Kevin Kühnerts kühne Thesen
Der Juso-Chef stößt mit seinem Plädoyer für eine Kollektivwirtschaft auf einhellige und empörte Kritik – außer von der Linken.
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Damals ging es um die Frage, ob die SPD erneut mit CDU und CSU eine gar nicht mehr so große Koalition eingeht. Kühnert argumentierte vehement dagegen, vielen in der SPD sprach er mit seiner frechen Anti-Groko-Kampagne aus dem Herzen. Am Ende entschied die SPD jedoch mit dem Kopf und für die Regierungsbeteiligung. Seitdem aber war der Juso-Chef wer in der Partei, Kühnert wurde von der SPD-Spitze eingebunden und galt als das Versprechen an die Basis, sich nicht mehr mit kleinen Antworten zufriedenzugeben.
Nun hat Kühnert große Antworten gegeben. In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit wurde der 29-Jährige gefragt, was für ihn Sozialismus heiße. Ihm schwebe eine Gesellschaft vor, die "kollektive Bedürfnisse in den Vordergrund stellt und nicht Profitstreben", antwortete der Vorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation, die traditionell links der Mutterpartei steht. Im "Optimalfall" solle es keine privaten Vermietungen geben und jeder "maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt". Auch die Kollektivierung von Unternehmen auf "demokratischem Wege" schloss Kühnert nicht aus.
Das Echo ließ nicht lange auf sich warten. Die Union warf Kühnert vor, die DDR wieder errichten zu wollen. Die Forderungen des Juso-Chefs zeigten das "verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten", sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Der CDU-Vizevorsitzende und baden-württembergische Landeschef Thomas Strobl warnte: "30 Jahre nach dem Niedergang der DDR wollen die Linken wieder den demokratischen Sozialismus." In der Union kommt ohnehin zunehmend die Sorge auf, dass die SPD auf einen wirtschaftsfeindlichen Linkskurs geht, der das gemeinsame Regieren in Berlin erschwert. "Jetzt steht die SPD noch mehr unter Beobachtung", sagte der CSU-Vorsitzende Markus Söder.
Auch die eigene Partei widersprach Kühnert massiv. Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, warf Kühnert "groben Unfug" vor und stellte sich die Frage: "Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein." Der Präsident des SPD-Wirtschaftsforums, Michael Frenzel, verlangte den Parteiausschluss Kühnerts.
Die Parteispitze bemühte sich offensichtlich darum, die Diskussion zu entschärfen. In nicht einmal vier Wochen findet die Europawahl statt. Da kommt der SPD eine Debatte darüber, ob sie den Bürgern den Kauf von Wohnungen zur Vermietung verbieten lassen will, äußerst ungelegen. Zugleich will die SPD-Spitze aber auch eins ihrer größten politischen Talente nicht beschädigen, indem sie ihm verbal eins auf die Mütze gibt. Kühnert spreche über eine "gesellschaftliche Utopie", betonte Generalsekretär Lars Klingbeil. "Diese ist nicht meine und auch keine Forderung der SPD." Er rate außerdem zu "mehr Gelassenheit" in der Diskussion. Finanzminister Olaf Scholz sagte im Rückblick auf seine Zeit bei den Jusos: "Ich könnte Ihnen eine längere Liste von Vorschlägen machen, die sich auch nicht als sinnvoll erwiesen haben."
Widerspruch erntete Kühnert aus den Reihen der Opposition. Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg rief dazu auf, die soziale Marktwirtschaft entschlossen gegen links und rechts zu verteidigen. "Sozialistische Experimente haben in der Geschichte noch immer zu Armut, Leid und Unterdrückung geführt", sagte sie der BZ. "Das sehen wir gerade noch einmal in Venezuela."
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt äußerte sich ebenfalls ablehnend. "Die Erfahrung und auch die Geschichte lehrt uns ja, dass die Frage der Eigentumsform nicht wirklich hilft", sagte sie. Linken-Chef Bernd Riexinger attestierte Kühnert hingegen, nichts als "Selbstverständlichkeiten" formuliert zu haben.
Nach der Europawahl werden die Parteien innehalten. Dann gilt es, die Strategie für den Rest des Jahres mit den drei Landtagswahlen im Osten in der zweiten Jahreshälfte festzulegen. Union und SPD müssen sich zudem Gedanken über die Fortsetzung der Großen Koalition machen. Für die Halbzeit der Regierungsperiode im Herbst haben sie vereinbart, eine Bilanz ihrer Arbeit zu ziehen und die weitere Zusammenarbeit zu bewerten. In der SPD werden dann wieder Stimmen laut werden, die einen Ausstieg aus dem schwarz-roten Bündnis fordern, da die Gemeinsamkeiten mit CDU und CSU aufgebraucht seien. Spätestens dann dürfte Kühnert wieder für Diskussionen sorgen.
Von der heftigen Debatte um seine Äußerungen zum Sozialismus ließ er sich auf jeden Fall nicht einschüchtern. Er konterte die Kritik mit einem Zitat aus dem Godesberger Programm der SPD von 1959. Die SPD sei eine Partei der Freiheit des Geistes, twitterte er. "Sie ist eine Gemeinschaft von Menschen, die aus verschiedenen Glaubens- und Denkrichtungen kommen."
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