Energiewende
Fachkräftemangel im Handwerk gefährdet Klimaziele
Die Klimaziele des Landes sind ehrgeizig. Um diese zu erreichen, fehlen allerdings die Fachkräfte. Laut einer Freiburger Studie bräuchte es deutschlandweit mindestens 100.000 zusätzliche Handwerker.
So, 30. Jan 2022, 9:54 Uhr
Südwest
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Johannes Ullrich weiß aus eigener Erfahrung wie es ist, wenn man als Kunde auf einer Photovoltaik-Anlage wartet. Er hat eine Bestellung für sein Privathaus vor einem Dreivierteljahr in Auftrag gegeben – und wartet noch immer. Vor Corona habe die Wartezeit auch schon ein halbes Jahr betragen, sagt Ullrich, der selbst Chef eines Malerbetriebs ist. Jetzt kämen noch die Lieferengpässe für manche Komponenten hinzu. Die Wartezeit bei der energetischen Gebäudesanierung beträgt laut Ullrich derzeit zwei bis drei Monate.
"Das Thema wird, obwohl es bekannt ist, stark vernachlässigt" – zu diesem Ergebnis kam im vergangenen Jahr das Öko-Institut Freiburg in einer Studie zum Fachkräftemangel in der Energiewende. Das Ergebnis war, dass im Handwerk in Deutschland etwa 50 Prozent mehr Fachkräfte benötig werden als heute, um Häuser energetisch zu sanieren und die Klimaziele zu erreichen. Das wären rund 100.000 zusätzliche Handwerker.
Um die Ziele bei der Gebäudesanierung zu erreichen, müssten jährlich zwei Prozent der bestehenden Gebäude gedämmt werden, hielt das Institut in seiner Studie fest. Allein das ist schon ein äußerst ambitioniertes Ziel, das noch keine Stadt in Deutschland erreicht hat. Freiburg liegt mit einer Quote von derzeit 1,6 Prozent im Spitzenbereich – und um das Doppelte über dem Bundesdurchschnitt. Das Öko-Institut ging in seiner Studie zudem von einer angestrebten Klimaneutralität im Bund im Jahr 2050 aus. Doch Berlin hat sein Ziel der Klimaneutralität mittlerweile auf 2045 hochgeschraubt – Baden-Württemberg sogar auf 2040. Es müssen also noch mehr Gebäude in noch kürzerer Zeit saniert werden. Woher die benötigten zusätzlichen Handwerker kommen sollen, ist eine offene Frage. Probleme gibt es schon heute genug. So ergab eine Umfrage des Öko-Instituts, dass 40 Prozent der Befragten Schwierigkeiten hatte, überhaupt einen geeigneten Handwerksbetrieb für die Haussanierung zu finden.
Die Sorgen des Handwerks seien berechtigt, teilt das Landesumweltministerium in Stuttgart auf Anfrage mit. Das Ministerium sieht aber keinen Anlass, deshalb die Klimaziele abzuschwächen. Das Land setze alle Hebel in Bewegung, um Fachkräfte zu mobilisieren und verweist auf die vielen Aktivitäten des Wirtschaftsministeriums wie etwa die verstärkte Werbung bei jungen Menschen, Weiterbildungen und Zuwanderung von Fachkräften.
Handwerkskammerpräsident Ullrich unterstützt diese Initiativen, dass ihre Wirkung aber begrenzt ist, veranschaulicht er an einem Beispiel: Wenn alle Schulabgänger in diesem Jahr und in den folgenden Jahren ins Handwerk gehen würden, ließe sich das Fachkräfteproblem in den Griff kriegen, sagt er. Auch die Fachkräftezuwanderung begrüßt Ullrich und verweist auf eine erfolgreiche Anwerbung von Indern im Fleischerhandwerk. Gerade aber in klimarelevanten Berufen in der Sanitär-Heizung-Klimabranche (SHK) sowie im Elektronikhandwerk gebe es ein sehr hohes Ausbildungs- und Fachkräfteniveau. Da bringe nicht jeder Zuwanderer die notwendige Qualifikation mit. Und schließlich müssten die Menschen integriert werden.
Zudem weist der Handwerkskammer-Präsident auf ein weiteres, gravierendes Problem hin: Allein in Baden-Württemberg finden derzeit 3000 Handwerksbetriebe keinen Nachfolger. So drohen ganze Betriebe für die Branche verloren zu gehen.
Angesichts des Fachkräftemangels setzt das Landesumweltministerium auf eine Priorisierung: Dämmen statt Pinselsanierung, neue Heizung oder Sanierung vor Neubau. Bund und Land unterstützten dies durch Förderprogramme.
Zudem hofft man in Stuttgart auf Ideen. Auf dem Markt der erneuerbaren Energien und des Klimaschutzes gebe es einen Boom an Neu- und Weiterentwicklungen – sowohl beim Material als auch bei den Arbeitsabläufen. Die serielle Sanierung ist ein Beispiel dafür: Dabei werden industriell vorgefertigte Elemente in kurzer Zeit auf der Baustelle installiert. "Das schafft auch einfachere Arbeitsplätze in Fabriken und reduziert den Bedarf an Bauhandwerkern", heißt es im Umweltministerium. Impulse erhofft man sich auch aus dem Handwerk, das sich einen Ruf als Innovationstreiber bei erneuerbaren Energien, Energieeinsparung und Energieeffizienz erarbeitet habe.
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