Klima
Italien leidet unter Fluten und Erdrutschen
In Italien treten Flüsse über die Ufer, fallen Ernten ins Wasser, sind Berghänge in Bewegung. Sind es Folgen alter Verfehlungen oder Vorboten des Klimawandels?
Di, 2. Dez 2014, 0:05 Uhr
Ausland
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In der Ferne hört man das Donnern der Container, die im Hafen von Genua-Voltri verschifft werden. Unten am Hang brausen die Autos über die Autobahn, und direkt darüber zeigt sich das Desaster in seiner ganzen Größe. Der Hang, auf dem der alte Mann und sein junger Kollege Sebastiano Cambiaso Basilikum anbauen, ist abgerutscht. Von den vier idyllischen Terrassen für den Anbau ist eine einzige geblieben. Viele der Gewächshäuser, in denen die Bauern von Prà das exklusivste Basilikum der Welt züchten, das für das berühmte Pesto Genovese verwendet wird, sind wie Kartenhäuser in sich zusammengekracht. Der süße, frische Duft der kleinen grünen Blätter verliert sich im Morast.
Ein Helikopter kreist laut knatternd über dem Hang. Nieselregen weicht den Boden weiter auf. Drei Männer in gelben Regenoveralls bedienen einen geologischen Tiefenbohrer, um festzustellen, ob der Hang immer noch in Bewegung ist. Neben ihnen versucht Sebastiano Cambiaso mit einer Harke dem ablaufenden Wasser den Weg frei zu graben. Von vier Basilikumfeldern ist Cambiaso ein einziges geblieben. Das Feld ist sein letztes Kapital. "Maschinen kann man in diesen Lagen kaum benutzen, es ist schon ein täglicher Kampf, wenn nichts passiert", sagt er. "Wenn dann auch noch so etwas geschieht, ist es wie ein Krieg."
300 größere und kleine Erdrutsche hat es in den vergangenen Wochen in der Umgebung von Genua-Prà gegeben. 7000 in ganz Ligurien. In Italien sind in diesem Herbst bislang 15 Menschen ums Leben gekommen, ertrunken, erstickt oder verschüttet. 2000 Familien in Italien sind obdachlos geworden, der staatliche Entschädigungsfonds für Ernteschäden war schon vor Monaten ausgeschöpft. Auf vier Milliarden Euro wird der Schaden geschätzt, den der Regen dieses Jahr in Italien angerichtet hat.
Der Regen in Italien? In diesem von der Wirtschaftskrise, der Mafia, von Politik und Bürokratie gebeutelten Land gab es bis vor Kurzem eine letzte Sicherheit: das schöne Wetter. Jetzt scheint auch diese Garantie dahin. Was ist los auf dem Stiefel? Ein paar Wochen vor Weihnachten laufen Menschen in Rom in T-Shirt und kurzärmeligen Hemden durch die Stadt und schlecken an ihrem Eis. Wer morgens ins Auto steigt, muss zuerst einmal die Windschutzscheibe von hellbraunem Saharasand säubern, den ein warmer Wind in der Nacht übers Meer getragen hat. Und die Schule fällt wegen Unwetterwarnungen aus.
Nicht nur in Ligurien, das wegen seiner sonst so malerischen Steilküsten besonders anfällig für Schlammlawinen ist, schüttet es. Die Lombardei ist ebenso betroffen, in Mailand standen Straßen unter Wasser, in Turin trat der Po über die Ufer. In Venetien und im Friaul kommen sie mit dem Auspumpen ihrer Keller kaum hinterher. Hochwasser in Venedig. In der Toskana sind Landstriche von Unwettern verwüstet. Mal fegt ein Wirbelsturm über Apulien hinweg und am nächsten Tag erwischt es Sizilien. Verkehrte Welt.
"Seit zwei Jahren ist das so", sagt der Basilikumbauer Sebastiano Cambiaso. "Es hat zu viel geregnet, zu lange und immer auf dieselbe Stelle." Kein Wunder, dass sein Basilikum-Hang irgendwann nachgegeben hat. Cambiaso, 35 Jahre alt, zieht sich die Schirmmütze ins Gesicht. Er blickt unten auf den Hafen. Ganz am Ende des Kais blinken die Lichter einer Baustelle. Es ist die Costa Concordia, das wegen eines waghalsigen Manövers im Januar 2012 vor der Toskana-Insel Giglio gesunkene Kreuzfahrtschiff. Ende Juli wurde es nach Genua-Voltri geschleppt, seither liegt dieses Symbol italienischen Versagens im Hafen zum Abwracken. "Sie hat uns Pech gebracht", sagt Cambiaso.
Der Frühsommer war schon verregnet, der Sommer auch und der Herbst erst recht. Jetzt liegt Cambiasos Existenz in Trümmern. Wie der traurige Schiffsrumpf in der Ferne.
Der Klimawandel hat auch den Mittelmeerraum erfasst. Das haben italienische Meteorologen wie Marina Baldi vom Institut für Biometeorologie in Florenz festgestellt. "Das Klima in Italien hat sich in den vergangenen 50 Jahren verändert", erklärt Baldi. Die Temperaturen seien insgesamt leicht angestiegen. Lange Trockenzeiten würden sich mit langen Regenzeiten abwechseln, obwohl sich die Menge an Niederschlägen insgesamt nicht verändert habe. "Aber wir haben es mit immer heftigeren Regenfällen zu tun", sagt die Meteorologin. Gerolamo Calleri hat das erst wieder vor ein paar Tagen erlebt. 15 000 Plastikvasen mit Aromapflanzen wie Rosmarin, Salbei und Thymian hat ihm der Regen weggespült, zweimal in nur einer Woche.
Calleri ist einer von vielen Bauern in der ligurischen Kleinstadt Albenga, die bei den jüngsten Regenfällen am meisten betroffen waren. "So viel Wasser auf einmal habe ich noch nie gesehen", erzählt Calleri, der, weil es unvermittelt wieder warm geworden ist, nun in kurzärmligem Hemd vor den Verwüstungen steht. "Irgendwas stimmt hier nicht", sagt Calleri, "das ist inzwischen wie im Monsun."
Tatsächlich gleichen die Bilder von überschwemmten Straßen aus Südostasien zur Monsunzeit manchmal längst den Szenen bei Genua, Mailand oder Rom.
Doch Italien ist eben nicht Indien. "Wir sind das letzte europäische Land in diesem inakzeptablen Zustand, das ist für ein modernes und industrialisiertes Land nicht hinnehmbar." So sagt es selbstkritisch der von der italienischen Regierung angesichts des dauernden Notstandes mit Sanierungsarbeiten beauftragte Staatssekretär Erasmo D’Angelis. Neun Milliarden Euro will die Regierung bis 2020 für Infrastrukturmaßnahmen zum Schutz vor Regen, Überschwemmungen und Erdrutschen ausgeben.
Dabei würde in manchen Fällen weniger Bürokratie und ein bisschen mehr Genauigkeit genügen. Das Problem ist nicht nur das sich wandelnde Klima mit immer mehr starken Regenfällen. Gerolamo Calleri zum Beispiel zeigt auf den Bach neben seiner Farm, der beim Platzregen sofort alles unter Wasser setzte. "Ich würde den Bachlauf gerne selbst reinigen. Aber ich darf es nicht!", schimpft er. Das sei aus rechtlichen Gründen der Gemeindeverwaltung vorbehalten, die sogar Strafen verhängt. "Die Folge war, dass das Bachbett verstopft blieb. Niemand hat es gereinigt." Das Wasser konnte nicht ablaufen und suchte sich seinen eigenen Weg.
So gibt es zahlreiche Gründe für den langsamen Untergang. Die Flucht vieler Bauern aus dem bergigen Hinterland an die Küste hat etwa in Ligurien viele verwahrloste Ländereien mit sich gebracht. Auch hier sucht sich das Wasser nun seinen eigenen Weg. Der Raubbau des Marmors bei Carrara in der Toskana hat dazu geführt, dass sich bei Regen regelmäßig Sturzbäche über Städten wie Massa ergießen. In ganz Italien hat die Bauwut der 70er-Jahre zur Folge, dass die Niederschläge nicht mehr über das Land verteilt, sondern konzentriert abfließen und ganze Straßenzüge mit sich reißen. Die Regierungen in Rom taten ihr Übriges, indem sie auf der Jagd nach Wählerstimmen immer wieder illegal errichtete Gebäude mit massenhaften Straferlassen legalisierten – ohne auf die Folgen für die Umwelt und die Unversehrtheit der Menschen zu achten.
Wirtschaftskrise und Rezession haben viele Italiener bereits in die Knie gezwungen. Mit dem Regen geht es bei vielen jetzt endgültig den Bach runter. Besonders die italienische Landwirtschaft und mit ihr die weltweit geschätzten Spitzenprodukte sind betroffen. Wegen des schlechten Wetters ging die Weinernte landesweit um 15 Prozent zurück. Bei der Olivenernte gab es aufgrund der Feuchtigkeit und damit zusammenhängend des Befalls durch die Olivenfruchtfliege einen Rückgang von 35 Prozent, in manchen Landesteilen gar von 80 Prozent. Die Preise steigen, die Öl-Panscherei nimmt zu.
Weil sie dieses Jahr so wertvoll sind, werden Oliven massenhaft geklaut. "Ich habe dieses Jahr gar kein Öl", sagt Giancarlo Bernardi, der im toskanischen Vinci, dem Geburtsort des großen Leonardo, einen kleinen Anbaubetrieb hat. Erst machte die Fruchtfliege auch seine Olivenernte zunichte. Am 19. September versanken Vinci und das Chianti-Anbaugebiet auch noch in einem Hagelsturm, dessen Spuren noch an der Fassade des Hauses von Bernardi abzulesen sind. 50 Prozent seines Weinbergs gingen kaputt. Die Preise kann er nicht anheben, sonst verliert er seine Kunden, unter denen auch viele Touristen aus Deutschland sind. "In 80 Jahren habe ich so ein Desaster nicht erlebt", sagt er. Bernardi zeigt die Hagelschäden im Weinberg. Jetzt, Anfang Dezember, schlagen die Weinstöcke neue, grüne Triebe. Früher machte der Wein nach dem ersten Eis im Oktober bis in den Frühling Winterschlaf. "Jetzt schlägt er wegen des milden Klimas schon wieder aus", sagt Bernardi. "Mich verunsichert das. Hoffentlich verausgaben sich die Pflanzen nicht zu früh."
Der 77 Jahre alte Bernardi befürchtet, dass auch die nächste Ernte schlecht wird. Deshalb hat er beschlossen, sich langsam von der Landwirtschaft zu verabschieden. Das Alter, ja. Aber auch das Wetter, die veränderten Umstände. "Wir Bauern wissen alle nicht mehr genau, wie wir uns verhalten sollen."
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