Endlich nicht mehr verstecken
Wie ein junger homosexueller Iraner in Deutschland beginnt, ein normales Leben zu führen.
Holger Vieth
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Ein Jahr später sitzt der 24-Jährige in einem hell erleuchteten Zimmer in Mannheim. Auf dem Tisch in der Beratungsstelle für Homosexuelle steht eine Kanne mit frisch aufgebrühtem Kaffee. Shahin lächelt, während er die Geschichte seiner Flucht erzählt. Denn er hat zwar die Hölle erlebt, sie aber hinter sich gelassen – und in Deutschland eine neue Heimat gefunden.
So wie Shahin in seinem Heimatland Iran, in dem Homosexuellen drakonische Strafen bis zur Hinrichtung drohen und schon ein Kuss mit 60 Peitschenhieben bestraft werden kann, geht es Schwulen und Lesben in vielen Regionen der Welt. In Uganda hat Präsident Yoweri Museveni erst kürzlich ein neues Gesetz gegen Homosexuelle verabschiedet – und damit eine Hexenjagd ausgelöst, die an Zeiten der Inquisition erinnert. Homosexuelle werden bedroht, diskriminiert, öffentlich vorgeführt. Ähnlich geht es unter anderem in Simbabwe, Kenia, dem Sudan und Malaysia zu.
Für Shahin verschärfte sich die Lage wenige Wochen vor seiner Flucht. Sicherheitskräfte seiner Universität in Teheran hatten ihn dabei erwischt, wie er in einem Auto einen Kommilitonen umarmte und küsste. Sie schwärzten ihn bei der Polizei an, die ihn festnahm und seine Eltern einbestellte. Als sie ihn ein weiteres Mal mit auf die Wache nahmen, schlugen sie ihn brutal zusammen, wie Shahin nach einem kurzen Schlucken erzählt. An diesen Tag erinnern auch heute noch eine kleine lichte Stelle an seinem Kopf und eine Narbe am Auge.
Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, begann die eigentliche Marter. Die Hochschule habe ihn vor dem Examen als Buchhalter aus dem Studiengang geschmissen – aus demselben Grund, aus dem er auch aus der Armee ausgemustert worden sei. In seiner Militärakte sei damals festgehalten worden: "Diagnose: Homosexualität." Sein Vater sperrte ihn nach dem Vorfall an der Hochschule in ein kleines Zimmer im Obergeschoss des Hauses und ließ ihn nur selten vor die Tür. Regelmäßig habe er ihn, seinen einzigen Sohn, verprügelt, sagt der 24-Jährige. Irgendwann hielt es Shahin nicht mehr aus – und nahm Kontakt zu einem Menschenschmuggler auf, der ihn nach Großbritannien bringen sollte.
Nachdem der Lastwagen ihn abgesetzt hatte, musste Shahin schnell feststellen, dass er nicht in London, Brighton oder Liverpool gelandet war – sondern in Essen. Weil er niemanden kannte und kein Wort Deutsch sprach, schlief er zwei Nächte auf der Straße. Erst dann nahm er all seinen Mut zusammen und meldete sich bei der Polizei.
Inzwischen lebt Shahin in der Nähe von Mannheim. Er ist froh, endlich einmal irgendwo angekommen zu sein – und seine Sexualität nicht mehr verstecken zu müssen. "Ich habe jetzt ein Leben mit ganz normalen Problemen", sagt er. Dazu gehört beispielsweise, seine kleine Einzimmerwohnung mit Möbeln auszustatten. Die Mitarbeiter der Psychologischen Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar (PLUS) – der Einrichtung, in der Shahin regelmäßig psychologische Hilfe bekommt und selbst als Ehrenamtlicher mithilft – haben ihm zu seiner neuen Unterkunft verholfen.
Zuvor wohnte Shahin in einem Asylbewerberheim in der Nähe. "In schlimmen Zuständen", wie Simin Alimohammadi erzählt. Sie kommt wie Shahin aus dem Iran, arbeitet in Teilzeit für den Mannheimer Verein und hilft bei Behördengängen, sprachlichen Schwierigkeiten und Kummer jeder Art. Als Shahin im Asylbewerberheim als schwul geoutet wurde, wurde ihm das Leben zur Hölle gemacht. Nur mit viel Mühe sei es seinen Unterstützern gelungen, ihn dort rauszuholen.
Bei den Ämtern gilt Shahin als politisch Verfolgter. Zuzugeben, dass er wegen seiner Homosexualität geflohen ist, sei jedoch ein großer Schritt gewesen, sagt er. Nur durch die Unterstützung von Alimohammadi habe er ihn gewagt. Sie ermutigte ihn, die Fotos, die seine Schwester damals von den Misshandlungen machte, als Beweise vorzulegen. Denn ein einfaches "Ich bin schwul" genüge nicht.
Doch am liebsten möchte Shahin nach vorne schauen. Er ist ehrgeizig, will etwas erreichen. Sein Traum: "Psychologie studieren", sagt er. "Am liebsten in Deutschland." Von England will er nichts mehr wissen. "Ich kann es einfach nicht beschreiben", sagt Shahin auf die Frage, wie er sich gerade fühlt. "Ich muss mich nicht mehr verstellen." Auch die Auflagen der Behörden, nach denen er nur in Ausnahmefällen weite Fahrten unternehmen darf, können seine Euphorie kaum mildern.
Ob er in Deutschland bleiben kann, steht noch nicht fest. Margret Göth, Psychologin bei PLUS, ist jedoch guter Dinge. Schließlich entschied der Europäische Gerichtshof in Luxemburg im vergangenen Jahr, dass Flüchtlinge ein Recht auf Asyl in der EU haben, wenn ihnen in ihren Herkunftsländern wegen homosexueller Handlungen Haftstrafen drohen.
Vor ein paar Monaten saß Göth mit der baden-württembergischen Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) und Vertretern islamischer Organisationen zusammen. Beim Runden Tisch Islam stellte sie Studienergebnisse vor, die besagen, dass Lesben und Schwule mit Migrationshintergrund über mehr Diskriminierung und Gewalt als solche ohne berichteten. Auch in der Familie würden homosexuelle Migranten häufiger diskriminiert. Der Runde Tisch habe sich den Vortrag mit "höflicher Zurückhaltung" angehört.
Probleme mit Homosexualität gebe es nicht nur in islamischen Kreisen, meint Göth. Auch die Online-Petition in Baden-Württemberg gegen die Bildungspläne von Grün-Rot, nach denen dem Thema "Akzeptanz sexueller Vielfalt" im Schulunterricht künftig mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden soll, zeige, dass auch in Deutschland Ängste und Vorbehalte gegen Schwule und Lesben existierten. Mehr als 190 000 Menschen hatten die Online-Petition innerhalb von zwei Monaten unterzeichnet.
Mit seinen Eltern spricht Shahin selten. Seine Mutter schreibt Briefe. Adressiert sind sie nicht an ihn, sondern an Alimohammadi. Sie bete für ihren Sohn, stehe darin, sagt Shahin. Dafür, dass er irgendwann von seiner Krankheit geheilt werde und als gesunder Mensch in seine Heimat zurückkehre, eine Frau heirate und Kinder zeuge. Viel Hoffnung möchte ihr Alimohammadi aber nicht machen: "Es ist unheilbar", sagt sie – und Shahin lacht.
HINTERGRUND
Homosexuelle werden in weiten Teilen der Welt diskriminiert. Besonders prekär ist die Situation in Afrika und einigen arabischen Ländern. Hier einige Beispiele:
Uganda: Schwulsein ist seit 1950 illegal. Seit einer Reform des Strafgesetzbuches 2000 gilt das Gesetz auch für Frauen. Ein kürzlich verschärftes Gesetz sieht lange Haftstrafen vor. Aber auch wer Homosexuelle unterstützt oder homosexuelles Verhalten von Freunden und Bekannten nicht anzeigt, riskiert ein Gerichtsverfahren.
Simbabwe: Präsident Robert Mugabe, der das Land seit mehr als 30 Jahren regiert, ist für seine Ausfälle gegen Homosexuelle bekannt: Gleichgeschlechtliche Liebe sei eine "ausländische Praxis, die in unser Land importiert wurde", sagte er unter anderem. Unter Strafe steht allerdings nur die Liebe unter Männern.
Kenia: Auch hier drohen Schwulen und Lesben lange Haftstrafen. Muslimische Führer verlangten sogar die Todesstrafe und forderten die Kenianer auf, homosexuelle Unternehmer und Geschäftsinhaber zu boykottieren, "um das abartige Treiben zu stoppen".
Sudan: Wer zum ersten Mal bei homosexuellen Handlungen ertappt wird, muss mit hundert Peitschenhieben und fünf Jahren Gefängnis rechnen. So sieht es die Gesetzgebung im Sudan vor. Wer zum dritten Mal "überführt" wird, dem drohen lebenslange Haft oder die Todesstrafe.
Iran: Im "Gottesstaat" drohen Homosexuellen drakonische Strafen bis hin zur Hinrichtung. Schwule und Lesben gelten als "krank" und "sittenlos".
Malaysia: Homosexuellen drohen bis zu 20 Jahre Haft und Auspeitschung. Schwul- und Lesbischsein ist "gegen die Natur", wie es im offiziellen Gesetzestext heißt.
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