Roboterautos

Wie am Konzept des Autonomen Fahrens getüftelt wird

Ingenieure und Wissenschaftler arbeiten am Auto der Zukunft, das keinen Fahrer mehr benötigt – doch wie sieht das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine aus?  

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Bei einer Geschwindigkeit von bis zu 60 Stundenkilometern soll das Roboterauto Leonie selbstständig die Spur halten, Kreuzungen berücksichtigen, Hindernissen ausweichen sowie Abstände und Geschwindigkeiten dem fließenden Verkehr anpassen. Zur Sicherheit sitzt nach wie vor ein Fahrer hinter dem Steuer. Foto: Dominique Leppin
Leonie ist zurück. Eine Halle, ein VW Passat, eine Menge Kabel, die von überall in den Kofferraum führen, junge Männer an Bildschirmen, die Zahlenkolonnen und Kurven betrachten. Leonie hat etwas zu erzählen. Leonie hat gesehen, gemessen, erfahren, aufgezeichnet. Ein Datenberg muss jetzt raus und ein neuer mit Korrekturen und Verbesserungen rein.

Leonie, ein grauer Passat Diesel, war gerade auf Tour. Im Kofferraum türmen sich Rechner und Messgeräte, auf dem Dach und an den Stoßstangen sind Laser, Scanner, Kameras, Radargeräte montiert. Leonie ist ein Roboter, der seit dem 8. Oktober 2010 selbstständig seine Kreise dreht auf dem Braunschweiger Stadtring. Bei gutem und schlechtem Wetter, wann auch immer.

Zur Sicherheit sitzt noch ein Mensch hinterm Lenkrad

Zur Sicherheit sitzt noch ein Mensch hinterm Lenkrad, wenn Leonie auf Tour geht und sich unter leibhaftige Autofahrer mischt. Aber Leonie kommt ganz gut allein klar. Sie hat 22 021 Kilometer unfallfrei hinter sich und ist ein Vorgeschmack auf die Zukunft. "Was Leonie kann, ist schon mal nicht schlecht", sagt Gerrit Bagschik. Er ist einer der Betreuer, 28 Jahre alt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Regelungstechnik der TU Braunschweig. Sein Spezialgebiet: Sicherheit designen. Was ist nötig, wie lässt es sich programmieren? Wie kriegt man das Chaos auf deutschen Straßen so in den Griff, dass eine Blechschachtel mit Platinen und Chips darin damit fertig wird?

Der junge Mann gehört zu den vielen klugen Köpfen unter den Autobauern, Informatikern, Ingenieuren und Elektronikern auf diesem Planeten, die gerade dabei sind, fast alles, was wir uns bisher unter einem Auto vorstellten, auf den Kopf zu stellen. Bagschik und seine Kollegen in Stuttgart, München, Wolfsburg, Ingolstadt oder im Silicon Valley verwandeln gerade den guten alten Kraftwagen in einen motorisierten PC, in dem der Mensch Passagier ist und die Finger vom Lenkrad lässt, falls überhaupt noch eins eingebaut werden sollte.

So weit Theorie und Zukunft. Klingt ja auch nicht schlecht: entspanntes und intelligentes Gefahrenwerden. Das Auto cruist immer mit der richtigen Geschwindigkeit, es bremst vernünftig und beschleunigt angemessen, der Energieverbrauch sinkt. Keine Stinkefinger, kein Vogelzeigen, Roboter regen sich nicht über andere Roboter auf. Keine Knöllchen. Staus und Unfälle waren einmal, die künftigen Leonies kennen ihren Weg.

Nichts ist mehr so, wie es Generationen lang war

Schöne neue Autowelt. Nichts ist mehr so, wie es Generationen lang war seit jenem Tag im Jahr 1888, als Hertha Benz mit ihren beiden Söhnen in einem dreirädrigen Vehikel 106 Kilometer von Mannheim nach Pforzheim knatterte. Wenn man glauben darf, was Daimler, VW, BMW, Tesla oder Google seit Monaten verkünden, dann geht nicht nur das Zeitalter der Benzin- und Dieselmotoren dem Ende entgegen. Sie werden langsam, aber sicher dem Elektroantrieb Platz machen.

Viel dramatischer: Das Auto selbst nimmt bald die Dinge in die Hand. Es übernimmt die Verantwortung, es fährt, man wird gefahren. Man döst, das Auto passt auf, es fährt autonom, kann alles besser, weiß alles besser. Angeblich ist es schon Ende dieses Jahres so weit, behauptet der kalifornische Elektroautostar Elon Musk von Tesla.

BMW hat gerade verkündet, 2021 in seinen Fahrzeugen autonomes Fahren möglich machen zu wollen. Daimler hat eine Teillizenz für autonomes Fahren in Nevada und tut sich gerade mit dem amerikanischen Unternehmen Uber zusammen, wo man vom Taxi ohne Fahrer träumt. Daimler-Chef Dieter Zetsche spricht von der "Neuerfindung der Mobilität" und davon, dass sein Konzern eine entscheidende Kraft dieses Wandels sein wolle.

Neue Chancen für entlegene Dörfer, Gehbehinderte und Blinde

"Es wird so kommen", sagt Gert Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Schon aus Umweltgründen. "Wenn uns unser Planet nicht egal ist, müssen sich die Verhältnisse ändern." Sicher nicht so schnell, wie Tesla meint, aber in 20 oder 30 Jahren spätestens. Mit "es" meint er den Elektroantrieb, automatisiertes Fahren und, daran gebunden: neue Verkehrskonzepte wie Sammeltaxis, die man per Smartphone bestellt. Neue Chancen für Leute in entlegenen Dörfern, für Gehbehinderte und Blinde.

Die Dinge kommen ins Rutschen. "Ein Paradigmenwechsel", stehe an, nennt es Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Teure Autos können heute schon Abstände zum vorausfahrenden Wagen messen oder per Handyapp in eine Parklücke manövriert werden. Sie können selbstständig auf Autobahnen fahren, sie bremsen, wenn plötzlich ein Hindernis im Weg ist und warnen den Fahrer, wenn er am Steuer einzuschlafen droht.

In der Autoindustrie spielt sich für den VCD-Experten Lottsiepen gerade ab, was er schon einmal erlebte, als Speicherchips den guten alten Film in der Fotografie ablösten: "Plötzlich war er weg. Das ging ruckzuck." Ab 2030 gehe wegen des Klimaschutzes nichts mehr ohne Elektroantrieb. Und weil Elektromotoren im Gegensatz zu Benzin- und Dieselantrieben kinderleicht und hochautomatisiert zu bauen seien, kämen aggressive neue Anbieter wie Google und Tesla ins Spiel, die ganz anders dächten als deutsche Autobauer bislang. Enormer Druck baut sich auf. "Wenn die deutsche Autoindustrie an ihren alten Konzepten festhält, wird es ihr wie Kodak oder Nokia ergehen", prophezeit Lottsiepen.

Ein Computer wird nicht müde und kennt keinen Stress

"Was sich andeutet, ist spannend und faszinierend", schätzt Marion Jungbluth den Umbruch ein. Sie leitet das Team Mobilität und Reisen beim Bundesverband Verbraucherzentrale in Berlin. "In zehn oder zwanzig Jahren werden wir das autonome Fahren in Deutschland haben", sagt sie. Für sie gibt es viele Gründe, das Lenkrad langfristig einem Rechner zu überlassen: "Wir haben immer noch 3400 Verkehrstote pro Jahr in Deutschland. Das ist doch unvorstellbar", sagt sie. Automatisiertes Fahren sei einfach sicherer. Ein Computer wird nicht müde, kennt keinen Stress, trinkt kein Bier, nimmt keine Drogen, lässt sich nicht provozieren. Außerdem, sagt sie: "Schauen Sie sich den Verkehr hier in Berlin an. Macht das noch Freude, hier selbst zu fahren? Oder über Stunden monoton auf einer Autobahn?"

Institut für Regelungstechnik, sechster Stock. In der Luft das Surren von kleinen Elektromotoren. Einige Räume sehen aus wie Kinderzimmer: Straßen sind auf den Linoleumboden aufgemalt mit Abbiegepfeilen und Zebrastreifen, kleine Schilder stehen an Kreuzungen. Die Kollegen von Gerrit Bagschik probieren aus, was ihre schuhkartongroßen Computerautos können und was nicht. Überall liegen Schaumgummimatratzen, falls die kleinen Leonies mal nicht so wollen, wie sie sollen. Ein Autochen schnurrt vorbei, schafft es aber nicht um die Kurve.

Markus Maurer leitet das Institut. Er ist Professor für elektronische Fahrzeugsysteme, hat acht Jahre bei Audi gearbeitet, bevor er 2007 nach Braunschweig kam. Er kennt sich aus in der Branche, lehrt an der TU München und an der Stanford University und ist Berater einer Ethikkommission, die sich mit den rechtlichen und moralischen Fragen befasst, die in diesem Thema stecken. Seit Herbst 2016 gibt es die Kommission aus Ingenieuren, Philosophen, Juristen und Theologen unter Leitung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo die Fabio, die den Algorithmen menschliche Leitlinien geben soll.

Wer trägt die Verantwortung, wenn ein Unfall passiert?

Es ist ein Berg aus ungeklärten Fragen. Wahrscheinlich schwieriger zu beantworten als alle technischen Probleme. Es wird nämlich grundsätzlich: "Was ist sicher? Wie sicher ist sicher genug?", fragt er. "Es muss ein Standard festgelegt werden. Autonomes Fahren sollte so gut sein wie die zwei Prozent besten Autofahrer", schlägt er vor. Was ist mit der Verantwortung, wenn ein Unfall passiert? Wer trägt sie? Der Eigentümer? Der Fahrer, wenn er doch keiner mehr ist? Der Hersteller? In den USA verunglückte ein Tesla-Mitfahrer tödlich, dessen Roboterauto einen Laster übersah.

Es gibt einen ersten Gesetzentwurf, der im Dezember öffentlich wurde. Die Frage, wer bei einem Unfall haftet, ist wesentlich, wird darin aber nicht klar beantwortet. Der Entwurf geht immer noch von einem verantwortlichen Fahrer aus, der im Notfall sekundenschnell eingreift. Aber wie soll das gehen, wenn der Passagier gerade einen Film schaut oder sein Butterbrot verspeist? Eine Black Box im Auto soll das Fahrgeschehen aufzeichnen – und im Unglücksfall dokumentieren, was schiefgelaufen ist.

"Das sind alles Themen für die Ethikkommission", sagt Maurer. Eine Menge Arbeit warte, nicht nur die Klärung der berühmten "Dilemma-Fragen", wie er sie nennt. Ein Beispiel: Was macht ein Roboterauto, wenn plötzlich auf einer Straße Menschen stehen und es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder es fährt in die Gruppe oder es weicht aus und fährt gegen einen Baum? Im ersten Fall sterben fremde Menschen, im zweiten Fall der Mitfahrer. Was macht der Rechner? Wen lässt er leben?

Wollen die Deutschen, was sich da anbahnt?

Doch wollen die Deutschen, was sich da anbahnt? Der ADAC hat vergangenes Jahr seine Mitglieder befragt. Ergebnis: Zwei Drittel rechnen damit, dass autonomes Fahren wirklich wird. Ein Drittel wäre sogar dazu bereit, ein größeres Drittel nicht, der Rest ist unschlüssig. Es sind vor allem Ältere und Frauen, die skeptisch sind, sagt Verkehrsexpertin Marion Jungbluth. Jüngere Menschen, von denen viele heute gar keinen Wert mehr auf ein eigenes Auto legten, würden einfach in etwas Neues hineinwachsen. Es sei wohl eine unausweichliche Geschichte, nicht aufzuhaltender Fortschritt, sagt sie und verweist auf den Satz des amerikanischen Autobauers und Erfinders Henry Ford: "Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde." Die 1,2 Millionen Pferdesportler in Deutschland hätten bestimmt nichts dagegen.

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