Blick zurück
Vor 25 Jahren haben DDR-Bürger erstmals die DM ausgezahlt bekommen
„Kommt die D-Mark, bleiben wir“ - unser Korrespondent Rolf Obertreis erinnert sich an den 1. Juli 1990 in der Stadt Halle
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Im Februar 1990, drei Monate nach dem Fall der Mauer, bietet Bundeskanzler Helmut Kohl der DDR die Einführung der DM auch auf ihrem Staatsgebiet an. Es ist die Reaktion auf den nicht enden wollenden Strom von DDR-Bürgern, die sich auf den Weg Richtung Westen machen. "Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sie nicht, gehen wir zu ihr" ist die Parole auf zahlreichen Demonstrationen. Am 18. Mai 1990 schließlich trocknet die Tinte unter dem Vertrag über die deutsch-deutsche Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. "Mit Wirkung vom 1. Juli 1990 wird die Deutsche Mark als Währung in der Deutschen Demokratischen Republik eingeführt", heißt es. Sie wird alleiniges Zahlungsmittel – die Ostmark wird zu wertlosem Altpapier.
Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank, Sparkassen – alle bereiten sich in den Monaten davor auf den 1. Juli vor, schließlich locken gute Geschäfte. Die Deutsche Bank angelt sich über ein Joint Venture die Deutsche Kreditbank AG der DDR und mit einem Schlag 130 Ableger in der DDR. Für die Dresdner Bank, die zu ihren Wurzeln zurückkehren kann, bleibt nur ein kleiner Teil übrig, sie ist mit 90 Ablegern präsent. Die Commerzbank geht ganz leer aus, muss meist auf Container setzen oder richtet in Rekordzeit neue Filialen ein. 2800 Volksbanken und Genossenschaftskassen sind ebenfalls eingeschaltet, dazu knapp 200 DDR-Sparkassen, jeweils unterstützt von Sparkassen und Volksbanken aus dem Westen. Ostdeutsche Post, Ämter, Schulen und Behörden sollen ebenfalls den erwarteten Ansturm auf die Westwährung bewältigen.
Es gilt als sicher, dass die DDR-Bürger am 1. Juli 1990, obwohl es ein Sonntag ist, in Massen in Banken und Sparkassen und Bankfilialen drängen werden. So auch in Halle, obwohl es im Bezirk 1700 Stellen gibt, die das begehrte neue Geld bereithalten. Allein 5000 DDR-Bürger würden in Halle-Neustadt Schlange stehen, um erstmals die begehrte D-Mark in Händen halten zu können, heißt es am frühen Morgen. Tatsächlich hält sich der Ansturm in dem tristen Plattenbauviertel in Grenzen. Eintausend Menschen mögen es sein, die sich da um sieben Uhr in der Frühe eingefunden haben. Die Sparkasse an Block 13 ist vorbereitet. 20 Mitarbeiter müssen an diesem historischen Tag Dienst schieben: Um zwanzig nach acht, 20 Minuten nach Öffnung der Filiale, ist die Schlange verschwunden. 500 DM in blauen Hundertern oder beigen Fünfzigern lassen sich die meisten aus ihrem zuvor auf DM umgestellten Konto auszahlen. Etliche Millionen sind es am Ende des ersten Tages.
Bei der Commerzbank im Zentrum von Halle schieben die Banker, ausnahmsweise nicht mit Anzug und Krawatte, sondern in Jeans und T-Shirt schon bis zum Mittag 1,5 Millionen DM über die Tische. Und sie angeln sich viele neue Kunden: Anträge auf Konten werden ausgefüllt, erste Kredite verkauft. Einige DDR-Bürger lassen aber auch noch ihre mittlerweile wertlos gewordenen Ostmark auf ihr Konto gutschreiben. Die Frist ist eigentlich schon verstrichen, die Banker drücken ein Auge zu. Es ist ja ein historisches Ereignis.
Nur in Ost-Berlin am Alexanderplatz herrscht zeitweise Chaos. Natürlich ist es die Deutsche Bank, die als erstes Institut schon Schlag Mitternacht ihre Filiale öffnet. Die Menschen drängen sich und stürmen die Schalter, Scheiben gehen dabei zu Bruch. Der 41-jährige Joachim Corsalli ist der erste DDR-Bürger, der Westgeld in Empfang nehmen kann. 2000 DM in Fünfzigern und Hundertern hält er stolz in die Kameras. "Abheben wat ich kriegen kann und dann zu Hause ankiecken", rufen einige mit strahlender Miene.
Dass die Umstellung am Ende in den meisten Städten der DDR mehr oder weniger reibungslos verläuft, liegt auch an den komplizierten Umstellungsmodalitäten, die die Bundesbank und die Staatsbank der DDR in enger Zusammenarbeit mit den Finanzministerien ausgearbeitet haben. Ein Barumtausch von Ost- in Westmark ist nicht möglich. Die Umstellung erfolgt allein über die 25 Millionen Konten in der DDR. Schon Anfang Juni können entsprechende Anträge gestellt werden. Je nach Alter können Beträge von 2000 bis 6000 Mark im Verhältnis 1:1 getauscht werden, für darüber gehende Beträge gibt es für zwei Ostmark eine DM. Bargeld in DDR-Währung muss bis spätestens 30. Juni auf ein Konto eingezahlt sein, danach verliert die Ostmark ihre Gültigkeit.
Weil das so ist, können sich die DDR-Bürger, wie an diesem 1. Juli auch in Halle, DM besorgen. Das aber wiederum geht nur, wenn sie sich in den Tagen davor eine Auszahlungsanweisung haben ausstellen lassen. Löhne, Gehälter, Renten, Mieten und Pachten werden unabhängig davon im Verhältnis 1:1 umgestellt.
Für die Bundesbank ist die deutsch-deutsche Währungsumstellung ein Kraftakt: 440 Millionen Banknoten im Gegenwert von rund 13,5 Milliarden DM mit einem Gewicht von 460 Tonnen müssen über die innerdeutsche Grenze geschafft werden, dazu 102 Millionen Münzen im Wert von einer Milliarde DM, die rund 750 Tonnen auf die Waage bringen. Die grünen Geldtransporter aus dem Westen müssen Umwege in Kauf nehmen – nicht jede der oft maroden Straßen in der DDR ist auf das Gewicht eines 40-Tonners ausgelegt. Immerhin: Scheine lagern genügend in den Tresoren in der damaligen Bundesrepublik: Bei 150 Milliarden DM liegt die Reserve der Bundesbank, schließlich müssen auch im Westen laufend verbrauchte, beschädigte und schmuddelige Geldscheine ersetzt werden. Und bei einem Geldumlauf von mehr als 1,2 Billionen DM kommen durch die Ausdehnung des Währungsgebietes auf die DDR ohnehin nur gut zehn Prozent dazu.
Klaus-Peter Müller, heute Aufsichtsratschef der Commerzbank, ist in diesen Monaten für die DDR zuständig. Er erinnert sich an "wilde" Zeiten in einem "wirtschaftlich völlig desolaten" Land. Manchmal sei er von den Bundesbank-Ablegern im Osten mit einer Million DM in bar im Trabi in die Filialen gefahren, weil dort das Geld auszugehen droht. Übernachtungen im Dienstwagen seien auch schon mal nötig gewesen, weil Hotelzimmer Mangelware waren.
Schon am Sonntag, dem 1. Juli 1990, ist das Zentrum in Halle voll. Die Geschäfte sind zwar noch geschlossen, aber die Menschen drücken ihre Nasen an die Schaufenster, wollen sehen, was es am nächsten Morgen, am Montag, dem 2. Juli 1990, zu kaufen gibt. Tatsächlich sind die sonst nur spärlich gefüllten Regale einen Tag nach der Umtauschaktion rappelvoll. "Was es auf einmal alles gibt", entfährt es manchen, auch wenn er nach dem Fall der Mauer schon im Westen war und das Angebot dort gesehen hat. Ein Kaufrausch entwickelt sich trotzdem nicht, weder in Halle noch in anderen Städten der DDR. Die Menschen müssen sich erst an die neuen Preise gewöhnen. Im Restaurant kostet eine Tomatensuppe am Montag 4,40 DM, zwei Tage zuvor gab es dafür noch ein ganzes Menü. Für Ostmark. Selbst bei den wenigen Ost-Produkten, die noch in den Regalen stehen, sind die Preise kaum nach unten gegangen. Und Westware, klagen viele, sei sogar noch teurer als im Westen, um bis zu 50 Prozent, wie manche auch im Supermarkt Hall-Markt 2000 unweit des Hotels Stadt Halle behaupten. "Die wollen uns doch wieder betrügen", entfährt es erbosten Hallensern. Die DM bleibt im Portemonnaie. Oder die Zeche wird geprellt, wie aus manchen Gaststätten im Zentrum von Halle zu hören ist. Ein Schweinesteak für sieben DM ist vielen einfach zu teuer. Da geht man dann schon mal so, nachdem man es sich hat schmecken lassen. Wilde Zeiten eben.
Im Hotel Stadt Halle muss der Gast am nächsten Morgen 141 DM auf den Tisch legen, in bar – für ein hässliches Zimmer mit abgenutzten braunen Möbeln, einem stinkenden Plasteboden und, immerhin, einer Grünpflanze, die die Tristesse aber auch nicht nehmen kann. Unverschämt. Und ein mehr als bescheidenes Frühstück. In Ostmark wäre es in Ordnung gewesen. Aber mit DM, kaum dass die neue Währung da ist und Kapitalismus und Marktwirtschaft Einzug gehalten haben, bleibt das Gefühl von Abzocke. Elfeinhalb Jahre später ist die DM auch in Halle schon wieder Geschichte. Sie geht an Silvester 2001. Der Euro kommt an Neujahr 2002.
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