Ettenheim
Wieso ein überführter Impffälscher vor Gericht freigesprochen wurde
Seit Beginn der Corona-Impfungen haben die Behörden massenweise mit gefälschten Impfpässen zu tun. Doch die rechtliche Lage ist kompliziert, wie ein Verfahren am Amtsgericht Ettenheim gezeigt hat.
Frank Zimmermann & dpa
Do, 20. Jan 2022, 9:47 Uhr
Südwest
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Doch die rechtliche Lage ist kompliziert, wie am Mittwoch ein Impffälschungsverfahren am Amtsgericht Ettenheim zeigte. Denn obwohl dort die Schuld eines 38-Jährigen aus Rust klar belegt war, wurde er freigesprochen. Verantwortlich dafür ist eine Lücke im Strafgesetz, die der Gesetzgeber erst im vergangenen November geschlossen hat.
Andreas H., verheirateter Vater zweier Kinder, 14 und 17 Jahre alt, ist zur Verhandlung im Amtsgericht Ettenheim gar nicht erschienen, er hat seinem Anwalt Ulrich Schweier eine Vollmacht erteilt. Zu seiner Person und dem Tatvorwurf will er nicht aussagen. Doch die Fakten sind auch so klar: Am 1. Oktober 2021 erschien Andreas H. mit den Impfpässen seiner Kinder in einer Apotheke in Rust, um sich dort einen QR-Code für den digitalen Impfnachweis zu besorgen. Doch die Apothekerin wurde beim Blick auf die Impfpässe stutzig – und rief die Polizei.
Der zuständige Beamte ist am Mittwoch der einzige Zeuge. Stutzig gemacht habe schon der Stempel des Klinikums Stuttgart, er und seine Kollegen hätten damals schon mehrfach derartige Impfpassexemplare gemeldet bekommen gehabt, so der Polizist. Zum einen war das betreffende Impfzentrum in Stuttgart zum Zeitpunkt der eingetragenen Impftermine, am 13. August und 17. September, nicht mehr in Betrieb. Zum anderen stellten sich die Chargennummern als falsch heraus. Und das Sozialministerium in Stuttgart bestätigte dem Polizisten: "Für diese vier Impfungen liegen uns keine Daten vor."
Dennoch beteuerte H. dem Polizisten, dass die Impfpässe echt seien. Allerdings unterlief H. im Gespräch dann ein Fehler, als er sagte, er selbst habe einen schweren Impfverlauf gehabt und das seinen Kindern ersparen wollen. Zwar versuchte er, die Aussage wieder einzufangen und machte keine weiteren Angaben. Aber die Indizienlage erwies sich als eindeutig.
Oberamtsanwalt Gerald Heiß sagt in seinem Plädoyer: "Es liegt eine strafbare Urkundenfälschung vor." Durch die Umgehung des Infektionsschutzgesetzes habe H. in den derzeitigen pandemischen Verhältnissen andere Menschen erheblich gefährdet, und der gezahlte Preis pro gefälschtem Impfpass, um die 250 Euro, zeige eine "erhebliche kriminelle Energie". Heiß forderte deshalb für H. eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 40 Euro.
Doch Richter Wolfram Wegmann folgt der Forderung von Verteidiger Schweier und sprach den – schuldigen – Angeklagten frei. Der Grund: Erst aufgrund einer Gesetzesänderung im November 2021 ist das Vorlegen gefälschter Impfpässe in Apotheken strafbar. Davor galt der Tatbestand der Urkundenfälschung für ein Gesundheitszeugnis nur, wenn es bei einer Behörde oder Versicherung vorgelegt wurde, nicht aber bei einem privaten Unternehmen wie einer Apotheke. Das Gesetz, führt Richter Wegmann aus, stamme noch von 1871. Bundesweit etwa 90 Verfahren pro Jahr habe es bis zum Ausbruch der Pandemie gegeben, "das war eine zu vernachlässigende Deliktgruppe". Weshalb sich niemand die Mühe machte, das 150 Jahre alte Gesetz zu ändern. Bis durch die Pandemie Impfausweise eine ganz andere Bedeutung bekamen, nur mit ihnen erhält man Zutritt zu bestimmten Räumlichkeiten und Veranstaltungen und kann am sozialen Leben teilnehmen. Tausende von Fälschungen und die "Strafbarkeitslücke" ließen den Bundestag schnell handeln – am 18. November verabschiedete er einen Entwurf für ein Gesetz der neuen Ampel-Koalition, das seit dem 24. November 2021 auch schon in Kraft ist. Danach gilt: Wer einen gefälschten Impfpass nutzt, dem droht wegen des "Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse" eine Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Gefängnis.
Richter Wegmann entscheidet auf Freispruch, weil H.s Tat vor der Gesetzesänderung angezeigt wurde. Landgerichte in Hechingen, Karlsruhe und Stuttgart hätten wie er entschieden, nur das Landgericht Konstanz gegenteilig, sagt Wegmann. Es werden wohl bald Oberlandesgerichte mit der Thematik befasst sein.