung vom Normalen werden vorzugsweise mit starker Betonung ihres hohen Proteingehalts präsentiert.
Winter: So erzeugt man den Eindruck, dass diese Alternativen die vermeintlich kräftigenden Wirkungen des Fleisches reproduzieren können. Die Tierrechtsorganisation Peta beispielsweise wirbt mit Patrik Baboumian, einem Kraftsportler, der als einer der stärksten Menschen weltweit gilt und sich eigenen Angaben zufolge seit 2011 vegan ernährt. Und in der Men’s Health finden sich Kolumnen darüber, wie man sich mit veganer Ernährung einen "Sixpack" antrainieren kann.
Paulitz: Es ist wirklich faszinierend, dass der Fleischverzicht auf kultureller Ebene die Männlichkeit zu gefährden scheint. Umso mehr, als dass wir ja für die meisten Formen der heutigen Arbeit gar nicht mehr so viel Körperkraft brauchen. Aber offenbar muss sich der Veganismus darüber rechtfertigen, wenn er breite Akzeptanz finden will.
BZ: Inzwischen weiß man längst, dass Fleisch für den Menschen kein unverzichtbares Nahrungsmittel ist. Wieso greift dieses ernährungswissenschaftliche Wissen nicht?
Paulitz: Das ist richtig, das war auch unser Ausgangspunkt: Die Nährstoffe, die in Fleisch stecken, kriegt man auch woanders her, auch ökologisch ist der Fleischkonsum kaum zu vertreten, der Verzicht scheint also vernünftig und schadet auch der körperlichen Kraft nicht. Da spielt also noch ein anderer Faktor rein, auf der gesellschaftlichen Ebene. Und den erreichen Sie mit keinem Ernährungsfachwissen, das muss uns klar sein.
Winter: Und das funktioniert für viele darüber, dass nicht die Männlichkeit infrage gestellt wird, sondern der Weg dorthin. Das Bild der "starken" Männlichkeit bleibt, doch diese veganen Männer zeigen, dass sie dafür kein Fleisch benötigen, sondern pflanzliche Proteine und Training. Die Botschaft lautet: Weil das besser für meinen Körper ist, kann ich auf Fleisch verzichten. Gesundheit hat in unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahren einen enormen Stellenwert bekommen, insbesondere die Verantwortung für die eigene Fitness. Männer werden dabei häufig als Gesundheitsmuffel problematisiert.
Paulitz: Aus der Perspektive der veganen Männlichkeit gilt dann gerade der viel Fleisch konsumierende Normalo-Mann eben als nicht optimal fit und gesund und wird entsprechend gern als Auslaufmodell dargestellt. Vegane Männlichkeit also als eine Art männliche Avantgarde, die vom Wissen geleitet ist, dass man alles, was man braucht, über die vegane Ernährung bekommen kann.
BZ: Und doch ist "Ein Mann braucht Fleisch" als Überzeugung immer noch weit verbreitet.
Paulitz: Das wird gesellschaftlich vermutlich auch kein radikaler Umbruch werden. Vielmehr zeichnet sich eine allmähliche Verschiebung ab, mit der Akzeptanz für das Neue entsteht.
Winter: Das Bild von Männlichkeit ändert sich durchaus: Dass immer mehr Männer ihren Körper aktiv bearbeiten, dass sie hinterfragen, was sie essen, das ist ein neues Phänomen.
Paulitz: Wichtig sind die Zusammenhänge. Was ist die Ursache dafür, dass die Vorstellung davon, ein Mann beziehe seine Männlichkeit aus dem Fleischkonsum, so fest verankert ist? Was wir sagen können, ist, dass die kulturelle Norm "Ein Mann braucht Fleisch" nach wie vor sehr wirkmächtig ist und viele Facetten hat. Sie war und ist stark eingebettet in die Strukturen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die auch mit einer Machtposition verbunden ist: Der "Familienernährer" bekommt traditionell das erste und größte Stück vom Braten.
Paulitz: Absolut. So spielen beispielsweise auch wirtschaftliche Interessen sicher eine Rolle. Nicht zu vergessen, dass die Gesellschaft, also wir alle, auf ganz verschiedenen Ebenen daran beteiligt sind, die Norm aufrecht zu erhalten. Im Fernsehen essen die Leute ständig ganz selbstverständlich Fleisch, in der Kantine gibt es oft kein veganes Menü zur Auswahl. Wer etwas Veganes essen will, muss sich dann unabhängig von den Kolleginnen und Kollegen anderswo um ein Mittagessen kümmern. Geht man gemeinsam essen, sind häufig Sticheleien an der Tagesordnung. Aber es gibt auch durchaus Anzeichen, die in die andere Richtung weisen.
BZ: Zum Beispiel?
Paulitz: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat in ihren zehn Regeln zur gesunden Ernährung die Empfehlung einer bestimmten Fleischmenge pro Woche geändert hin zur Formulierung: "Wenn Sie Fleisch essen...". Auch große Fleischproduzenten wie Wiesenhof haben die vegane Ernährung und entsprechende Ersatzprodukte entdeckt. Da passiert auch etwas auf struktureller Ebene. Oder denken Sie an die immer häufiger anzutreffende Deklarierung veganer Gerichte in Lokalen. Sie erleichtern das Bestellen sehr, da sie die vormals notwendigen komplizierten Erkundigungen über die Zusammensetzung der Speisen überflüssig machen.
Tanja Paulitz ist Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt. Sie forscht und lehrt im Arbeitsbereich Kultur- und Wissenssoziologie. Sie erforscht neben dem Thema Essen und Ernährung hauptsächlich Prozesse der Technisierung und Digitalisierung, Geschlechterverhältnisse und die Fachkulturen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften.
Martin Winter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der TU Darmstadt im Arbeitsbereich Kultur- und Wissenssoziologie. Er arbeitet zu den Themen Ernährung, Körper und Biopolitik sowie Musik und Klang.
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