Zischup-Interview
Im Zweifel für den Angeklagten
Amelia Itschert, Emma Klecker und Olha Svidrun haben Jugendrichterin Birgitta Stückrath vom Jugendgericht Freiburg interviewt. Ein Gespräch über pädagogische Maßnahmen, Urteile und Freisprüche.
Amelia Itschert, Emma Klecker, Olha Svidrun, Klasse 8b, Deutsch-Französisches-Gymnasium & Freiburg
Mi, 4. Jun 2014, 11:16 Uhr
Schülertexte
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Zischup: Wie lange dauert die Studienzeit, wenn man Richter werden will?
Stückrath: Als ich studiert habe, lag die Studienzeit im gefühlten Schnitt etwa bei sechs Jahren, heute geht das aber schneller. Normalerweise dauert das Studium nun vier Jahre, und dann schließt sich noch ein Referendariat an. Das war früher drei Jahre lang und dauert heute in abgekürzter Form nur noch zwei Jahre. Wenn alles gut geht, kann man in gut sechs Jahren fertig sein.
Zischup: Hat sich denn der Beruf allgemein sehr verändert in den letzten Jahren?
Stückrath: Der Beruf hat sich sehr verändert. Zunächst sind wir alle heute durch Computer vernetzt. Früher haben wir alles mit der Hand geschrieben, heute haben wir ein Computerprogramm mit Fallmanagement. Am Ende dieser Entwicklung wird stehen, dass wir einen Fall bekommen, der dann als elektronische Akte aufbereitet wird. Eine andere Entwicklung ist, dass wir mit immer weniger Richterinnen und Richtern immer mehr Fälle bei einem veränderten Dienstleistungsdenken und immer komplexer werdenden Rechtsfragen zu klären haben. Auch das allgemeine Sicherheitsgefühl von einigen Kollegen ist erschüttert, nachdem es immer wieder zu Gefahrensituationen bei Ausübung der richterlichen Tätigkeiten kommt. Aufsehen erregte im Jahr 2012 insbesondere ein Fall des Amtsgerichts Dachau. Dort wurde während der Urteilsverkündung ein junger Staatsanwalt aus heiterem Himmel vom Angeklagten erschossen!
Zischup: Welche Forderungen erheben die Richter von heute?
Stückrath: Die meisten von uns wünschen sich, dass mehr Richterinnen und Richter eingestellt werden, um die anfallenden Fälle mit ausreichend Zeit gut erledigen zu können. Und viele fordern eine Verbesserung der Sicherheitslage an den Gerichten durch die Einrichtung ständiger Eingangskontrollen.
Zischup: Was muss man mitbringen für den Beruf, braucht man bestimmte Charaktereigenschaften oder Fähigkeiten?
Stückrath: Zunächst sind formelle Voraussetzungen zu erfüllen, was bedeutet, dass man ein gutes Examen braucht. Wenn man Jugendrichter werden will, kann man das zudem nicht direkt am Berufsanfang machen. Sondern man muss in irgendeiner Form auch nachweisen können, dass man sich mit Erziehung auskennt. Schließlich muss man belegen, dass man sich auf diesem Gebiet fortbildet, nicht zuletzt, weil sich die Anschauung, wie man mit Jugendlichen umgeht, immer wieder verändert. Und ansonsten ist es meiner Meinung nach wichtig, dass man kommunikativ ist, dass man mit den Angeklagten nicht "abgehoben" spricht, und dass man einfach auch Freude am Umgang mit Menschen hat.
Zischup: Haben die Jugendgerichte eine andere Stellung als normale Gerichte?
Stückrath: Das Jugendgericht ist ein spezielles Gericht und es ist auch gegenüber den allgemeinen Strafgerichten beim Amtsgericht, die Erwachsene verurteilen, ein höherrangiges Gericht. Beim Jugendgericht geht es mehr um die Frage: "Was muss ich veranlassen, damit der Angeklagte eine bestimmte Straftat nicht mehr begeht, und was ist erzieherisch geboten?" Das kann etwas ganz anderes sein, als das, was ein Erwachsenen-Richter sagen würde. Der fragt nämlich vorrangig danach, was die Schuld, die ein Täter auf sich geladen hat, als Strafe gebietet. Das ist vom Schwerpunkt her einfach eine andere Betrachtung.
Zischup: Sind Sie auch in Prozessen Richterin, in denen die Angeklagten keine Jugendlichen sind?
Stückrath: Ja, denn ich bin auch Vorsitzende des Jugendschutzgerichts, vor dem Straftaten von Erwachsenen verhandelt werden, bei denen die Opfer Kinder oder Jugendliche sind.
Zischup: Aber das muss einen doch auch emotional berühren, wenn man Jugendliche sieht, die Opfer von Gewalt- oder Sexualstraftaten wurden. Fällt es Ihnen nicht schwer, bei solchen Fällen objektiv zu bleiben?
Stückrath: Ich glaube, es ist immer wichtig, dass man eine gewisse Distanz zu den Fällen hat. Das hilft einem dabei, neutral zu bleiben. Was die Jugendschutzfälle von anderen Fällen unterscheidet, ist, dass man mehr mit seinen Emotionen dabei ist, weil man zum Teil berührt und entsetzt ist, über das, was geschehen ist. Auch leidet man immer mit den Opfern ein Stück weit mit, und denkt manchmal auch noch über die Verhandlung hinaus über die Umstände, die Täter dazu bewegen, solche Straftaten zu begehen, nach. Die geforderte Neutralität und Objektivität empfinde ich nicht als das Problem, sondern die menschliche Konfrontation mit solchen Straftaten, die zum Teil auch ganz erhebliche Folgen für die Betroffenen haben.
Zischup: Und denken Sie dann über diese Prozesse auch noch in Ihrer Freizeit nach, oder können Sie dann ganz abschalten?
Stückrath: Immer abschalten zu können wäre wünschenswert, aber kostet immer wieder auch Überwindung. Grundsätzlich gelingt es mir ganz gut, dass ich abschalte, aber nicht immer. Wenn ich merke, dass ich mir zu viele Gedanken über einen Fall mache, der abgeschlossen ist, dann versuche ich, ganz bewusst meine Gedanken abzulenken. Es ist ganz wichtig, dass man irgendwann auch einen Schlussstrich zieht, wenn ein Verfahren vorbei ist, sodass man wieder den Kopf frei kriegt für neue Verfahren.
Zischup: Gibt es manchmal Momente, in denen Sie an einem Fall sitzen, wo Sie einfach nur denken: "Jetzt will ich kein Urteil sprechen"?
Stückrath: Das hängt davon ab, ob ich als Jugendrichterin alleine entscheide, oder ob ich als Vorsitzende des Jugendschöffengerichts tätig werde. Im letzteren Fall fälle ich das Urteil mit zwei Schöffenrichtern zusammen. Die gemeinsamen Gespräche über den Fall helfen sehr bei der Entscheidungsfindung. Es liegt in der Regel auch eine hilfreiche Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe vor. Und im Übrigen: Ich habe überhaupt kein Interesse daran, bestimmte Urteile zu fällen. Wenn ich Zweifel habe, dann spreche ich frei. Es müssen aber wirklich ernsthafte Zweifel sein.
Zischup: Welche Straftaten begehen Jugendliche am häufigsten?
Stückrath: Meistens werden Sachen geklaut, an die Jugendliche nicht gelangen können, weil sie entweder zu jung dafür sind, oder es sich nicht leisten können. Ein paar Beispiele dafür wären Alkohol, Kleider, Parfüms oder Zigaretten.
Zischup: Beachten Sie es sehr, wenn jemand auch wirklich Reue zeigt?
Stückrath: Ja, das ist ganz wichtig. Wenn der Angeklagte wirklich Reue zeigt, kann man davon ausgehen, dass er seine Straftat nicht wiederholen wird. Aber wenn der Angeklagte keinerlei Regung zeigt, und es ihm eher egal zu sein scheint, muss man eher davon ausgehen, dass er diese Straftat nochmal begehen würde.
Zischup: Was mögen Sie an ihrem Beruf am meisten?
Stückrath: Am meisten gefällt mir meine Unabhängigkeit. Ich glaube nicht, dass man diese Freiheit in vielen Berufen hat.
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