Jubiläum
10 Jahre Kanzlerin Merkel - bewundert, gehasst, geachtet
"Kann die das?", fragten sich viele, als Angela Merkel am 22. November 2005 Bundeskanzlerin wurde. Inzwischen regiert die CDU-Chefin seit zehn Jahren – und gilt als mächtigste Frau der Welt.
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Großbritannien: Mit Margaret Thatcher besaßen die Briten ja mal die ursprüngliche "Eiserne Lady". Ganz so eisern kam ihnen Angela Merkel bisher nie vor. Dass die "Mutti der Deutschen" stählerne Nerven und einen bemerkenswerten Durchsetzungswillen an den Tag legte, blieb aber auch auf der Insel niemandem verborgen. Ansonsten staunte man über den störrischen Pragmatismus dieser kaum an öffentlichem Streit interessierten Kanzlerin. Über ihre monotone Natur und ihre hartnäckig erfolgreiche Politik. An Respekt für sie fehlte es nie. David Cameron teilte nie "Angies" europäische Instinkte, suchte sich aber in vielem bei ihr einzuhängen. Seine Strategie fürs kommende britische EU-Referendum hat er nicht zuletzt auf die Zuversicht gegründet, sie werde ihm eine Brücke bauen, zum Verbleib in der EU. Mittlerweile fragen sich auch hiesige Beobachter, ob die Krone am Rutschen sei, nach den Ereignissen dieses Jahres. Zehn Jahre unangefochten Regierungschefin? Englands "Eiserne Lady" schaffte es noch bis ins zwölfte Jahr.
Frankreich: Lange war le couple franco-allemand eine klare Sache. Merkel hat die Hosen an, sagt dem jeweiligen französischen Partner (Chirac, Sarkozy, Hollande), wo’s lang geht, lehrt ihn Disziplin, Ausgabendisziplin zumal. Man denke nur an Merkozy, das politischen Zwitterwesen aus Merkel und dem damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Kein Mensch ist auf die Idee verfallen, den Namen des Franzosen vorneweg zu stellen. Ein Merkollande hat es dann zwar nicht gegeben. Doch natürlich ist in Frankreich registriert worden, dass Hollandes Pläne, Europa nach seinem Gusto zu gestalten, von der Sparkanzlerin, kaum war der Sozialist in den Elysée eingezogen, kurzerhand in den Papierkorb befördert wurden. Aber jetzt laufen die Dinge aus dem Ruder. Die in Frankreich als hartherzig geführte Deutsche hat gezeigt, dass sie ein Herz für Flüchtlinge hat. Sie hat kürzlich die Renten erhöht. Um fünf Prozent! Die Franzosen trauen ihren Augen nicht. Laurent Joffrin, Chefredakteur der linken Zeitung Libération, schlägt sich reumütig auf die Seite der zehn Jahre lang Geschmähten. Die vermeintliche böse Hexe Merkel ist in Wirklichkeit eine Madonna, schreibt er. Hollande schlüpft derweil ins Gewand des knallharten Kriegsherrn. Ein klarer Fall von Beziehungskrise.
USA: Wenn Angela Merkel zum Telefon greift, lächeln Amerikaner ein bisschen unbehaglich. In Sachen Spionage hält man die Deutschen zwar für naiv und ihre Regierung für unaufrichtig. Das abgehörte Kanzlerinnenhandy ist aber doch peinlich. Nicht zuletzt, weil Merkel in den USA über traumhafte Imagewerte verfügt. Kaum ein anderer Regierungschef ist so beliebt und geachtet. Merkel profitiert davon, dass Amerikaner Deutschland generell mögen; auch ihre Lebensgeschichte und ihr Bekenntnis zum Freiheitsbegriff des Westens kommen gut an. Respekt allerdings hat ihr die scheinbare Unerschütterlichkeit verschafft, mit der Europas größte Wirtschaft durch Finanzkrise und Euro-Debakel gedampft ist. Längst gilt Merkel als diejenige, die die EU zusammenhält. Beim Thema Ukraine setzte das Weiße Haus auf ihre Kontakte nach Moskau, das machte sie endgültig zum Global Player.
Russland: Zehn Jahre Bundeskanzlerin? Normal und alles andere als rekordverdächtig. Für Russland jedenfalls, wo Wladimir Putin schon 15 Jahre regiert. Und dabei gern die Muskeln spielen lässt. Merkel kuscht vor Conny, titelte ein Boulevardblatt, als die sichtlich irritierte Kanzlerin 2007 in Putins Sommerresidenz neben dem Gastgeber auch auf dessen schwarze Labradorhündin traf. Doch Frau Kanzler – das Russische hat keine weiblichen Formen für Trägerinnen hoher Ämter – ist für Putin keine Kollegin, die man leicht einschüchtert. Merkel gilt als kühl, besonnen und zurückhaltend mit öffentlicher Kritik an Russlands Demokratiedefiziten. Eigenschaften, die Russlands Zivilgesellschaft übrigens als Schwächen wahrnimmt.
Griechenland: Die meisten Griechen sind auf Angela Merkel nicht gut zu sprechen. Sie sehen in der "eisernen Kanzlerin" die treibende Kraft hinter dem, was sie als "deutsches Spardiktat" empfinden. Merkel ist in Griechenland die unbeliebteste ausländische Politikerin: Mehr als 80 Prozent der Menschen haben von ihr eine "negative Meinung". Bei Demonstrationen gegen die Sparpolitik sieht man häufig Merkel-Portraits mit Hitlerbärtchen. Griechische Medien bilden die Kanzlerin gern in Nazi-Uniform ab. Alexis Tsipras nannte sie in seiner Zeit als Oppositionsführer die "gefährlichste Politikerin Europas", weil sie in den Krisenstaaten eine humanitäre Katastrophe anrichte. Merkel – das ist fast ein Schimpfwort in Griechenland. Noch vor einem Jahr verhöhnte Tsipras den damaligen konservativen Premier Antonis Samaras als "Merkelisten", der seine Orders in Berlin bekomme. Als Regierungschef hat Tsipras seine feindselige Rhetorik gegenüber der Kanzlerin allerdings abgestellt. Inzwischen telefonieren die beiden häufig miteinander. Meist ruft der Grieche durch. Tsipras hat begriffen: Ohne Merkel läuft nichts in Europa. Und gegen sie schon gar nicht.
Italien: Als die Kanzlerin vor einiger Zeit während ihres Italienurlaubs auf der Insel Ischia einen Abstecher zur antiken Ruinenstadt Pompeji machte, wurde sie kaum erkannt, so unspektakulär kam sie in der Windjacke daher. Italiener sind von ihren Politikern viel Brimborium gewöhnt. Dass die "mächtigste Frau der Welt" (Corriere della Sera) selbst an der Kasse der Ausgrabungsstätte ansteht und Eintrittskarten kauft, sprengt das Vorstellungsvermögen jedes Südländers. Aus italienischer Sicht verkörpert Merkel ein weiteres Paradox: Sich geschmacklos zu kleiden, muss nicht zwingend heißen, keine oder allenfalls negative Bedeutung zu haben. Für italienische Politiker aller Lager stand Merkel über Jahre hinweg für die verhasste Sparpolitik. Als die Kanzlerin im September eine unbeschränkte Zuwanderung für Asylsuchende nach Deutschland in Aussicht stellte, kam das Bild von der rücksichtslosen, nur auf deutsche Interessen bedachten Machtpolitikerin ins Wanken. Merkel ist für die meisten Italiener vor allem eine Frau vom anderen Stern.
Polen: Wo wir Deutschen von der Suppe sprechen, die jemand auszulöffeln habe, sagen die Polen: "Das Bier, das du da zusammengebraut hast, trink mal schön selbst!" Mit diesem Spruch haben polnische Politiker und Medien zuletzt Angela Merkels Flüchtlingspolitik kommentiert, und im Netz war sogar eine Bildmontage der Kanzlerin mit einem Maßkrug zu sehen. Das sollte heißen: Die Flüchtlinge, die die Kanzlerin "gerufen" habe, solle Deutschland behalten. In dem Bier-Spruch kommt aber noch etwas anderes zum Ausdruck: enttäuschte Liebe. Über Jahre war Merkel in Polen nach ihrer ersten Wiederwahl 2009 die beliebteste ausländische Politikerin. Doch nun droht ihr Stern jenseits der Oder zu verglühen. Der Anlass ist die Flüchtlingsdebatte. Der tiefere Grund allerdings dürfte in einer neuen polnischen Deutschland-Skepsis liegen, die sich Ende Oktober auch in dem starken Wahlergebnis für die nationalkonservative PIS des Deutschland-Verächters Jaroslaw Kaczynski widerspiegelte.
China: Die chinesische Führung liebt die deutsche Kanzlerin. "Es stellt sich oft die Frage, wen wir anrufen, wenn wir mit der EU reden wollen", sagte neulich ein chinesischer Diplomat. "Die Antwort lautet in der Praxis: Frau Merkel." Wenn die Kanzlerin nach Peking reist, erhält sie Ehren, die sonst Staatschefs vorbehalten sind – was im Falle Deutschlands der Bundespräsident wäre. Ebenfalls hoch geschätzt: Merkels Verlässlichkeit. Statt plötzlicher Politikwechsel, wie sie Großbritannien zuweilen vormacht, weiß man bei ihr, woran man ist, glaubt man in Peking. Auch beim chinesischen Volk ist die Frau aus Deutschland eine bekannte Marke. Meist ist sie der einzige europäische Regierungschef, dessen Name den Leuten auf der Straße geläufig ist. "Offiziell sind Frauen in China gleichberechtigt, aber solche Führungspersönlichkeiten fehlen bei uns", sagt bedauernd eine Passantin in Peking. Merkel mache Frauen in Fernost Mut, sich vorzuwagen.
1989: Inmitten des politischen Umbruchs in der DDR schließt sich die Physikerin dem Demokratischen Aufbruch an, der später der CDU beitritt.
1990: Nach der Volkskammerwahl im April wird Merkel Vize-Regierungssprecherin der DDR. Im Dezember wird Merkel bei der ersten gesamtdeutschen Wahl in den Bundestag gewählt.
1991: Merkel wird unter dem damaligen Kanzler Helmut Kohl (CDU) Ministerin für Frauen und Jugend. Im Dezember wird sie Vize-Parteichefin.
1994: Merkel wird Ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
1998: Der neue CDU-Chef Wolfgang Schäuble macht Merkel zur Generalsekretärin.
1999: Nach Bekanntwerden der CDU-Spendenaffäre ruft Merkel im Dezember zur Abnabelung von Kohl auf.
2000: Nach Schäubles Rücktritt infolge der CDU-Spendenaffäre wird Merkel im April Parteichefin.
2002: Nach der verlorenen Bundestagswahl mit Spitzenkandidat Edmund Stoiber (CSU) wird Merkel CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag.
2005: Die Union gewinnt im September die Bundestagswahl knapp vor der SPD. Merkel wird am 22. November als Kanzlerin vereidigt.
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