Erklär's mir: Eine Höhle für die Ewigkeit
Seit mehr als 30 Jahren wird in Gorleben ein Salzstock auf seine Eignung als Atommüllendlager geprüft. Ein Ausschuss soll nun klären, wie es zu dieser Auswahl kam.
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Es passt so gar nicht zu allem, was man weiß von diesem Ort, den die Wiedervereinigung vom äußersten Rand der BRD in die geografische Mitte Deutschlands gerückt hat, und der seit mehr als 30 Jahren ein gesellschaftspolitisches Gravitationszentrum der Republik ist: Gorleben.
Das Ortsschild ist so schlicht gelb wie Ortsschilde eben sind in Deutschland. Aber ist Gorleben eine normale Ortschaft? Ist das nicht der Ort, an dem Polizisten und Demonstranten sich regelmäßig gegenüber stehen, wo Traktorfahrer und Bürgerinitiativen Castor-Transporte zur Schleichfahrt zwingen, wo früher einmal die "Republik Freies Wendland" war und ein großer Teil der Antiatomkraftbewegung sozialisiert worden ist? Dort werden bei jedem neuen Castor-Transport ins Zwischenlager "Passionsspiele des Nordens" oder die "fünfte Jahreszeit" ausgerufen, was nichts anderes heißt, als dass Ausnahmezustand herrscht im Landkreis Lüchow-Dannenberg.
Denn während Gorleben selbst, auf dessen Gemarkung ein Zwischenlager für radioaktiven Müll und das Erkundungsbergwerk für ein mögliches künftiges Endlager liegen, zum Synomym für die Atomkraft geworden ist, repräsentiert das Umland den Widerstand. Ob in Pretzetze, Langendorf oder Gusborn – in den Dörfern der Umgebung hängen auffällig viele knallgelbe Fässer mit Atomzeichen in den Bäumen. Mannsgroße "X" stehen als Zeichen der Protestbereitschaft in den Vorgärten. Die "Gruppe X" im Kreistag, zu der alle Fraktionen außer der CDU zählen, hat zur "Kettenreaktion" aufgerufen, damit am Samstag möglichst viele mitkommen zur Menschenkette zwischen den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel.
Da soll es bundesweite Aktionen geben gegen die Kernenergie und die Politik der Bundesregierung. Schwarz-Gelb will den rot-grünen Atomausstieg stoppen und die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern. Außerdem hat Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) vor rund vier Wochen angekündigt, dass die Erkundung des Salzstocks in Gorleben wieder aufgenommen werden soll. Am Ende soll die Frage beantwortet sein, ob das 3,2 Kilometer in die Tiefe reichende Salzgestein unter dem Gorlebener Kiefernwald als Endlager geeignet ist.
90 Sekunden dauert die Fahrt mit dem Förderkorb hinab in Schacht eins. 840 Meter unter der Erdoberfläche ist Endstation. Besucher – etwa 3000 kommen jedes Jahr – werden in rote Overalls gesteckt, mit einer Umhängetasche mit Rettungsausrüstung, Helm und Grubenlampe ausgerüstet. Dann dürfen sie sich zur Erkundung des Bergwerks aufmachen.
Ralf Schmitt, Geologe bei der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE), ist oft dabei. Heute sitzt er am Steuer des Jeeps, dessen Motor auf eine Spitzengeschwindigkeit von 35 Stundenkilometer gedrosselt wurde und fährt die Strecke ab. Seine Fahrweise verrät, dass er weiß, an welcher Kreuzung links und rechts nur tote Stummelgassen liegen, und wo er mit Gegenverkehr rechnen muss. Sieben Kilometer Stollen wurden ins Salz getrieben, die Wände schimmern weiß bis rötlich. Einer von neun geplanten Erkundungsbereichen ist nahezu fertig – mehr nicht. Das betonen sowohl Schmitt als auch Florian Emrich vom Bundesamt für Strahlenschutz und Tobias Schmidt vom Besucherdienst. Seit dem von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Gorleben-Moratorium wird das Bergwerk nur offen gehalten, die Erkundung ist gestoppt. "Seit dem 1. Oktober 2000 wurde nicht mehr gesprengt", sagt Schmitt.
Wer behauptet, dass Schmitt jedes Bohrloch im Berg kennt, tritt ihm sicher nicht zu nahe. Schmitt beschreibt die Vorzüge des älteren Steinsalzes als Lagerstatt für Nuklearmaterial. Die Gefahren des Standorts beschreibt er ganz nüchtern: An erster Stelle ist das Eindringen von Wasser zu nennen, wie man es im Salzstock Asse südlich von Braunschweig beobachtet. Schmitt erklärt nüchtern und selbstbewusst, wie man das Risiko aus seiner Sicht entschärfen kann: durch Austrocknen.
Ralf Schmitt ist seit einem Vierteljahrhundert in Gorleben, er kennt die Geologie des Standorts und die technischen Fragen der Endlagerung. Er kennt auch die Geschichte der Standortsuche und den Widerstand, den sie provozierte, sowie die Empfindlichkeit sämtlicher Beteiligten. An der Tür seines Büros hängt ein Plakat: "Keep calm and carry on", steht darauf; "Bleib ruhig und mach einfach weiter."
Einfach ist das nicht, schon weil die Vorgeschichte so undurchschaubar, die Sachverhalte so komplex, die Interessengegensätze so hart und die Wissensstände so unterschiedlich sind. "Von den Besuchergruppen kommt oft der Vorschlag: Schießt das Zeug doch einfach in den Weltraum", erzählt Tobias Schmidt von der Besucherbetreuung in Gorleben. Dagegen haben Vertreter der örtlichen Bürgerinitiativen sich so viel Expertise angeeignet, dass sie sogar noch die Lagebezeichnung des Bundesamtes für Strahlenschutz für Bohrloch RB 012 in Zweifel ziehen.
Man muss wissen, dass RB 012 ein berühmtes Bohrloch ist, weil dort nach Schmitts Worten mit etwa 160 Kubikmetern außergewöhnlich viel Flüssigkeit ausgetreten ist. Doch seine Mengenangabbe ist weit niedriger, als jene Schätzungen der Bürgerinitiative, die von bis zu einer Million Kubikmeter Flüssigkeit sprechen.
Schmitt und Emrich mühen sich redlich, zu erklären, dass die Endlagerentscheidung noch nicht gefallen und die Eignung des Standorts Gorleben noch nicht erwiesen ist. "Ob Gorleben als Endlager geeignet ist oder nicht, ist derzeit noch offen. Bis zu einem Nachweis der Eignung dauert es noch etwa 15 Jahre", sagt Florian Emrich vom Bundesamt für Strahlenschutz.
Das sieht auch die Bundesregierung so. Umweltminister Norbert Röttgen hat eine "ergebnisoffene Erkundung" angekündigt. Allerdings hat er, anders als sein Vorgänger Sigmar Gabriel (SPD) es gefordert und anders als es das Bundesamt für Strahlenschutz propagiert hat, nicht die parallele Erkundung alternativer Standorte in die Wege geleitet. In der Region nährt das die Befürchtung, dass die Politik sich längst auf Gorleben als Standort für das nationale "Atomklo" festgelegt hat, obwohl seine Eignung wissenschaftlich nie erwiesen wurde.
Das Misstrauen hat seinen Ursprung in den Anfängen der Endlagersuche, die ein Untersuchungsausschuss des Bundestags ausleuchten soll, der gestern zusammentrat. Denn die Standortwahl 1977 durch den damaligen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht folgte offenbar nicht nur rein sachlichen Überlegungen, sondern auch politischen Erwägungen. Zudem sollen 1983 von der Regierung Helmut Kohl Gutachten zurückgehalten und geschönt worden sein. All diese Vorgänge soll der Untersuchungsausschuss in den kommenden Monaten aufarbeiten. Der Ausschuss war auf Antrag der drei Oppositionsparteien eingerichtet worden. Von den 15 ordentlichen Mitgliedern gehören sechs der CDU/CSU-Fraktion an, drei der SPD-Fraktion und jeweils zwei den Fraktionen von FDP, Linken und Grünen.
"Gorleben ist vermurkst worden", betont Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg und Urgestein der Antiatomkraftbewegung im Wendland. "Wir haben überhaupt kein Vertrauen mehr in die Politik." Dass die Bundesregierung den Erkundungsstopp in Gorleben aufheben will und keine alternativen Standorte erkundet, empöre die Menschen hier. "Es ist ein Widerspruch in sich: Die Erkundung kann nicht ergebnisoffen sein, wenn sie alternativlos bleibt."
Am Mittwoch um 14 Uhr ist der erste Treckerzug aus Gorleben Richtung Krümmel gestartet. Obwohl die Bauern, wie Ehmke betont, nach dem langen Winter doch eigentlich unabkömmlich sind auf dem Feld. "Am Samstag machen wir noch einen Schnelltreck. Elf Busse aus Lüchow-Dannenberg sind schon voll."
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