Gotteshäuser

"Mein Gott, ist das traurig": Immer mehr Kirchen werden abgerissen oder verkauft

Weil Mitglieder und Einnahmen schwinden, müssen zahlreiche Kirchen und Kapellen in der Region in den nächsten Jahren verkauft, umgenutzt oder abgerissen werden. Für die Gläubigen ist das ein schmerzlicher Abschied.  

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Die katholische Kirche St. Josef im Fr...terung der Universitätsklinik weichen.  | Foto: Thomas Kunz
Die katholische Kirche St. Josef im Freiburger Westen ist inzwischen profaniert und muss der Erweiterung der Universitätsklinik weichen. Foto: Thomas Kunz

Die Kirchenglocken läuten, es riecht nach Weihrauch, immer mehr Menschen strömen in die Pfarrkirche St. Josef am nordwestlichen Rand des Freiburger Stadtteils Stühlinger. "Mein Gott, ist das traurig", sagt eine Frau leise beim Betreten des Kirchenraums zu ihrem Begleiter. Der Samstag, 22. März, ist der Tag, an dem das Patrozinium des heiligen Josef gefeiert wird und zugleich das Datum, an dem die Mitte der 1950er-Jahre erbaute Kirche profaniert wird, um danach abgerissen zu werden. In einer bewegenden Eucharistiefeier nehmen die Menschen aus dem Viertel Abschied von ihrer Heimatkirche. "So voll besetzt habe ich die Josefskirche nie erlebt", sagt Dompfarrer Alexander Halter zu Beginn des Gottesdienstes.

Gläubige erinnern sich an besondere Momente in ihrer Kirche

In dessen Verlauf wird deutlich, wie viel diese Kirche den Gläubigen bedeutet. Einige treten nach vorn, um ihren Schmerz und ihre Dankbarkeit zu teilen. Sie erinnern an Hochzeiten, Seniorentreffen und besondere Osternächte. Eine Frau bekennt "Trauer, Entsetzen und Wut", seit sie gehört habe, dass die Kirche einer Erweiterung der Universitätsklinik weichen muss. Und sie bittet um den "Geist der Hoffnung, der in die Zukunft weist und mit uns geht".

Nach der Verlesung des Profanierungsdekrets von Erzbischof Stephan Burger, mit dem die Kirche ihre Weihe verliert und der Welt zurückgegeben wird, werden unter dunklen Bläserklängen die Reliquien aus dem Altar geborgen, das Ziborium mit den geweihten Hostien aus dem Tabernakel geholt und das Ewige Licht gelöscht. Als die Menschen nach dem Schlusslied den Kirchenraum verlassen, finden sie beim Ausgang eine Broschüre mit dem Titel "Was kommt?" mit Informationen zur neuen Pfarrei "Unsere Liebe Frau", zu der sich die bisherigen acht Seelsorgeeinheiten Freiburgs am 1. Januar 2026 zusammenschließen werden. Andere bleiben noch und nutzen die Gelegenheit, den nun entwidmeten Altarbereich in Augenschein zu nehmen und machen Abschiedsfotos.

Die Kosten für Unterhalt und Sanierung steigen

Über Jahrhunderte prägten Kirchen und Kapellen die Kulturlandschaft der Region. Doch seit die Zahl der Kirchenmitglieder immer weiter sinkt, stehen die Zeichen auf Umbruch. Notgedrungen stellen das katholische Erzbistum Freiburg und die evangelische Landeskirche in Baden im Rahmen ihrer Zukunftsprozesse "Kirchenentwicklung 2030" (Erzbistum) und "Ekiba 2032" (Landeskirche) Strukturen, Personal und Gebäude auf den Prüfstand. Weil sie immer seltener für Gottesdienste gebraucht werden und die Kosten für Unterhalt und Sanierung steigen, müssen in den nächsten Jahren zahlreiche Kirchen verkauft, umgenutzt oder abgerissen werden.

"Nahezu jede Kirchengemeinde steht in nächster Zeit vor der Frage, wie sie mit ihren sakralen Räumen umgeht."Martina Kastner

"Nahezu jede Kirchengemeinde steht in nächster Zeit vor der Frage, wie sie mit ihren sakralen Räumen umgeht", sagt Martina Kastner, Vorsitzende des Diözesanrats als oberstem Gremium der katholischen Laien in der Erzdiözese. Jeder Fall, in dem eine Kirche oder Kapelle aufgegeben wird, sei mit Schmerz, Enttäuschung und Trauer verbunden. "Und wir sind diejenigen, die die Entscheidung vor Ort vertreten müssen", so Kastner mit Blick auf die ehrenamtlich Engagierten in den Pfarreien. Hier rechtzeitig eine Diskussion anzustoßen und Hilfestellung zu geben, war das Anliegen des Seminartags "Abschied vom Sakralraum – Übergänge gestalten", der jüngst in der Katholischen Akademie in Freiburg stattfand.

Das Tabernakel ist leer, das ewige Licht gelöscht.  | Foto: Simone Richter
Das Tabernakel ist leer, das ewige Licht gelöscht. Foto: Simone Richter

Im Erzbistum Freiburg und im Bereich der Badischen Landeskirche gibt es mehr als 2000 katholische und knapp 700 evangelische Kirchen und Kapellen. Wie viele es davon 2035 noch geben wird, ist ungewiss. Im Erzbistum werden derzeit pro Jahr etwa zehn Kirchen profaniert, wobei im Ordinariat mit steigenden Zahlen gerechnet wird. Die Landeskirche klassifiziert ihre Kirchen mit einer Ampel: 383 Kirchen stehen demnach auf Grün (Erhalt), 114 auf Rot (keine Bauförderung mehr), 190 auf Gelb (noch offen).

Umnutzungen als Bibliothek, Wohnhaus, Kletterhalle oder Musikschule sind denkbar

Dass geweihte Gebäude profaniert oder abgerissen werden, habe es immer gegeben, erklärt Christoph Schmider, Oberarchivdirektor im Erzbistum Freiburg. So seien etwa die Wallfahrtskirche Birnau am Bodensee, die Kapelle des ehemaligen Zisterzienserklosters Tennenbach zwischen Emmendingen und Freiamt und das heutige Augustinermuseum in Freiburg nach der Säkularisation von einst mächtigen Klosteranlagen übrig geblieben. Wenn eine Kirche nicht mehr gebraucht wird und dennoch im Dorf bleiben soll, stelle sich heute dieselbe Frage wie einst: "Wer soll das bezahlen?" Umnutzungen als Bibliothek, Wohnhaus, Kletterhalle oder Musikschule zeigen, welche Lösungen neue Eigentümer oder Mieter hier gefunden haben.

Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, die Zukunft der Kirchen und Kapellen zu diskutieren, sagt die Diözesanratsvorsitzende Martina Kastner. "Noch sind wir handlungsfähig." Ehrenamtlich Engagierte sollten sich klar machen, dass ihre Hauptaufgabe darin bestehe, die Gemeinschaft der Gläubigen zusammenzuhalten. "Strukturen und Räume müssen diesem Auftrag angepasst werden."

Aus schlechten Erfahrungen gelernt

Ist die finanzielle Lage der Kirchen in der Region noch vergleichsweise komfortabel, so sieht es in anderen Gegenden Deutschlands längst anders aus. Im Bistum Essen etwa hat der Prozess, der Südbaden bevorsteht, bereits vor 20 Jahren begonnen. Die Theologin Marlies Woltering und die Architektin Susanne Scholz berichten am Seminartag von ihren Erfahrungen mit Wut und Widerständen vor Ort. Sie erklären, wie eine Beteiligung von Betroffenen aussehen kann, damit der Abschied gelingt und die kirchliche Gemeinschaft bewahrt werden kann. Aus der unguten Erfahrung von 2005/06, als sehr rasch 96 Kirchen profaniert, geschlossen und verkauft wurden, habe man gelernt, so Woltering. "Damals wurden die Menschen kaum einbezogen, viele kamen nicht gut mit und manche sind heute noch tief traurig."

Inzwischen gibt es einen Leitfaden, der den Pfarreien hilft, den Abschiedsprozess zu verstehen, klar zu kommunizieren und gemeinsam zu gestalten. Schwer bleibe der Schritt dennoch, sagt Woltering. "Es gehen dabei immer Menschen verloren und kehren der Kirchen den Rücken."

Schlagworte: Martina Kastner, Marlies Woltering, Susanne Scholz
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