Kolonialgeschichte
Völkermord in Namibia – unter deutscher Herrschaft
Zehntausende Menschen der Ethnien Herero und Nama sind zwischen 1904 und 1908 getötet worden – in Deutsch-Südwestafrika. Frauke Wolter beleuchtet ein vergessenes Kapitel.
Di, 14. Jun 2016, 0:00 Uhr
Ausland
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FREIBURG. Die Armenien-Resolution, die der Bundestag jetzt verabschiedete und die den Tod von mindestens 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord verurteilt, hat in der Türkei und hierzulande viel Protest hervorgerufen. Deutschland, so heißt es, messe mit zweierlei Maß – gemeint sind nicht nur die Millionen, von den Nazis ermordeten Juden, sondern auch die Gräueltaten in der Kolonialzeit.
Doch es tut sich etwas: Bereits im vergangenen April, als die Armenien-Resolution schon einmal Thema im Bundestag war, hatte Grünen-Chef Cem Özdemir folgendes gesagt: "Das zweifelhafte Privileg des ersten Völkermords in diesem Jahrhundert – das haben leider wir Deutsche. " Im Juli dann hieß es, die Bundesregierung wolle eine gemeinsame Erklärung mit Namibia herausgeben. "Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord" – dieser Satz gilt inzwischen als politische Leitlinie des Auswärtigen Amts (AA).
Der Bundestag jedoch vermied bislang das Wort Völkermord im Zusammenhang mit den Massakern im heutigen Namibia. Diese Haltung kritisierte Parlamentspräsident Norbert Lammert jetzt im ZDF: "Dass es dazu nicht eine ähnlich unmissverständliche Erklärung auf deutscher Seite gibt, finde ich bedauerlich und im Kontext der jüngeren Auseinandersetzungen auch ein bisschen peinlich", sagte er am Sonntag in Berlin direkt.
"Was den Herero und Nama geschehen ist, die Art und Weise, aber auch die Absicht, die dahintersteckte", sei im Sinne der UN-Definition "ein Völkermord gewesen", macht auch CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz in einem Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur klar. Dabei verweist er auf die schriftlich festgehaltene Anweisung des damaligen Truppenchefs Lothar von Trotha: Demnach gab dieser am 2. Oktober 1904 den Befehl, dass die Herero das Gebiet der Kolonie zu verlassen hatten: "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen."
Polenz ist seit Ende 2014 Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Dialog mit Namibia. Gemeinsam soll die schwierige koloniale Vergangenheit aufgearbeitet werden. Sie begann im August 1884, als in der Lüderitzbucht offiziell die deutsche Flagge gehisst wurde. Ein gutes Jahr zuvor hatte der Kaufmannsgehilfe Heinrich Vogelsang (im Auftrag des Bremer Tabakhändlers Adolf Lüderitz) die Bucht von einem Nama-Häuptling erworben. 1890 wurde eine Schutztruppe aufgestellt, die in den Folgejahren an Personalstärke zunahm, weil sich das Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung verschlechterte: Es gab Konflikte um die Landkäufe der Deutschen Kolonialgesellschaft, die Afrikaner wurden unterdrückt, ausgebeutet, in Weide- und Wasserrechten beschnitten.
1904 erhoben sich die Herero, später die Nama. Durch die Kämpfe, aber auch durch Hunger und Durst sowie menschenunwürdige Bedingungen in den Internierungslagern starben bis zum Ende der Auseinandersetzungen 1908 geschätzt bis zu 64 000 Herero und etwa 10 000 Nama. Es gibt auch Quellen, die von 90 000 Toten sprechen. Im Juli 1915 ergab sich die deutsche Schutztruppe den Südafrikanern, die als Teil des britischen Empires den Deutschen den Krieg erklärt hatten; das formelle Ende der Kolonie markiert der Vertrag von Versailles 1919.
Leicht fällt den Deutschen die Bewältigung ihrer Kolonialgeschichte nicht. Erst 1989 kam es zur einer Entschließung im Bundestag, in der die historische und politische Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia festgestellt wurde; 2004 dann gedachten die Parlamentarier den Opfern des Kolonialkrieges von 1904/1908. In diesem Jahr hatte die ehemalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) bei einem Namibia-Besuch sogar von einem Völkermord gesprochen. Konsequenzen hatte das damals jedoch nicht.
Gleichwohl ist das Bemühen um eine gute Beziehung zu Namibia groß. Ziel ist es, "die Ungleichheiten, die die namibische Gesellschaft als Folge von Kolonialismus und Apartheid noch heute prägen (...) zu beseitigen", heißt es auf der Homepage des Auswärtigen Amtes. Auch deshalb wohl erhält Namibia viel deutsche Entwicklungshilfe: In den vergangenen zwei Jahrzehnten waren das über 800 Millionen Euro (Stand September 2015); das ist die höchste deutsche Leistung pro Kopf in Afrika, so das Auswärtige Amt.
Sie stammen aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika: Die 14 Schädel, die im März 2014 von der Uni Freiburg in einer feierlichen Zeremonie an Namibia zurückgegeben wurden. Jahrzehntelang hatten sie im Archiv gelegen, als Bestandteil der Sammlung des Freiburger Anthropologen Alexander Ecker. Was dieser 1850 begann, führte der Mediziner und "Rassenhygieniker" Eugen Fischer fort. Zwischen 1900 und 1927 ließ er sich Schädel und Weichteile aus den Kolonien für seine Sammlung schicken; 1908 war er persönlich in Deutsch-Südwestafrika und ließ gar Gräber von Nama öffnen. Damals war das üblich: Abenteurer, Wissenschaftler, Kaufleute und Militärs bestückten über Jahrzehnte die Universitätsarchive und so manche private Sammlung, schreibt der Sozialwissenschaftler Heiko Wegmann vom Informationszentrum 3. Welt in der BZ. Entdeckt wurden die Schädel – sowie weitere im Medizinhistorischen Museum der Berliner Charité – 2008. Dies löste in Namibia Bestürzung aus; Vertreter der Herero und der Nama forderten die Rückgabe.
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