Ein Gestalter geht und läuft doch weiter
Am 1. Januar 2005 wurden die Jobcenter von der Politik aus der Taufe gehoben, als Ergebnis der damaligen Agenda 2010. Bis heute begleitete Heinz Disch die Entwicklung federführend.
Interview von Michael Sträter
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BZ: Herr Disch, Sie haben bereits freiwillig länger gearbeitet, könnten bereits im Ruhestand sein. Der kommt jetzt.
Ja, aber ehrlich, ich bin kein Rentnertyp. Ich habe auch heute noch, nach 46 Jahren, sehr viel Spaß an meiner Arbeit. Es war eine tolle Zeit mit vielen Herausforderungen, egal, ob in Freiburg, Waldkirch oder die vergangenen zwei Jahrzehnte in Emmendingen. Ich habe viele Menschen kennengelernt, nicht nur unsere Klientel, auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Verantwortlichen bei den Partnerinstitutionen wie Wabe, 48 Grad Süd oder dem Landratsamt und der Bundesagentur für Arbeit Und dann gab es auch tolle Begegnungen mit Politikern bis hinauf auf die Ministerialebene. Bei den regelmäßig stattfindenden Tagen der Jobcenter habe ich Arbeitsministerinnen und -minister wie Ursula von der Leyen oder Hubertus Heil kennengelernt. Und bei diesen Veranstaltungen diese Menschen einfach mal von einer anderen, nahbaren Seite erlebt.
BZ: Sie sprachen von Herausforderungen in den vergangenen Jahren.
Das fängt ja eigentlich schon mit der Gründung des Jobcenters vor 20 Jahren an, als Rolf Wohlfart und ich als eine Art Doppelspitze diese neue Einrichtung aufbauten. Damals trafen die kommunale Welt und der bundespolitische Ansatz der Bundesagentur für Arbeit aufeinander, um Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, damals noch das Arbeitslosengeld II, wurden zusammengelegt, auch um die Vermittlung effektiver zu gestalten. Dafür wurde eigens der Artikel 91e im Grundgesetz geändert. Das war ein wichtiger Schritt, dass wir seither auch diejenigen betreuen und aktivieren können, die vom Arbeitsmarkt relativ weit entfernt waren. Das war zuvor gesetzlich nicht möglich.
BZ: Sie mögen Zahlen, gerade die vom Jobcenter. Wie viele Menschen konnten sie seit 2005 in Arbeit bringen?
Das müssen so um die 20.000 Menschen gewesen sein, jährlich sind es durchschnittlich 1000 unserer Klientinnen und Klienten, die dank unserer Bemühungen Arbeit gefunden haben. Dabei haben wir in Emmendingen immer die Möglichkeit gehabt, Freiräume zu nutzen und kreative Projekte dank Drittmittel, unter anderem Fördergelder vom Bund, zu initiieren. In Sexau gab es ein Gartenprojekt, für das 48 Grad Süd eine brachliegende Gärtnerei angemietet hatte und so einige Langzeitarbeitslose über praktische Arbeit in der Natur in den Arbeitsmarkt integriert werden konnten. Oder ein Erntehelferprojekt mit dem Breisgauer Maschinenring, als Erntehelfer gesucht wurden. So kam es auch, dass das Emmendinger Jobcenter im Landesvergleich immer unter den Topp fünf bei der Zahl der Vermittlungen rangiert, bei 44 Stadt- und Landkreisen ein gutes Ergebnis, das auch durch die Qualität der Beschäftigten erzielt wurde.
BZ: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es aktuell beim Jobcenter.
Gestartet sind wir 2005 mit damals 40 Beschäftigten, mittlerweile liegt die Zahl bei 80.
BZ: Sie sprachen von der Kreativität. Die war in den vergangenen Jahren besonders gefordert, Stichworte Flüchtlingswellen und Corona.
Tatsächlich waren die Jahre 2015 und 2016 eine erste enorme Herausforderung, als es auf einmal unsere Aufgabe war, viele nicht deutsch sprechende Menschen in Arbeit zu bringen. Auf Knall und Fall wuchs die Zahl unserer Klientel, von den Geflüchteten kamen rund dreiviertel aus Syrien. Damals haben wir das Zentrum Arbeit für Flüchtlinge, kurz ZAF, etabliert, mit einem eigenen Team, das sich mit gutem Erfolg um die Flüchtlinge gekümmert hatte. 2022 standen wir dann mit den Geflüchteten aus der Ukraine vor ähnlichen Problemen, besonders, als quasi über Nacht die Ukrainerinnen und Ukrainer Leistungen nicht mehr nach dem Asylbewerbergesetz erhielten, sondern Bürgergeld. Damals stieg die Zahl der Leistungsempfänger um mehr als 20 Prozent. Auch diese wurden von einem separaten Team betreut, das schon auf die Erfahrungen der ersten Welle zurückgreifen konnte. Aber hier waren die Vorgaben dann auch andere, es ging zunächst um den Spracherwerb und dann darum, diese Menschen in Arbeit zu bringen. Die allergrößte Herausforderung aber war Corona.
BZ: Warum?
Es gab zahlreiche Probleme, die wir bewältigen mussten. Wir konnten nicht mehr mit unserer Klientel persönlich sprechen, Mitarbeitende waren krank und fielen aus. Da wir aber zur sogenannten systemrelevanten Infrastruktur gezählt wurden, bekamen die Beschäftigten Sonderausweise, damit sie auch in den Lockdowns ins Jobcenter kommen konnten. Wir haben versucht, bestmöglich das persönliche Gespräch mit den von uns betreuten Menschen aufrechtzuerhalten, es gab zum Beispiel die sogenannten Elzspaziergänge an der frischen Luft, bei denen wir beraten haben. Und natürlich hat sich auch das Homeoffice hier entwickelt. Aber letztlich haben wir gemerkt, dass der persönliche Kontakt zur Klientel schwieriger wurde, teils verloren ging. Da ist eigentlich erst seit 2023 wieder eine Besserung eingetreten. Aber wir haben stets versucht, den sozialen Auftrag zu erfüllen, Menschen die Sicherheit zu geben, dass sie finanziell abgesichert sind, sei es durch die Arbeitslosenhilfe II oder jetzt das Bürgergeld.
BZ: Stichwort Bürgergeld. Das muss aktuell für alle gesellschaftlichen Fehlentwicklungen herhalten. Wie fühlen Sie sich und Ihre Kolleginnen und Kollegen eigentlich damit, wenn ihr Klientel zum Spielball der Politik wird?
Ich finde diese Entwicklung sehr bedenklich und sie wird dem Bürgergeld, das eine gute Sache ist, einfach nicht gerecht. Ohne diese Unterstützung geht es für viele Menschen einfach nicht. Es ist schade, dass das Bürgergeld immer so negative Schlagzeilen bekommt. Etwa das Vorurteil derjenigen, die es sich in der sozialen Hängematte bequem machen, als Totalverweigerer gesehen werden, die die Hand aufhalten. Die kann man in Emmendingen an einer Hand abzählen. Aber wenn wir jährlich doch 1000 Menschen haben, die motiviert sind und fünf querschlagen, dann brauchen wir doch keine neuen Gesetze. Wichtig ist es, dass wir einen Kontakt aufbauen. Der Zugang geht nicht über Sanktionsandrohungen.
BZ: Was macht Heinz Disch im Ruhestand?
Er bleibt aktiv. Ich trainiere für den Frankfurt-Marathon im Oktober, werde reisen und möglichst viele Konzerte besuchen, besonders mit Bands aus den 70er- und 80er-Jahren. Und ich werde die Reihe meiner Youtube-Tutorials fortsetzen. Ich kann gut Mango schneiden, Ananas und Grapefruit schneiden. Und da bin ich aufgefordert worden, das Wie in Videos zu erklären. Und wenn ich Zeit habe, kommt die Königsdisziplin, die Papaya, dazu.
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