Zischup-Interview
"Wir mussten häufig hungrig zu Bett"
Im Rahmen des Zischup-Projekts hat Alicia Lescher aus der Klasse 8.1. des Freiburger Montessori-Schulhauses ihre 81-jährige Nachbarin Gertrude W.* befragt. In dem Interview erzählt sie von ihrem Leben während des Zweiten Weltkrieges.
Alicia Lescher, Klasse 8.1., Evangelisches Montessori-Schulhaus (Freiburg)
Do, 4. Jul 2019, 10:35 Uhr
Schülertexte
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Zischup: Was waren Ihre schönsten Erinnerungen an die Kindheit?
Gertrude W.: Es war wunderbar, dass wir unbeschwert draußen spielen konnten. Wir hatten außerdem eine Mutter, die uns sehr gerne hatte.
Zischup: Sie wurden 1938 geboren und waren erst ein Jahr alt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Gertrude W.: Mein Vater musste als Soldat am Krieg teilnehmen. An ihn kann ich mich kaum erinnern, weil er immer nur kurz auf Fronturlaub zu Hause war. Dann gab es immer Bohnenkaffee und Kuchen. Das war etwas Besonderes. Er ist gestorben, als ich vier Jahre alt war.
Zischup: Woran ist Ihr Vater gestorben?
Gertrude W.: Mein Vater war in Russland stationiert. Er hatte einen Freund, der von der Armee desertierte. Leider wurde er gefunden und zurückgebracht. Mein Vater sollte ihn erschießen. Als er sich weigerte, musste er zur Strafe die Erkennungsmarke von seinem Freund suchen, die alle Soldaten um den Hals tragen mussten. Es lagen bereits viele tote Soldaten auf dem Feld. Er hat sich vermutlich bei der Suche nach der Marke an Flecktyphus angesteckt. Er ist kurze Zeit später daran erkrankt und verstorben. Meine Mutter hat davon per Telegramm erfahren. Erst bekam sie ein Telegramm, dass mein Vater im Lazarett liegt. Eine halbe Stunde später erhielt sie das zweite Telegramm, dass er verstorben ist.
Zischup: Hatten Sie Angst vor dem Krieg?
Getrude W.: Nein. Aber Angst zu verhungern. Wir mussten häufig hungrig zu Bett, weil meine Mutter nicht genügend zu Essen hatte. Sie ist oft zehn Kilometer und mehr zu Fuß bis in den Kaiserstuhl gelaufen, um von den Bauern Essen zu bekommen. Als Gegenleistung musste sie auf dem Feld arbeiten. Von dem Wenigen, das sie bekam, musste sie abends noch der Nachbarin etwas abgeben, die auf uns Kinder aufgepasst hat.
Zischup: Konnten Sie zur Schule gehen?
Gertrude W.: Ich bin mit sechs Jahren in die Adelhauser-Schule gekommen. Nach der ersten Klasse fiel die Schule für ein Jahr aus. Als im November 1944 Freiburg so stark zerstört wurde, mussten die Leute, die ausgebombt wurden, in der Schule untergebracht werden. Insgesamt war ich nur sechs Jahre in der Schule.
Zischup: Wie ging es danach weiter?
Gertrude W.: Ich habe eine Ausbildung als Erzieherin gemacht und in einem Kindergarten gearbeitet. Meine Mutter hatte ein Haus im Freiburg gekauft, da bin ich 1961 mit hingezogen. Kurze Zeit später habe ich meinen Mann kennengelernt und ihn geheiratet.
Zischup: Wie haben Sie Ihren Mann kennengelernt?
Gertrude W.: Ich wollte immer Kinder, aber keinen Mann. Meine Mutter hatte über das Jugendamt Kontakt zu einem Kinderheim in Zähringen erstellt. Nach ihrem Besuch hat sie mir von einem neun Monate alten Mädchen vorgeschwärmt. Wir sind dann beide hin und haben vereinbart, dass wir das Kind mit nach Hause nehmen. Allerdings wussten wir nicht, wie wir das Kind transportieren sollten. Meine Mutter kannte einen jungen Nachbarn, der einen blauen Käfer besaß. Mit ihm zusammen sind wir die kleine Karo abholen gefahren. Zum Dank haben wir ihn dann zum Essen eingeladen. Ich habe danach versucht, ihm immer zufällig über den Weg zu laufen. Irgendwann hat er mich ins Kino eingeladen und dann hat sich das so entwickelt. Kurze Zeit später haben wir geheiratet.
Wir haben dann noch ein weiteres Pflegekind bei uns aufgenommen, und ich habe noch ein leibliches Kind bekommen. Somit waren wir dann eine fünfköpfige Familie.
* Ihren vollen Namen wollte die Gesprächspartnerin von Zischup-Reporterin Alicia Lescher nicht nennen.
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