Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg
"Über den Tod unserer Väter haben wir kaum gesprochen"
Klaus Roland, geboren 1935 in Mönchengladbach, lebte ab 1937 in Emsdorf (Bayern) mit seiner Mutter und seinem Bruder. Er erzählt von seiner Familie, seinen Erlebnissen und seinen damaligen Vorstellungen vom Kriegsgeschehen.
Matthias Fischer, Goethe-Gymnasium Emmendingen & Klasse 9b
Mo, 26. Mär 2012, 11:59 Uhr
Schülertexte
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Klaus Roland: Ja, da gibt es in der Tat ein Erlebnis, an das ich mich bis heute erinnere: Als ich zehn Jahre alt war, also im Jahr 1945, haben wir mit englischen Soldaten ein kleines Fest in Emsdorf gefeiert, nachdem der Krieg zu Ende war. Für die Erwachsenen gab es Zigaretten und für die Kinder gab es Schokolade. Mit den englischen Soldaten haben wir Kinder uns schnell angefreundet, es war ein schöner Abend. Doch für meine Mutter war selbst das Kriegende kein Grund sich zu freuen.
Zischup: Warum?
Roland: Nun, meine Mutter wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, dass sie Witwe geworden war, da mein Vater 1943 in russischer Gefangenschaft verstorben war. Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch jung war, fiel mir schon früh auf, dass sie bis zu ihrem eigenen Tod neun Jahre später nicht über den Tod meines Vaters hinweggekommen ist.
Zischup: Wurde in ihrer Familie nach dem Krieg noch über ihren Vater gesprochen?
Roland: Nein, obwohl wir ihn alle sehr vermisst haben. Besonders für meine Mutter war es ein absolutes Tabuthema, über den Krieg oder meinen Vater zu sprechen. Die einzige Ausnahme war an seinem Todestag, da haben wir jedes Jahr ein Bild von ihm aufgestellt und für ihn gebetet. Aber man muss auch dazusagen, dass der Tod meines Vaters meinen Bruder, meine Mutter und mich sehr eng zusammengeschweißt hat.
Zischup: Wie wurde denn beispielsweise in der Schule das Thema Krieg behandelt?
Roland: Nach dem Krieg wurde die Rassenlehre sofort aus dem Lehrplan gestrichen. Unsere Lehrer waren insgeheim immer gegen Rassenlehre und Judendiskriminierung gewesen, haben das aber erst nach dem Krieg preisgegeben. Was uns Kinder betrifft, saßen wir fast alle im gleichen Boot, es war eine Ausnahme, wenn ein Kind in unserem Alter zu diesem Zeitpunkt noch einen Vater hatte. Es war zwar kein Tabuthema bei uns, über unsere Väter zu reden, doch trotz allem hat man das eher vermieden.
Zischup: Warum?
Roland: Nun, viele meiner Mitschüler kannten ihre Väter noch sehr gut. Nachdem wir dann erfuhren, dass sie nicht mehr nach Hause kommen, war das für viele von uns ein Schock, denn alle von uns hatten ein sehr gutes Verhältnis zum eigenen Vater gehabt.
Zischup: Gab es eigentlich Juden in ihrer Heimat?
Roland: Ja, es gab eine dreiköpfige jüdische Familie in unserem Dorf.
Zischup: War diese Familie vor Diskriminierung sicher? Was geschah mit der Familie?
Roland: Unser Dorf war eine bewundernswerte Ausnahme. Diese jüdische Familie wurde bei uns ohne Wenn und Aber akzeptiert und war auch innerhalb unseres Dorfes vor Diskriminierung geschützt. Als die Behörden dann die Familie abholen wollten, sagte unser Pfarrer, der katholisch war, sie seien geflohen. In Wahrheit hatte er sie bei sich zu Hause im Keller versteckt, da er viel über die Judenverfolgung wusste und ihm die christliche Nächstenliebe sehr am Herzen lag. Für diese Tat gebührte ihm große Anerkennung von der Gemeinde.
Zischup: Aber widersprach diese Tat nicht dem, was man Ihnen in der Schule lehrte, zum Beispiel dass man einem Juden nicht helfen durfte?
Roland: Natürlich widersprach das der Rassenlehre, aber dass der Pfarrer damals der jüdischen Familie geholfen hatte, wussten sowieso nur wenige Erwachsene, und die erzählten es nicht weiter, auch um uns zu schützen. Ich erfuhr von der Geschichte erst viele Jahre nach Kriegsende.
Zischup: Was stellten Sie sich denn damals als Kind unter Krieg vor?
Roland: Uns Kindern wurde immer gesagt, dass unsere Väter gerade in einem großen Abenteuer, also dem Krieg, sind um dem "Führer" zu helfen. Wir Kinder waren deswegen auch sehr stolz auf unsere Väter, auch wenn wir sie sehr vermisst haben. Schon von klein auf waren wir immer sehr abenteuerlustig und haben mit Pistolen aus Holz oft im Wald Krieg gespielt.
Zischup: Um noch einmal auf Hitler zurück zu kommen, wie dachten Sie und andere Kinder über ihn?
Roland: Hitler war für uns ein absolutes Vorbild, wir wollten damals alle so sein wie er. Er war wie ein Held für uns, der Retter einer ganzen Nation. Nachdem er sich dann das Leben genommen hatte, waren wir sehr verwirrt und orientierungslos. Ich habe das damals überhaupt nicht verstanden. Auch dass in der Schule die Rassenlehre abgeschafft wurde, morgens keine Nazilieder mehr gesungen wurden und dass in unserem Klassenzimmer keine Bilder mehr von Hitler hingen, hat mich und auch andere Klassenkameraden sehr verwirrt.
Zischup: Wie beurteilen Sie Ihre Kindheit während und nach des Krieges insgesamt?
Roland: Ich muss ehrlich zugeben, es gibt für mich schon einige schöne Erinnerungen, aber ich bin natürlich froh, dass die Jugend von heute nicht in einer Diktatur oder in einem Krieg aufwachsen muss. So etwas wie damals darf nie wieder passieren.
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