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Gescheiterte Flucht aus der DDR

Fernschach auf einem Stück Klopapier

Hartwig Kluge war 22 Jahre alt, als er versuchte, aus der DDR zu fliehen. Anna-Lena Gippert und Lena Bürger aus der Klasse 9c des Freiburger Wentzinger-Gymnasiums waren bei einem Vortrag Kluges.  

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Hartwig Kluge erzählt aus seinem bewegten Leben.  | Foto: Thomas Muschiol
Hartwig Kluge erzählt aus seinem bewegten Leben. Foto: Thomas Muschiol
"Ich saß den ganzen Tag nur rum. Außer meinem Kopf konnte ich nichts nutzen. Drei Tage lange überlegte ich, wie die Hauptstadt von Malawi heißt." So schildert Hartwig Kluge seine ersten Wochen im ungarischen Gefängnis. In einem Klassenzimmer des Wentzinger-Gymnasiums in Freiburg läuft der 73-Jährige auf und ab und erzählt von den schrecklichen Monaten.
Am Donnerstag, den 5. März 2020 berichtete er als Zeitzeuge den Abiturienten und Abiturientinnen von seinem Fluchtversuch aus der DDR und seinem Gefängnisaufenthalt.

Mit 22 Jahren floh der damalige DDR-Bürger über die ungarische Grenze nach Westdeutschland. Zumindest war dies der Plan, denn noch vor der Grenze wurde er am 3. Januar1969 aufgegriffen und in einem ungarischen Gefängnis inhaftiert. Seine Familie wusste nichts von seinem Fluchtversuch, da jeder, der von einem Fluchtversuch wusste, es aber nicht meldete, bestraft wurde. Vier Wochen kein Deutsch, das sei, so Kluge, im ungarischen Gefängnis das Schlimmste für ihn gewesen. Nach einem ganzen Monat wurde er zurück nach Deutschland gebracht, in den "Roten Ochsen" in Halle. Das Gefängnis heißt "Der rote Ochse" aufgrund seiner Bauform, welche aussieht wie ein Ochse mit seinen zwei Hörnern und den roten Backsteinen, erzählt Kluge den aufmerksamen Abiturienten.

Im "Roten Ochsen" brachte ihm sein Zellengenosse das Knastalphabet bei. Dies funktioniert wie folgt: Für "A" einmal klopfen und für "Z" sechsundzwanzig Mal. Jeder Buchstabe des Alphabets hat einen eigenen Klopfcode. Die zeigt Herr Kluge den Abiturienten auf einem Tisch. Für ihn sei das eine "tolle Sache" gewesen, da er sich seit dem Zeitpunkt nicht mehr nur mit seinem Zellengenossen unterhalten konnte, sondern auch mit den Inhaftierten aus den Nachbarzellen. Nachdem er das Knastalphabet beherrschte, brachte ihm ein Mithäftling aus der Nachbarzelle das Fernschach bei. Natürlich ging auch die Erklärung nur über das Knastalphabet.

Für das Fernschach mussten sie mithilfe eines abgebrannten Streichholzes ein Schachbrett mit 64 Feldern auf ein Stückchen Klopapier zeichnen, welches nicht größer war als ein Din-A5 Blatt. Die Streichhölzer bekommen sie vom Gefängnis, aber nicht mehr als 3 Stück und nur für Raucher. Klopapier hingegen bekommt jeder 6 Stück, das ist die Tagesration. Eine Partie Fernschach konnte bis zu acht Tagen gehen. Natürlich durften die Gefängniswärter davon nichts mitbekommen, deshalb hielt sein Zellengenosse Wache. Im Nachhinein spricht Kluge von "Ein Stückchen Freiheit im Knast". Seine Familie konnte ihn einmal im Monat besuchen und kleine Leckereien mitbringen, wie zum Beispiel Kuchen oder Obst. Diese wurden natürlich streng kontrolliert.

Etwas bedrückt berichtet Kluge von seinen insgesamt 20 Verhören, in denen die Stasi die Identität seiner Fluchthelfer herausbekommen wollte. Doch obwohl er einmal 20 Stunden lang angeschrien wurde, gestand er nicht. Nach einem Jahr und acht Monaten in Haft wurde er nach Chemnitz gebracht, wo er allerdings nur ein paar Tage bleiben musste, bis er die erlösende Nachricht bekam: Die DDR warf ihn raus. "Sie sind es nicht würdig, sich in der DDR aufzuhalten. Wir entziehen Ihnen Ihre Staatsbürgerschaft". So lautete der Grund für seinen Verweis. Für Kluge aber war klar: Die Bundesrepublik hatte ihn freigekauft. So kam es, dass er nach seiner Haft endlich wieder seine Familie sah, die ihn schon tot geglaubt hatte. Den Mauerfall verfolgte er von Lörrach aus im Fernsehen - für ihn eine Art Erleichterung.

Heute hält Herr Kluge einmal im Jahr einen Vortag im "Roten Ochsen". Für ihn persönlich ist es ein etwas komisches Gefühl, einen Vortag zu halten und zu wissen, dass zwei Zellen weiter seine eigene Zelle war – ein ganzes Jahr lang. Am Ende seines Vortags durften wir Herrn Kluge noch persönlich Fragen stellen, wobei unter anderem diese Frage aufkam: "Fällt es Ihnen schwer, über die Geschehnisse zu sprechen?" Herr Kluge antwortete mit einem Lächeln: "Nein, es ist mir ein Bedürfnis." Somit endete ein spannender 90-Minuten-Vortrag über die Zeit der DDR.

Ressort: Schülertexte

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