Trauma und neues Leben
Flucht aus der Ukraine nach Freiburg
Im Interview erzählen Vera Voloshchuk, ihr Sohn Roman, Olga Malashok und ihre Kinder, wie sie den Raketenbeschuss in Kiew erlebt haben und warum sie ihre Heimat so sehr vermissen.
Elias Grosschedl, Klasse 8b, Friedrich-Gymnasium (Freiburg)
Do, 28. Apr 2022, 16:20 Uhr
Schülertexte
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Meine Mutter stammt aus Kiew und engagiert sich für ukrainische Flüchtlinge. So kam ich, Zischup-Reporter Elias Grosschedl aus der Klasse 8b des Friedrich-Gymnasiums in Freiburg, auf die Idee, mit Flüchtlingen ein Interview zu führen. Ich lernte zwei Familien kennen, die dazu bereit waren. Meine russischen Sprachkenntnisse halfen mir bei dem Gespräch. Vera Voloshchuk und ihr Sohn Roman sowie Olga Malashok und ihre Kinder Anastasia und Iljuscha sind nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine nach Freiburg geflohen. Das Interview wurde am 25. März geführt.
Zischup: Wie fing der Krieg aus eurer Sicht an?
Voloshchuk: Es war vier Uhr morgens am 24. Februar, als wir durch ein lautes Krachen aus dem Schlaf gerissen wurden. Wir standen alle sofort auf und sahen uns die Nachrichten an. Es hieß, dass Russland die großen Städte Kiew und Charkiw unter Raketenbeschuss genommen hat. Von da an haben wir fast alle fünf Minuten ein Zischen und kurz danach ein lautes Krachen gehört.
Zischup: Wie habt ihr auf dieses Ereignis reagiert?
Malashok: Wir hatten große Angst, dachten aber, dass der Beschuss nur ein bis zwei Tage dauern würde. Als wir feststellten, dass der Raketenbeschuss nicht aufhörte, gerieten wir in große Panik. Wir nahmen unsere Matratzen in den Flur, da wir dort nicht so gefährdet waren.
Voloshchuk: Als ich am nächsten Tag vom Lebensmitteleinkauf in die Wohnung zurückkam, sah ich, wie eine Rakete in ein gegenüberliegendes Gebäude einschlug. Ich spürte, wie alles um uns herum wackelte. Ab diesem Punkt wusste ich, dass unsere Stadt Kiew für meine Familie ein lebensgefährlicher Ort war. Ich beschloss, mit meiner in der Nähe wohnenden Freundin Olga und mit unseren Kindern schnellstmöglich zu fliehen.
Zischup: Wie seid ihr aus der Ukraine geflohen?
Malashok: Wir haben das Allernötigste in Rucksäcke gepackt und sind mit meinem Auto losgefahren. Wir mussten uns zu fünft in das Auto quetschen.
Malashok: Wir standen stundenlang im Stau und hörten ständigen Raketenbeschuss sowie hautnahe Explosionen. Meine Tochter hat immer wieder geweint und konnte sich kaum beruhigen.
Zischup: Zu welcher Grenze seid ihr gefahren und wie lange hat die Fahrt gedauert?
Voloshchuk: Wir haben uns entschieden, zur polnischen Grenze zu fahren, da wir gehört hatten, dass man dort gut aufgenommen wird. Wir waren fast acht Tage unterwegs.
Zischup: Gab es während der Fahrt irgendwelche Komplikationen? Wurdet ihr mal aufgehalten?
Roman: Außer dem Gefechtslärm und den hautnahen Explosionen eigentlich nicht. Jedoch bekam ich am fünften Tag der Fahrt ein hohes Fieber. Zuerst dachten wir, dass es eine Erkältung sei, doch als fiebersenkende Medikamente nicht halfen und das Fieber nicht sank, wussten wir, dass dies etwas Ernsteres war.
Zischup: Wie hat man euch in Polen in Empfang genommen und was habt ihr dort zuerst getan?
Malashok: Man hat uns in Polen mit offenen Armen empfangen und uns mit Essen und Trinken versorgt. Danach wurden wir in ein Flüchtlingslager gebracht, wo wir hofften, einen Schlafplatz zu bekommen. Doch es stellte sich heraus, dass alle Liegen bereits belegt waren. Wir waren verzweifelt und meine kleine Tochter Anastasia war so verängstigt, dass ich sie nicht beruhigen konnte. Ein Organisator hat unsere Situation erkannt und bot uns ein kleines Zimmer an, damit sich meine Tochter beruhigen konnte.
Voloshchuk: Wir besorgten ihm fiebersenkende Medikamente, doch diese halfen nicht. Er war bereits so geschwächt, dass er kaum noch sprach. Wir beschlossen, nach Deutschland weiterzureisen, da eine Bekannte in der Nähe von Freiburg lebt und sich bereit erklärt hat, für uns eine Wohnung zu suchen. Tatsächlich hat sich jemand gemeldet, eine zurzeit leerstehende Wohnung für zwei oder drei Monate anzubieten. Wir fuhren mit dem Auto schnellstmöglich nach Freiburg und suchten zuerst mit Roman die Kinderklinik auf. Die Ärzte stellten bei ihm eine Blutvergiftung fest und sagten, dass er ohne Antibiotika nur noch einen Tag gelebt hätte.
Zischup: Wie habt ihr mit den Ärzten in Deutschland kommuniziert? Gab es sprachliche Schwierigkeiten?
Voloshchuk: Dank der fortgeschrittenen Technologie konnten wir mit der Google-Translator-App unsere Fragen auf Ukrainisch eintippen und dem Arzt die deutsche Übersetzung zeigen und umgekehrt.
Zischup: Was habt ihr getan, als es Roman besser ging?
Roman: Ich war wirklich sehr froh, dass mich die Ärzte rechtzeitig gerettet haben. Anscheinend habe ich durch das Aufkratzen eines Pickels eine Blutvergiftung bekommen.
Voloshchuk: Als es meinem Sohn wieder besser ging, sind wir in die Wohnung, die meine Bekannte organisiert hat, gefahren. Wir waren sehr erleichtert, da wir nun erstmals alle Hindernisse hinter uns gelassen hatten.
Malashok: Wir telefonieren täglich mit ihnen und unseren Verwandten, die dort mutig verharren.
Roman: Ich vermisse meinen Vater sehr und habe Angst, ihn zu verlieren.
Zischup: Was sind eure Wünsche und Pläne für die Zukunft?
Malashok: Wir sind bereits in Deutschland registriert und haben unsere Kinder in der Schule und im Kindergarten angemeldet. Am Montag geht es bereits los. Obwohl wir hier sehr gut aufgehoben sind, hoffen wir natürlich auf ein baldiges Ende des Krieges und möchten danach zurückkehren, da wir unsere Heimat sehr vermissen.
Kommentare
Kommentarbereich ist geschlossen.