"Wer die Probleme leugnet, schadet den Landwirten"

BZ-INTERVIEW:Baden-Württembergs Tierschutzbeauftragte Cornelie Jäger hält eine Reform der Nutztierhaltung für überfällig.  

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Cornelie Jäger  | Foto: dpa
Cornelie Jäger Foto: dpa

Der neue Tierschutzbericht weicht nach Einschätzung von Cornelie Jäger den Zukunftsfragen aus. Agrarminister Schmidt lasse nicht erkennen, was er konkret ändern wolle. Mit der baden-württembergischen Tierschutzbeauftragten sprach Bernhard Walker.

BZ: Wie beurteilen Sie den neuen Tierschutzbericht?

Jäger: Der Bericht ist seltsam unentschieden und unehrgeizig. Er legt nicht dar, bis wann und auf welche Weise es bei welchem Nutztier zu Fortschritten im Tierschutz kommen soll. Als Sachstandbericht ist er gründlich und umfassend. Aber den Zukunftsfragen weicht er aus.

BZ: Was sind die Zukunftsfragen?

Jäger: Man muss sich vor Augen halten, wie die heutige Lage in der Nutztierhaltung zustande kam. Über Jahrzehnte hinweg ging es darum, die Tiere auf sehr hohe, meist einseitige Leistung auszurichten, also beispielsweise darauf, dass ein Huhn möglichst viele Eier legt und eine Kuh möglichst viel Milch gibt. Das ging mit gravierendem Tierleid einher – sei es, dass Tiere an Stoffwechselkrankheiten leiden oder so schwer sind, dass ihr Gelenkapparat sie nicht halten kann. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen: Ein Schwein kann durchaus zwölf Jahre alt werden. Damit sie ökonomisch effizient genutzt werden, haben heute aber Sauen so oft Ferkel, dass sie es kaum über ihren dritten Geburtstag hinaus schaffen. Dies alles zu ändern, ist dringend geboten, aber auch ungemein schwer.

BZ:
Warum ist das so?

Jäger: Weil es sich um ein fest etabliertes System handelt, das sich komplett verfestigt hat. Es zu ändern, ist eine enorme Herausforderung.

BZ: Was muss man dafür tun? Jäger: Alle Beteiligten müssen an einen Tisch, verbindlich Schritt für Schritt vorgehen und dabei verschiedene Reformwege parallel nutzen. Ich schildere an einem Beispiel, wie ich das meine. Das Kupieren von Hühnerschnäbeln war lange Usus, um möglichst viele Legehühner auf begrenztem Raum halten zu können. Aus Tierschutzsicht ist das natürlich inakzeptabel. Also müssen die Züchter nun versuchen, Rassen zu züchten, bei denen Verhaltensstörungen wie Federpicken und Kannibalismus möglichst vermindert auftreten und so dazu beitragen, dass Tiere, die nicht kupiert werden, sich nicht verletzten. Bis es so weit ist, müssen die Halter wiederum lernen, wie sie mit Tieren umgehen, die nicht kupiert sind. Und dabei müssen wir Vielfalt zulassen: Der eine Halter probiert das eine Verfahren aus, der andere ein anderes. Und die Erfahrungen werden ausgetauscht, damit sich am Ende im Stall der beste Standard durchsetzt.

BZ: Ist Ihr Ansatz der Stufenpläne nicht unehrgeizig?

Jäger: Überhaupt nicht. Mein Ansatz klingt vielleicht spröde. Tatsächlich ist es eine große Aufgabe, sofort mit konkreten Änderungen zu beginnen, sie verbindlich stufenweise umzusetzen und gleichzeitig zu schauen, was sich bewährt und was nicht. Alle müssen jetzt mit ins Boot, alle müssen den Wandel mitmachen und ab sofort damit beginnen, Praxiserfahrungen zu sammeln.

BZ: Diese integrative Linie vertritt auch Agrarminister Schmidt.

Jäger: Leider tut er das Gegenteil und verschiebt die Änderungen in der Praxis mit dem Hinweis auf ausstehende Forschungsergebnisse. Die Politik muss klar sagen, dass sie mehr Tierschutz will und dass sie bereit ist, das auch gegen harte Widerstände durchzusetzen. Die gibt es natürlich, weil vom heutigen System viele profitieren. Die Ansage, welche konkreten Schritte es ab sofort im Tierschutz geben muss: Genau die vermisse ich in dem neuen Bericht. Dieses Schweigen mag die Agrarfunktionäre erfreuen, die behaupten, dass eigentlich alles in Ordnung sei. Wer die Probleme leugnet, schadet aber nur Landwirten und Tierhaltern.

BZ: Warum?

Jäger: Weil die Gesellschaft ganz anders als früher Tierschutz einfordert. Es ist wichtig, ihn anzugehen und die Bauern durch konkrete, klar angekündigte Schritte mitzunehmen und auch zu unterstützen.

Cornelie Jäger (48) promovierte an der Uni Gießen in Tiermedizin und war in der Veterinärverwaltung tätig. Seit 2012 ist die gebürtige Tübingerin Tierschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg.

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