Vom Säureopfer zur Kämpferin
Vanessa Münstermann hat ein Buch über ihre Tragödie geschrieben.
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HANNOVER (dpa). Das linke Auge zerstört, ein Ohr weggeätzt, die Hälfte von Gesicht und Hals starr und rot entzündet: In den ersten Wochen nach der Säure-Attacke ihres Ex-Freundes glaubte Vanessa Münstermann nicht, dass sie jemals wieder mit einem Mann Zärtlichkeiten austauschen würde. Heute ist die Frau aus Hannover Mutter einer acht Monate alten Tochter. Im Herbst will sie ihre Jugendliebe heiraten. Am Dienstag erscheint im Rowohlt Verlag ihr Buch "Ich will mich nicht verstecken".
Mit Angst und Anspannung erwarte sie jetzt die Reaktionen, erzählt die junge Frau – am Dienstag wird sie 30 Jahre alt – in einem Café in der Nähe von Hannover. Vor dem Interview hat sie eine Frau besucht, die sie seit längerem betreut. Ein Jahr nach dem Anschlag gründete Münstermann den Verein "Ausgezeichnet", um Brandopfern und anderen Entstellten zu helfen. Ihre Tagebücher hat Regina Carstensen für das Buch bearbeitet. Die Ghostwriterin hat zuvor mit Torwart Oliver Kahn oder Schauspielerin Allegra Curtis gearbeitet. In Telefonaten und bei Treffen rekonstruierten beide auch den Gerichtsprozess, der in den Tagebüchern fehlt. Zudem beschrieb die junge Mutter, wie es ihr mittlerweile geht: "Superglücklich, aber chronisch übermüdet". Carstensen sagt: "Mich hat beeindruckt, wie selbstbestimmt sie eigene Entscheidungen trifft und dass sie ein großes Herz für andere hat."
Ihr eigenes körperliches und psychisches Leiden spielt Münstermann eher herunter. Schlafstörungen und Ängste hat sie seit dem Anschlag, Dutzende Operationen musste sie über sich ergehen lassen, weitere werden folgen. Das Buch sei in erster Linie an ihre Tochter gerichtet, betont die Autorin. Noch immer hat Münstermann Angst davor, dass der Täter sie umbringt, wenn er eines Tages aus dem Gefängnis kommt. Er schrieb ihr aus der Haft beleidigende Briefe. Im Herbst erstritt sie vor dem Landgericht Hannover in einem Zivilprozess 250 000 Euro Schmerzensgeld. Allerdings ist der heute 37-jährige Täter nach Angaben seines Anwalts pleite.
Münstermann stellt sich in dem Buch selbst infrage. Sie wirft sich vor, in der sechsmonatigen Beziehung zu dem Täter nicht früher die Notbremse gezogen zu haben. "Ich bin lachend in die Kreissäge gelaufen", sagt sie. Der Mann habe sie mit morgens heimlich in die Brotbox gesteckten Liebesbotschaften eingelullt und später mit Selbstmorddrohungen unter Druck gesetzt. Erst im Gerichtssaal erfuhr sie von seinen 27 Vorstrafen und seiner von Gewalt geprägten Vergangenheit.
"Mein Tag war von Äußerlichkeiten bestimmt", kritisiert Münstermann ihr früheres Ich. "Meine Wimpern wurden länger und bunter, mein Haar konnte nicht rot und wild genug sein, mein Make-up kleisterte jegliche Mimik zu. Zum Schluss erkannte ich mich selbst nicht wieder." Insofern sei die Zerstörung ihres hübschen Gesichts auch eine Befreiung gewesen: "Ab heute darfst du hässlich sein."