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England

Die Schottische Nationalpartei will erneut ein Unabhängigkeitsreferendum durchsetzen

Sie wollen London und dem Brexit trotzn. Dich die Schotten selbst sind gespalten.  

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Ein eisiger Märzenwind fegt durch die Straßen von Edinburgh. Sturm, Schauer, sogar Schneegestöber sind angesagt. Im kleinen Co-op-Laden auf der Frederick Street legen sie den jähen Kälteeinbruch der britischen Premierministerin Theresa May zulasten. "Wen wundert’s?", spottet einer der jungen Leute, die hinter der Kasse stehen. "Jetzt, da es rausgeht aus der EU, spielt selbst das Wetter verrückt." Die Zeitungen auf dem Stand gegenüber erläutern, was mit dem Verweis auf die turbulente Großwetterlage an diesem Morgen gemeint ist: "Nächsten Mittwoch wird die britische EU-Mitgliedschaft aufgekündigt", melden alle aufgeregt. Der zum kompromisslosen Brexit trommelnde Londoner Daily Telegraph treibt zu zusätzlicher Eile: "Wir müssen rasch raus aus der EU – sie fällt schneller auseinander als bisher gedacht." Dagegen dünkt den schottischen Blättern und mit ihnen auch den Co-op-Verkäufern im Frederick-Street-Laden, was nun auseinanderfallen könnte, sei etwas ganz anderes – nämlich das Vereinigte Königreich.

Den ersten Schritt zu einem solchen "alternativen" Austritt unternimmt jedenfalls an diesem denkwürdigen Tag die schottische Regierung. Im Parlament von Holyrood, drunten am wolkenverhangenen Ende der Royal Mile Edinburghs, hat Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon, die Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP), ihren Antrag auf ein zweites Unabhängigkeitsreferendum eingebracht. Das erste Referendum, im September 2014, war gescheitert. Aber im Zeichen der radikalen Abkoppelung Großbritanniens von Europa, die Theresa May offenbar vorschwebt, hält Sturgeon eine neue Volksabstimmung für unerlässlich. Schottland müsse die Wahl haben zwischen dem verhängnisvollen Marsch ins europäische Abseits hinter England her oder "einem eigenen, besseren Weg in die Zukunft", hatte sie erklärt. Nach zweitägiger Debatte soll Schottlands Parlament am Mittwoch einen entsprechenden Beschluss fassen.

Die schottischen Grünen sind, als Alliierte der SNP in Sachen Unabhängigkeit, mit dabei. Für die schottische Labour Party und Schottlands Konservative ist diese Initiative Sturgeons dagegen purer Opportunismus. Sie stemmen sich gegen einen erneuten Versuch der Auflösung des Vereinigten Königreichs. Die schottische Tory-Chefin Ruth Davidson wirft Sturgeon vor, den Brexit nur als "neueste Ausrede" für ihr Verlangen nach einem weiteren Unabhängigkeitsreferendum zu benutzen. Sturgeon wolle das Vereinigte Königreich "auf Teufel komm raus zerstören", warnt Davidson. Kezia Dugdale, die Labour-Vorsitzende in Edinburgh, beharrt darauf, Nicola Sturgeon könne "niemanden zum Narren halten". Die schottischen Nationalisten stünden seit jeher "für Spaltung, Kummer und Gram" im Lande. Die Mehrheit der Schotten wolle gar kein Referendum mehr.

Das stimmt auch, umfragemäßig gesehen. Nur jeder dritte Wähler hält, so kurz nach dem ersten Referendum ein zweites für erforderlich. Die Hälfte der Schotten käme gar ohne eins aus. Aber ein sofortiges Referendum fordert Sturgeon auch gar nicht. Sie will gern 18 Monate oder sogar zwei Jahre warten, bis klar ist, unter welchen Umständen Großbritannien aus der EU ausscheidet.

Aber dieses SNP-Verlangen behagt der Regierung in London nicht. Ganz ausgeschlossen hat Theresa May ein Referendum zwar nicht; jetzt jedoch sei nicht die Zeit, an so etwas zu denken. Ihr Schottland-Minister David Mundell weigert sich sogar rundheraus, auch nur "in Diskussionen oder Verhandlungen zu diesem Thema einzusteigen". Schottland müsse zusammen mit dem Rest Britanniens hübsch raus aus der EU.

Eine solche Haltung betrachten schottische Beobachter jedoch als eine gefährliche Positionierung Londons. "Nichts stärkt den Unabhängigkeitswillen der Schotten mehr, als wenn man ihnen sagt, dass sie keine Unabhängigkeit haben können", meint Ian Macwhirter von der schottischen Zeitung The Herald. Während seine Landsleute momentan "vielleicht noch nicht in Referendumsstimmung" seien, behielten sie die Lage äußerst kritisch im Auge: "Und je härter der Brexit wird, desto mehr verhärten sich die Meinungen hier."

In der Tat haben weder The Herald noch The Scotsman, die beiden wichtigsten Pressestimmen Schottlands, einen Zweifel daran, dass es zu einem Referendum kommen muss, wenn das schottische Parlament mit Mehrheitsbeschluss eins verlangt. Beide Blätter, die 2014 noch gegen die Unabhängigkeit eintraten, haben die Art und Weise, wie die Premierministerin die schottische Demokratie abtat und Schottland bislang ignorierte, "unhaltbar", "rücksichtslos" und "verblendet" genannt. In einer Flut von Leserbriefen binnen weniger Tage sind viele ähnliche Stimmen laut geworden.

"Wie Diktatoren" benähmen sich May und ihre Minister in London, klagen empört manche der Schreiber. Nur als eigenständiger Staat könne Schottland sich der "Arroganz Westminsters" entziehen. Andere halten es für reine Phantasie, dass sich Schottland als von England getrennter und zugleich aus der EU katapultierter Staat sollte behaupten können. Mit den gefallenen Ölpreisen und einem Riesendefizit im Haushalt stehe man wesentlich schlechter da als 2014, beim vorherigen Referendum. Jetzt mit einem neuen Unabhängigkeitsreferendum zu kommen, sei "totaler Wahnsinn", meinen andere.

Die schottische Regierungschefin und SNP-Chefin selbst ist sich durchaus bewusst, dass viele Schotten beim Gedanken an eine erneute Referendumskampagne unruhig werden. So sehr die erste Kampagne zwischen 2012 und 2014 die politische Kultur Schottlands belebte, so tiefe Gräben schuf sie doch auch. Als das Unabhängigkeitsbegehren damals scheiterte, vertraten auch die SNP-Führer resigniert die Meinung, dass nun wohl das Thema "für die Dauer einer Generation" zu den Akten gelegt worden sei. Im Vergleich zu 2014 nimmt sich die Sache diesmal aber anders aus. "Indyref2", wie man das geplante neue Referendum in Schottland bereits nennt, wird sich nach den Worten der prominenten Unabhängigkeitsverfechterin Lesley Riddoch "abspielen vor dem Hintergrund der sich lösenden Bande Britanniens zu Europa". Sein Ausgang sei noch viel weniger vorauszusagen als es der von "Indyref1" war. Und diesmal schaue man in der EU sehr viel freundlicher nach Schottland als seinerzeit. Außerdem hat die SNP in Nicola Sturgeon eine populäre Führungsfigur, die gut ankommt. Auch die Aussicht, wegen der Schwäche von Labour ein volles Jahrzehnt der "selbstherrlichen" Tory-Regierungen ausgeliefert zu sein, könnte den überwiegend linksliberal orientierten Separatisten bei "Indyref2" viel Unterstützung zuführen – zumal wenn Mays Schatzkanzler Philip Hammond allen Ernstes erwägt, Brexit-Britannien zu einem Billiglohnland und einer Steueroase vor den Küsten Europas zu machen.

Doch natürlich gibt es auch Zweifler. Am Ende werde der Schritt vielen Schotten doch zu gewagt sein, wirft ein älteres Paar aus Aberdeen bei einem Plausch im Foyer des schottischen Parlaments skeptisch ein: "Wenn ein solches Referendum erst in drei oder vier Jahren bewilligt werde, hätten sich die meisten vielleicht an ein neues Leben außerhalb der EU schon gewöhnt. Oder der Brexit könnte sich, anders als Nicola Sturgeon glaubt, als Erfolg erweisen. Was dann?"

Beim ersten Referendum stimmten knapp 45 Prozent für eine Trennung von England; um eine ähnliche Marke herum pendelt die Zustimmung jetzt. Die SNP hat mit Vorbereitungen begonnen, obwohl London einem "Indyref2" noch gar nicht zugestimmt hat. Es wird versucht, die damaligen Geldgeber für erneute Spenden zu gewinnen.

Auch eine bekannte schottische Familie, die aus einem sensationellen 160-Millionen-Pfund-Lotteriegewinn bereits mehrere Millionen für die Sache der Unabhängigkeit abgezweigt hat, soll wieder bereit sein, ein paar Tüten Geld aus dem Tresor zu holen. Die Gegenseite sucht derweil ihrerseits nach einer Patronin, die sich gegen Nicola Sturgeon aufbieten ließe. Ein Vorschlag, der jetzt in Edinburgh die Runde macht, ist Harry-Potter-Autorin JK Rowling. Sie sei nicht die Ärmste und weithin beliebt in Schottland, heißt es. Und ein bisschen Potter-Magie könnte das Lager der "Unionisten" wahrscheinlich brauchen in den Stürmen der nächsten Jahre, gegen Nicola.

Ressort: Ausland

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