Nach Randale
Hamburg räumt nach dem G-20-Gipfel auf
Der G-20-Gipfel endete in einer linksextremistischen Gewaltorgie / Während die Kritik an Bürgermeister Scholz wächst, rechtfertigt die Polizei ihr Vorgehen.
Thomas Maron, dpa & kna
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Die Krawalltouristen treiben es dermaßen wild, dass sogar die hartgesottenen Linksautonomen rund um die Rote Flora, einem besetzten ehemaligen Theater, erschrecken und sich in groteske Argumentationen flüchten. "Wir als Autonome und ich als Sprecher der Autonomen haben gewisse Sympathien für solche Aktionen, aber bitte doch nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen – also warum nicht irgendwie in Pöseldorf oder Blankenese?", sagt der Anwalt der Roten Flora, Andreas Beuth, am Samstagabend im Fernsehen. Die schlimmsten Gewalttäter haben, so die Ermittler, vor allem aus jenen Zeltcamps auf zwei Parkflächen agiert, die der Senat eigentlich hatte verbieten wollen. Das Oberverwaltungsgericht spielte nicht mit, die Stadt musste in zwei Camps jeweils 300 Zelte für 2400 Menschen genehmigen. Unter anderem die brennenden Autos an der Elbchaussee und die Schneise der Verwüstung in Altona gingen auf das Konto von Chaoten, die in diesen Camps nächtigten, heißt es in Ermittlerkreisen. Am Samstagabend beginnt in Hamburg die dritte Nacht der Gewalt. Nicht so schlimm wie die Nächte zuvor, aber schlimm genug. Die Exzesse gerinnen zum Ritual und keiner weiß, wann das endet. Die Stadt kommt einfach nicht zur Ruhe.
Je länger die Ausschreitungen andauern, desto dünner wird das Eis, auf dem sich Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz bewegt. Der Schutt mag bald weg sein, die Bilder aber bleiben. Sie werden kratzen am Bild des Machers, dessen Reinigungstrupps alles unternehmen, die Stadt immer wieder aufs Neue besenrein in den Tag zu entlassen. Für Scholz wird es nicht leicht, seine Haut zu retten, denn die Hamburger beklagen in einigen Stadtvierteln den totalen Kontrollverlust der Staatsgewalt. Scholz war vor seiner Zeit als Bürgermeister mal Innensenator, er gilt als kompromisslos im Kampf gegen Kriminalität, die Hamburger haben das sehr geschätzt. Dieses Bild ist in den brennenden Barrikaden verglüht.
Schon knöpft sich die Hamburger CDU den SPD-Bürgermeister vor. Oppositionschef Andrè Trepoll sagt, Scholz habe bei der Einschätzung der Sicherheitslage komplett versagt. Der Vorwurf trifft Scholz auch deshalb so hart, weil er den Mund vor dem Gipfel ziemlich voll genommen hatte. Bedenken wischte er mit der Bemerkung beiseite, Hamburg richte "ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus". Es werde Leute geben, die sich "am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist". Auch Innensenator Andy Grote ist mit breiter Brust in diese Katastrophe gelaufen. Der Gipfel, so Grote, werde "ein Schaufenster moderner Polizeiarbeit sein". Ein Schaufenster, das wie viele andere jetzt in tausend Scherben zersprungen ist. Aber auch die CDU muss aufpassen. Es war schließlich Bundeskanzlerin Angela Merkel, die um diesen Gipfel im Wahljahr buhlte und die war es auch, die Scholz gefragt hatte, ob Hamburg dafür bereit sei.
Merkel und Scholz erkennen am Freitagmorgen sofort den Ernst der Lage, sprechen sich ab, suchen nach einem Weg, die Lage politisch in der Balance zu halten. Gemeinsam beschließen sie, den Opfern der Ausschreitungen finanziell zu Hilfe zu eilen, und besuchen Einsatzkräfte der Polizei- und Rettungsdienste. Scholz wird das sehr recht sein. Er braucht Bilder der Geschlossenheit, vor allem mit der Chefin der CDU, aus deren Reihen gleichwohl schon harte Attacken gefahren werden.
Scholz räumt inzwischen ein, dass er sein "Sicherheitsversprechen" an die Bürger nicht habe einhalten können. Und das, obwohl beim größten Polizeieinsatz der Hamburger Nachkriegsgeschichte 20 000 Polizisten bereitgestanden sind. Dennoch verteidigt Scholz die Wahl des Gipfelortes noch immer, direkt angrenzend an eines der unruhigsten linken Szeneviertel. Es sei gut, dass die Gespräche in einem demokratischen Land und einer weltoffenen Stadt wie Hamburg stattfänden. Mal sehen, ob die Hamburger ihm da noch folgen wollen.
Auch Merkel steht zu der Entscheidung. Sie wird gefragt, ob sie "für ein paar schöne Bilder im Wahljahr" die Gesundheit von Polizisten aufs Spiel gesetzt habe. Ein harter Vorwurf, den sie weit von sich weist. Die G20 hätten schließlich auch schon in London getagt, sagt sie, "was auch keine kleine Stadt ist". Europa sei nun mal mit seinen vier G-20-Ländern in diesem Jahr dran gewesen, den Gipfel auszurichten. Und weil Italien den G-7-Gipfel in Sizilien stemmen musste, sei es naheliegend gewesen, dass sich Deutschland als "starke Industrienation" bewerbe. Hamburg habe sich angeboten, weil nur eine Großstadt solche Hotelkapazitäten aufbieten könne.
Eine pragmatischere Begründung lieferte Regierungssprecher Steffen Seibert im Juni 2016: Die Entscheidung für Hamburg habe "logistische, auch sicherheitstechnische Gründe", sagte er in Berlin. Das Treffen der Staats- und Regierungschefs musste also schon deshalb in einer deutschen Millionenstadt stattfinden, um die Delegationen, Einsatzkräfte und Journalisten beherbergen zu können.
Die Wahl sei dann auf Hamburg gefallen, so ergaben Recherchen der Deutschen Presse-Agentur, weil Berlin als Regierungssitz ohnehin übermäßig beansprucht sei. München richtet zudem jährlich die Sicherheitskonferenz aus. Ein weiteres Gipfeltreffen wollte man der bayerischen Landeshauptstadt daher nicht zumuten.
Die Wahl des Ortes ist das eine. Das andere aber ist die Einsatzstrategie der Polizei, für die einzig und allein Olaf Scholz am Ende geradestehen muss. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, legt ihm bereits den Rücktritt nahe. "Wenn er keinen Plan hat, wie er linke Gewalt künftig verhindern will, muss er seinen Hut nehmen", sagt Wendt. Zu lange habe Rot-Grün die Umtriebe im Schanzenviertel als linke "Folklore" verharmlost.
Die Polizeiführung rund um den als harten Hund verschrienen G-20-Einsatzleiter Hartmut Dudde muss jetzt vor allem schnell erklären, weshalb sie, nach dem sie noch am Donnerstag äußerst zügig und hart vorgegangen war, im Schanzenviertel am Freitagnacht den wütenden Mob über Stunden gewähren ließ. Und das, obwohl Dudde aus dem Vollen schöpfen konnte. Allein 48 Wasserwerfer standen ihm zur Verfügung.
Die Sicherheitsbehörden zeichnen zur Erklärung das Bild einer komplizierten Lage. Dem Vernehmen nach hätten "Aufklärer" die Einsatzleitung am Freitagabend gewarnt. Mit den Plünderungen und dem Barrikadenbau an der Sternschanze hätten die Randalierer die Polizisten ins nahe gelegene Schulterblatt locken wollen, jener Straße, die zur Roten Flora führt. Dort seien auf Baugerüsten Autonome postiert gewesen, um Gehwegplatten auf die Polizisten zu schleudern und mit Zwillen zu schießen. Innensenator Grote bezeichnete die Situation auf einer Pressekonferenz am Sonntag als "einen bewaffneten Hinterhalt". Dudde musste entscheiden, entweder sofort vorrücken zu lassen und damit Schwerverletzte oder gar Tote zu riskieren, oder aber zu warten, bis Spezialkräfte zur Verfügung standen, die zu diesem Zeitpunkt noch zur Sicherung der Staatsgäste in der Elbphilharmonie gebraucht wurden. Er wartete und ließ die Feuer dadurch immer höher lodern und die Livebilder immer dramatischer werden, bis gegen Mitternacht schließlich endlich der Befehl zum Zugriff erteilt werden konnte. Spezialeinheiten mit Präzisionsgewehren erklommen die Gerüste, setzten Randalierer fest, jagten sie über die Dächer. Hubschrauber leuchteten die Szenerie mit Suchscheinwerfern aus. Erst als kein Beschuss von oben mehr befürchtet werden musste, kämpften sich die Polizisten vor.
Am Morgen danach taucht die aufgehende Sonne die Stadt in ein mildes Licht. Im Transmontana sitzen schon die ersten Gäste vor ihrem Kaffee. Alles ist ruhig, nur das schrabbende Geräusch der Kehrmaschine durchbricht die Stille, die vor der Roten Flora ihre Bahnen zieht. In einer Barrikade glimmt noch verkohltes Holz, daneben ein Feuerlöscher.
Schon am Samstag wollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Hamburg kommen, Flagge zeigen in der Hansestadt, der Polizei danken und Gewalttäter verurteilen. Doch so schnell ging es nicht, der Gipfel war ja noch im Gange. Auch am Sonntagmorgen stehen auf dem Flughafen Fuhlsbüttel noch Sondermaschinen, die Delegation Südkoreas wartet auf den Abflug.
Ganz einfach ist es nicht für Steinmeier, sich dem Geschehen zu nähern. "Nicht nur wichtig, sondern notwendig" sei es, dass sich der Bundespräsident hier zeigt, sagt er im Hamburger Polizeipräsidium in Alsterdorf. "Respekt und Anerkennung" will er den Sicherheitsleuten erweisen. Und er fragt nach. Die Polizei gibt sich selbstbewusst. Immerhin sei das wichtigste Ziel, nämlich der Schutz der Gäste, erreicht worden. Dann geht es weiter zum Bundeswehrkrankenhaus. Auf dem Weg keine Spur von Randale und den Folgen. In der Klinik werden verletzte Polizisten behandelt, Einzelheiten erfährt man nicht. "Ganz herzlichen Dank für den Einsatz Ihrer Kolleginnen und Kollegen während des G-20-Gipfels", schreibt der Bundespräsident ins Gästebuch.
Dann aber steht Steinmeier vor den Messehallen, dem Schauplatz des Gipfels, der wohl weniger wegen seiner überschaubaren Ergebnisse in Erinnerung bleiben wird. "Da sind einige mit Rücksichtslosigkeit und maßloser Zerstörungswut vorgegangen", sagt er in die Mikrofone. "Was ich gesehen habe an Bildern, das schockiert, das erschüttert mich, das macht mich fassungslos".
Und dann kommt die Botschaft dieses Kurzbesuchs: Große Konferenzen wie der G-20-Gipfel erreichten vielleicht nicht immer das Notwendige. "Aber wie anders soll es denn überhaupt Fortschritte geben?", fragt Steinmeier. Wenn ein demokratisch gefestigtes Land wie Deutschland sich nicht mehr in der Lage sehe, Treffen wie diese auszurichten, "dann überlassen wir die Entscheidung einigen wenigen brutalen Gewalttätern".
Dass sich Steinmeier damit klar von der Position seines Nachfolgers als Außenminister, Sigmar Gabriel, und von SPD-Chef Martin Schulz abgrenzt, die die G-20-Tagungen künftig immer in New York sehen wollen, ist ihm bewusst. Ihm geht es aber auch um das Selbstbewusstsein der Demokratie. Und deshalb lobt er die Bürger, die längst begonnen haben, die Schäden in der Stadt zu beseitigen. "Hamburg räumt auf" sei eine wunderbare Initiative.
Zum Schluss des dreistündigen Besuchs kommt Steinmeier dem Ort der Krawalle doch noch ganz nahe. In der Polizeiwache 16, nur wenige hundert Meter vom Schanzenviertel entfernt, wo Autos brannten, Geschäfte geplündert und Polizisten angegriffen wurden, trifft er geschädigte Ladenbesitzer und Anwohner. Dann macht er sich auf den Rückweg zum Flughafen. Wäre seine Kolonne durch das Schulterblatt gefahren, die Straße der größten Zerstörung, hätte er nicht mehr viel gesehen. "Hamburg räumt auf" hat die meisten Spuren schon beseitigt.
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