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"Das war wie eine andere Welt"

Die Familiengeschichte von Zischup-Reporterin Emma Wagner ist eng mit der Geschichte der Teilung Deutschlands verknüpft .  

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Mauerfall 1989. Die Tante von Emma Wag...t mit Freunden auf der Berliner Mauer.  | Foto: Privat
Mauerfall 1989. Die Tante von Emma Wagner feiert mit Freunden auf der Berliner Mauer. Foto: Privat

Berlin Prenzlauer Berg. Zu Besuch bei meiner Familie in Berlin. Auf der Bernauer Straße sieht man Backsteine, die in den Boden eingelassen sind und die Stelle kennzeichnen, an der früher die Mauer verlief. Sie sind ein wenig verwittert. Daneben ragen noch ein paar Überreste der Mauer aus dem Boden, die das Leben so vieler Menschen beeinflusst hat. Auch sie wirken zerbrechlich, alt und doch ehrwürdig.

Im Juli 1945 trafen sich die Sieger des Zweiten Weltkrieges in Potsdam. Sie beschlossen, dass Deutschland zwischen Großbritannien, den USA, Frankreich und der Sowjetunion aufgeteilt werden sollte. Am 23. Mai 1949 wurde die BRD und im Oktober 1949 schließlich auch die DDR gegründet. Kurz darauf entwickelte sich nach und nach der Kalte Krieg. Am 13. August 1961 begann dann der Bau der Berliner Mauer, nachdem viele Menschen aus der DDR in den Westen geflohen sind. Darunter auch der Vater meiner Mutter. Seine Geschichte erzählte mir meine Mutter in der Küche.

Er ist gleich zwei Mal geflohen. Erst von Ostpreußen nach Fürstenwalde und später dann, kurz vor dem Mauerbau, nach Westberlin. "Dann war er auf einmal ein Westberliner", sagt meine Mutter Viola Wagner, während sie am Herd steht und Butter in die Pfanne gibt.

"Deswegen fühlte er sich immer noch mit den Ostberlinern verbunden, auch wenn sie eine Mauer voneinander trennte", erzählt sie weiter. Bis 1963 wurde der Grenzbereich noch verstärkt und der Todesstreifen entstand. Die Grenzsoldaten hatten den Befehl, auf Fliehende zu schießen, und das wiederum führte zu vielen Toten.

"Wir haben immer im Lichtenrader Wäldchen gespielt und hatten dort einen Kletterbaum, von dem aus man das riesige Grenzgebiet und die vielen Grenzbeamten sehen konnte", erzählt die in der Pfanne rührende 46-Jährige.

Am 4. September 1989 reichte es den Bürgern der DDR schließlich und die erste Montagsdemonstration fand statt. Von nun an wuchsen diese friedlichen Demonstrationen stetig. Die Menschen verlangten Reise-, Meinungs-, Pressefreiheit, und dass die Stasi sie nicht zu jeder Zeit überwachen sollte. Auch die Menschen im Westen waren empört. "Wir konnten immer sehen, dass da auf der anderen Seite ein Land war, das wir nicht betreten konnten", sagt meine Mutter, während sie die Pilze in die Pfanne gibt. "Wenn wir dann dort waren, dann war das wie eine andere Welt. Man konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass diese Welt so neben unserer existiert hat", erzählt sie weiter.

Am 9. November 1989 verkündete Günter Schabowski in einer Pressekonferenz ein neues Reisegesetz, das er zuvor von Egon Krenz überreicht bekommen hatte. Offenbar hatte er übersehen, dass das neue Ausreisegesetz erst am nächsten Morgen in Kraft treten sollte. Als sich noch in der Nacht tausende Menschen am Grenzgebiet versammelten, waren die Grenzbeamten zunächst überfordert, da sie keine Anweisungen besaßen. "Alle DDR-Bürger dürfen ab sofort in den Westen ausreisen, hat Schabowski gesagt. Wir konnten es am Anfang alle nicht glauben. Die Grenze war offen. Mein Vater sprang im Flur auf und ab und war voll aus dem Häuschen. Als dann der erste Besuch aus der DDR mitten in der Nacht kam, war er so gerührt, dass er sogar Tränen in den Augen hatte", erzählt sie mir, während sie die Soße mit Sahne ablöscht und es darauf kurz laut zischt.

Als am 3. Oktober 1990 Deutschland wieder zu einem geeinten Staat wurde, freut sich ein ganzes Volk. "Ich weiß noch genau, wie wir das erste Mal nach dem Mauerfall an der Mauer entlangliefen und plötzlich einen Grenzsoldaten sahen, der an der Mauer lehnte und auf uns herabschaute. Ich hab einen riesen Schrecken bekommen, die Hände hochgehoben und gesagt: Bitte erschieß mich nicht! Der Beamte hat nur gelacht und gesagt: Nein, die Mauer ist doch offen, ich schieße nicht mehr!", sagt meine Mutter, den Schrecken von damals noch im Gesicht. "Das war dann der Moment, an dem ich es wirklich kapierte. Die Mauer war offen!"

In der Silvesternacht 1990 feierten tausende Menschen auf der Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor. "Es war ein irres Gefühl dort zwischen Ost- und Westberlinern zu stehen", sagt meine Mutter, während sie das Essen auf den Tisch stellt.

Ich habe die Mauer nie gesehen, sie ist für mich weit weg. Ich kann sie mir gar nicht richtig vorstellen und doch ist sie eng mit meiner Familie verbunden. Hier in der Bernauer Straße werden Mauer und Familiengeschichte zum ersten Mal real. Auch heute noch, nachdem die Mauer schon seit über 30 Jahren nicht mehr steht, existieren noch immer Unterschiede zwischen Ost und West. Das sind zum Beispiel die unterschiedlichen Mietpreise oder die höhere Arbeitslosigkeit im Osten. Das ist doch verrückt.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 29. April 2022: PDF-Version herunterladen

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