Gastfamilien in Freiburg

Was Eltern berücksichtigen sollten, wenn sie Austausschüler aufnehmen

Wer einen ausländischen Gastschüler aufnimmt, bekommt viel zurück – so wie zwei Freiburger Familien.  

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Neue Familiendynamik (von links): Aust...en, Jannek, Greta und Astrid Schaffert  | Foto: Ingo Schneider
Neue Familiendynamik (von links): Austauschschüler Daniel Castellanos aus Kolumbien, Jannek, Greta und Astrid Schaffert Foto: Ingo Schneider
Man kennt das: Jugendliche gehen während der Schulzeit für ein Jahr ins Ausland, um eine Sprache zu erlernen und sich in einer anderen Kultur zurecht zu finden. Doch es gibt auch den entgegengesetzten Weg: Familien bewerben sich bei einem sogenannten Inbound-Programm (siehe Infokasten) als Gastfamilie für einen Austauschschüler. Ihnen steht eine spannende Zeit ins Haus. Die Familien Schaffert aus Littenweiler und Lange aus Zähringen haben es erlebt.

"Nie werde ich vergessen, wie ich nach einem kalten Herbstregen nach Hause kam und Sara Muffins gebacken hatte", erinnert sich der 13-jährige Lenny freudestrahlend an jenen Tag, an dem sich seine schlechte Laune schlagartig besserte. Sara Hetherington ist 18 Jahre alt, kommt aus den USA und lebt seit September bei Familie Lange in Zähringen. Sie nimmt am Parlamentarischen Patenschaftsprogramm teil, über das die Organisation "Open Door International" US-amerikanische Jugendliche für zehn Monate an Gastfamilien in Deutschland vermittelt. Die Idee, einen Gastschüler aufzunehmen, kam den Eltern Christiane Lange und Manfred Eble, als ihre Kinder im Carl-Schurz-Haus einen Englischkurs besuchten. Lenny und sein zwei Jahre älterer Bruder Tim waren sofort Feuer und Flamme, doch zunächst zeigten ihre Eltern die möglichen Konsequenzen auf. "Zum Beispiel, dass alles durch eine Person mehr geteilt werden muss – auch unsere Aufmerksamkeit", sagt Christiane Lange. Ihre Kinderzimmer müssen sie jedoch nicht teilen. Sara wohnt im Gästezimmer – einen Rückzugsraum anzubieten, war den Gasteltern wichtig.

Manchmal leben Jugendliche gleichen Alters und Geschlechts durchaus im selben Zimmer, sagt Meike Schmidt, Pressesprecherin von "Experiment", einer anderen Austauschorganisation. Doch sei ein eigenes Zimmer wünschenswert, ein eigenes Bett zwingend erforderlich.

Bei Familie Schaffert waren die Vorzeichen andere: Tochter Lynn, 17, beschloss, mit der Organisation AFS einen Schüleraustausch nach Costa Rica zu machen. "Man kann nicht von anderen Menschen Gastfreundschaft erwarten und selbst niemanden willkommen heißen", sagt ihre Mutter Astrid. AFS kooperiert mit Partnern im Ausland. Diese versenden Kurzprofile interessierter Jugendlicher nach Deutschland, wo darüber entschieden wird, ob sie reif für ein Auslandsjahr sind und zu welcher Familie sie passen. AFS unterbreitete den Schafferts drei Vorschläge. Die Entscheidung fiel auf Daniel Castellanos, 18, aus Kolumbien.

Die vielen Gespräche mit Lynn über ihren bevorstehenden Austausch waren für die Eltern eine gute Vorbereitung. "Wir konnten uns in die Lage von Jugendlichen versetzen, die für ein Jahr ins Ausland gehen", sagt Astrid Schaffert.

Ihr Partner Karl Schnitzler berichtet, dass sie ihre eigenen Erwartungen an das Austauschjahr reflektiert hätten, sich gefragt hätten, wie sie Daniel in die Alltagsabläufe integrieren und welche Probleme auftreten können. "Letztlich", meint Astrid, "ist aber alles Wunschdenken." Man könne nie wissen, was einen konkret erwartet.

Daniel bezog Lynns Zimmer. An Stelle der großen Schwester haben die neunjährige Greta und der vierzehnjährige Jannek nun einen großen Bruder. Die Familiendynamik hat sich geändert. "Früher haben sich Greta und Jannek häufig gezankt", verrät die Mutter. Jetzt beschäftigten sie sich so viel mit Daniel, dass zum Streiten keine Zeit bleibt. Ein gutes Verhältnis der eigenen Kinder zum Gastschüler erleichtert die Integration. Insbesondere jüngere Kinder verkürzen wegen ihrer Neugierde die Eingewöhnungsphase.

Manchmal treten aber Spannungen auf, weiß Betreuer Duncan Cummins: "Unter pubertierenden Mädchen kommt es öfter zu Eifersucht und Neid zwischen den leiblichen Kindern und den Gastschülern." Der 65-jährige Brite betreut in Freiburg seit 30 Jahren ehrenamtlich Familien mit Gastschülern. "Schon im Vorfeld investiere ich viel Zeit, um mir einen persönlichen Eindruck von den Familien zu machen." Auch die Zähringer Familie Lange hat er vor dem Austausch kontaktiert und ist sowohl ihr Ansprechpartner als auch der von Sara. Sie werde ohnehin nicht wie ein Gast behandelt, sondern wie ein fünftes Familienmitglied, sagt Manfred Eble. "Wir unternehmen viel gemeinsam, vom Kochen bis zum Familienurlaub, alles läuft Hand in Hand." Sara habe sich bestens eingelebt, der erste Konflikt lasse noch auf sich warten, meint er lachend.

Bei Familie Schaffert kam dieser auch nach elf Monaten nie auf. Vor knapp drei Wochen flog Daniel zurück nach Kolumbien. "Wir haben immer alles offen angesprochen, damit keine Missverständnisse auftreten", sagt Astrid Schaffert. Sie spricht von "spielender Verständigung". Abends haben sie zusammen Wortspiele wie "Ich packe meinen Koffer" gespielt. Im ersten Monat hat Daniel mit Yannek und den Eltern noch Englisch gesprochen. Doch da die neunjährige Greta kein Englisch versteht, musste Daniel mit ihr Deutsch reden. "Sie war seine beste Lehrerin", meint Astrid Schaffert.

Manfred Eble, der Gastvater von Sara, beobachtet auf beiden Seiten einen Lernprozess. Kinder seien ein Spiegel der eigenen Familie. Mit Sara habe er einen Einblick in die Erziehung anderer Eltern erhalten und sich selbst gefragt, wie sich seine Kinder wohl im Ausland verhalten würden. Diese Erfahrung macht die Littenweiler Familie Schaffert gerade mit ihrer im Ausland lebenden Tochter.

Was für die beiden Familien selbstverständlich ist, ist aber die Ausnahme. Jährlich gehen mehr als 18 000 deutsche Schüler ins Ausland. Im Gegenzug wurden im Schuljahr 2013/14 nur 2700 ausländische Schüler in deutschen Familien untergebracht. In den Jahren zuvor teils weniger. "Als Zielland ist Deutschland sehr beliebt, doch mangelt es an der Aufnahmebereitschaft", sagt Uta Wildfeuer, Repräsentantin des Arbeitskreises gemeinnütziger Jugendaustauschorganisationen (AJA). Jeder dritte Interessent findet keine Familie. Ein Grund ist, dass die gemeinnützigen Vereine den Gastfamilien kein Geld zahlen. "Im Mittelpunkt soll der kulturelle Aspekt stehen. Weder wollen noch können wir finanzielle Anreize setzen", erklärt Meike Schmidt von "Experiment". Ein weiterer Grund ist, dass nur wenige Haushalte wie Familie Lange über ein freies Zimmer verfügen. In Innenstadtlage kann sich das kaum jemand leisten. Im letzten Schuljahr sind nur sechs Schüler in der Stadt Freiburg untergekommen – alle in Stadtrandlage. 14 weitere haben Familien in der näheren Umgebung gefunden.

Freiburg gelte als schwer vermittelbar, sagt Jessica Laqua, die in Freiburg für "Experiment" ehrenamtlich Gastschüler betreut. In den vergangenen fünf Jahren hatte sie nur Schüler außerhalb der Stadt. Laut einer Studie des Bildungsberatungsdienstes Weltweiser ist dies ein regionales Problem: Im Süden und Osten der Republik finden sich kaum Gastfamilien. In Hamburg ist der Anteil von Austauschschülern zwischen 15 und 17 Jahren fünfmal höher als in Baden-Württemberg. Jessica Laqua verweist auf die unzureichende Vernetzung ihrer Organisation in Süddeutschland. Tatsächlich sitzt ein Großteil der Vereine in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Berlin. Schlechte Erfahrung mit Freiburg hat auch die Organisation "Step In" gemacht: Viele Schulen seien nicht bereit, Austauschschüler mit geringen Deutschkenntnissen zu integrieren, sagt eine Sprecherin.

Und da ist noch die Unsicherheit: Was passiert, wenn die Chemie nicht stimmt? Hin und wieder gebe es auf zwischenmenschlicher Ebene unüberwindbare Hürden, sagt Duncan Cummins. Einmal habe er einen Jugendlichen gehabt, der viermal die Familie wechseln musste. "Der war überhaupt nicht kompromissbereit. Zum Schluss wollte ich ihn keiner Familie mehr zumuten." Doch so etwas ist sehr selten. Familie Lange und Sara halten das sogar für ausgeschlossen. Viel mehr wird Trauer ausbrechen, wenn es im Juni heißt, Abschied zu nehmen. Den hat Familie Schaffert bereits hinter sich. Der Wunsch der neunjährigen Greta, ihr neuer Bruder Daniel möge für immer bleiben, ging nicht in Erfüllung.

Tipps für Gastfamilien

Für ein Inbound-Programm (inbound ist englisch und heißt "ankommend") kann sich jeder bewerben – auch Kinderlose, Alleinerziehende oder Homosexuelle. AFS und YFU sind die größten Vereine und wie "Open Door International", "Rotary Jugenddienst", "Partnership International" und "Experiment" im Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustauschorganisationen (AJA) organisiert. Auch gibt es viele GmbHs (z.B. Step In, Ayusa, GIVE, Into), die Mitglied im Deutschen Fachverband High School e.V. sind. Kosten für die Reise und Versicherungen sind gedeckt. Einige profitorientierte Firmen zahlen Unterhalts- und Wohnkosten (z.B. GLS Berlin, Eurovacances). Auf der Jugendbildungsmesse am Samstag, 25. April, stellen sich mehrere Organisationen vor: 10 bis 16 Uhr im St. Ursula-Gymnasium, Eisenbahnstraße 45.

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