Geplante Stilllegung
Fessenheims Bürgermeister über die ungewisse Zukunft – und mögliche neue Reaktoren
Die Entscheidung war ein Paukenschlag: Der französische Stromkonzern EDF hat ein Abkommen zur Schließung gebilligt. Der Bürgermeister von Fessenheim spricht im Interview über seine Zweifel an der Umsetzung, die Verzweiflung der Gemeinde und die Möglichkeit, die alten Reaktoren durch neue zu ersetzen.
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BZ: Haben Sie die letzten Tage gut geschlafen?
Brender: Ich bin nicht sehr gestresst von dem, was passiert ist. In gewisser Weise hatten wir das erwartet. Dieses Vorgehen gehört zu den Versprechen, die François Hollande gemacht hatte. Das neue Energiegesetz begrenzt die Produktionskapazität von Atomenergie in Frankreich auf 63,2 Gigawatt. Wenn also der Reaktor in Flamanvielle ans Netz geht, muss man eine entsprechende Kapazität vom Netz nehmen. Wir wissen, dass Fessenheim abgeschaltet wird, und wir sind in diesem Prozess jetzt drin.
Brender: Meiner Ansicht nach hat die Entscheidung zwei Seiten: Auf der einen Seite wird der Entschädigungssumme zugestimmt, aber das bedeutet andererseits noch nicht, dass Fessenheim sofort geschlossen wird oder dass dem Werk die Betriebserlaubnis entzogen ist. Das steht noch nicht an, und unsere Strategie ist es, Zeit zu gewinnen.
Brender: Ich würde befürworten, dass Fillon diese Entscheidung trifft. Die Beziehungen über die Grenze hinweg sind nicht vereinbar mit der Philosophie von Madame Le Pen. Sie liegen uns aber ganz besonders am Herzen. Wobei ich natürlich weiß, dass unsere deutschen Freunde sehr besorgt sind, was das Atomkraftwerk betrifft. Diese Diskussion werden wir haben, solange das AKW am Netz ist. Das kann drei Jahre dauern oder 13 Jahre. Und selbst wenn François Fillon gewinnt, was wir hoffen, und er dann diesen Vorgang stoppt, wird vom Ende des AKW Fessenheim immer gesprochen werden.
BZ: Haben Sie eine Strategie, wie Sie bis zu den Wahlen Ende April/Anfang Mai in Sachen Schließung vorgehen?
Brender: Als erstes werden wir uns mit der Leitung von EDF in Paris treffen. Ich möchte wissen, wie EDF die Entscheidung vom Dienstag interpretiert und was die Konsequenzen sind. Dann ist natürlich zu überlegen, ob juristisch gegen die Entscheidung vorgegangen wird. Das wird nicht die Gemeinde Fessenheim sein, aber es gibt Minderheitsaktionäre von EDF, die sich übergangen fühlen bei diesem finanziellen Arrangement. Man nimmt schließlich ein funktionierendes Werk vom Netz, das rentabel ist und Geld einbringt. Dann wird man abwarten, dass die Regierung das Dekret für die Schließung erlässt. Dagegen würden wir dann natürlich angehen.
BZ: Was hören Sie aus den Teams der Präsidentschaftskandidaten?
Brender: Im Moment haben wir keine direkten Kontakte, mit keinem der Teams. Ich werde den Kontakt suchen, weniger als Bürgermeister von Fessenheim, sondern als Präsident der ARCICEN – das ist ein Zusammenschluss aller französischen Gemeinden, in denen ein Atomkraftwerk steht. Wir wollen wissen, welche begleitenden Maßnahmen sie vorschlagen für die Gemeinden, in denen die Schließung eines AKW bevorsteht – wie in Fessenheim. Denn es gibt viele Szenarien: Es kann technische Probleme geben, oder die wirtschaftliche Lage ändert sich oder die politische Lage für EDF wird schwieriger, weil man dem Unternehmen von Seiten der ASN, der Atomsicherheitsbehörde, neue Auflagen macht, so dass EDF sagt, es wird zu teuer, Fessenheim weiter zu betreiben. Diese ganze Situation traumatisiert viele Menschen, in der Gemeinde, aber auch im Werk selbst.
Brender: Die Gemeinde verliert viele Einnahmen, wir rechnen mit einem Rückgang der Einwohnerzahl von 25 bis 30 Prozent, und das bedeutet weniger Steuern für uns. Es bedeutet auch, dass Läden schließen und Leute entlassen werden. Wir werden in ein Loch fallen und große Verluste hinnehmen müssen. Deshalb muss der Staat dem Unternehmen EDF vorschreiben, wie es mit den betroffenen Gemeinden umgeht. Man könnte von den noch laufenden Werken eine finanzielle Beteiligung verlangen, einen Fonds schaffen, der den betroffenen Regionen Gelegenheit gibt, sich neu aufzustellen.
BZ: Ein gutes Beispiel ist doch der Gewerbepark Breisgau auf dem Gelände der alten Luftwaffenbasis.
Brender: Als die aufgegeben wurde, fielen rund 2000 Arbeitsplätze weg. Heute sind dort im Gewerbepark 2200 Menschen beschäftigt. Aber das hat über 20 Jahre gedauert. Wir werden auch diese Zeit brauchen, mindestens, denn Deutschland ging und geht es wirtschaftlich gut, anders als Frankreich, obwohl wir hoffen, dass es sich ändern wird. Und dabei muss uns EDF begleiten.
BZ: Haben Sie Angebote von Unternehmen, die Ihnen anbieten, sich in Fessenheim niederzulassen? Es geistert der Name Tesla durch die Medien.
Brender: Das ist etwas, was komplett überschätzt wird. Es gibt nicht einen Kontakt zu einem Unternehmen, es gibt nichts. Und der Beauftragte der Regierung, der sich um Fessenheim kümmern soll – den haben wir seit zwei Jahren hier nicht mehr gehört und gesehen, er hat kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Und dann wäre ja noch die Frage: Wo sollen sie sich niederlassen?
Brender: Nein. Es gibt zwar noch freies Gelände in unmittelbarer Nachbarschaft des Werks, aber bei der Angst, die vor allem die Deutschen haben vor allem, was mit Atom zu tun hat, kann ich mir kaum vorstellen, dass sich ein deutsches Unternehmen nur ein paar Meter vom Atomkraftwerk entfernt niederlassen würde, das gerade abgebaut wird – mit all den radioaktiven Stoffen, die dabei anfallen, die hier gelagert würden. Es ist aber auch durchaus möglich, dass wir auf dem Gelände ein neues Atomkraftwerk bekommen. Das ist auch ein Denkansatz: Warum nicht die beiden alten Reaktoren durch zwei der neuesten Generation direkt daneben ersetzen? Das ist eine Idee, denn wir haben alles: die Stromleitungen, das Wasser zum Kühlen, das Grundwasser – die ganze Infrastruktur, um ein Kraftwerk zu betreiben.
BZ: Es gibt Vorschläge von deutscher Seite, die sagen: Wir unterstützen euch, wir helfen euch. Nehmen Sie das ernst?
Brender: Ich war am Montag im Gewerbepark und habe mich mit dem Geschäftsführer Markus Riesterer unterhalten. Vor ein paar Jahren, sagt er, habe er von Unternehmen immer noch das Argument gehört: Wenn ihr uns nicht mit dem Grundstückspreis entgegenkommt, gehen wir eben nach Frankreich, da sind die Grundstücke billiger. Aber seit vier, fünf Jahren hört er das nicht mehr. Die deutschen Unternehmen zögern heute, sich in Frankreich niederzulassen.
BZ: Was planen Sie denn so innerhalb der nächsten Jahre?
Brender: Weil wir selbst keinen Platz für ein neues Gewerbegebiet haben, haben wir uns an die Gemeinden nördlich von uns gewandt im Gemeindeverband "Pays de Brisach", wo es Gewerbegebiete gibt, mehr als 400 Hektar. Vieles ist Natur und muss unter Umwelt-Gesichtspunkten betrachtet werden, aber ein Teil davon kann bebaut werden. Selbst wenn man nur 300 Hektar hätte, gäbe es Platz für Unternehmen dort und Arbeit für Menschen aus dem Bereich Fessenheim.
BZ: Was denken Sie: Ist das Atomkraftwerk Fessenheim wirklich sicher?
Brender: Nirgendwo auf der Welt wird dieser Bereich so rigoros überwacht wie in Frankreich. Wir haben Atomkraftwerke, die gezeigt haben, dass sie sicher sind, es sind bestimmt Jahrhunderte sicheren Betriebs, wenn man alle zusammenfasst. Fessenheim ist nicht Fukushima, ist nicht Tschernobyl, wird es auch bei einem Zwischenfall nicht sein, denn die Technologie ist komplett anders. Wir wünschen natürlich keinen Unfall, aber selbst wenn, bin ich überzeugt, dass er keinen Einfluss auf die Umwelt und das Leben rund um Fessenheim hätte.
Brender: Nein, ich schaffe es nicht, diese tiefe Angst der Deutschen gegenüber allem Atomaren nachzuvollziehen. Es ist eine Industrie, die ihre Zuverlässigkeit gezeigt hat – mit Ausnahme von ein, zwei Unfällen. Aber das darf nicht die ganze Produktion dieser Art Elektrizität infrage stellen, ohne CO2, ohne Umweltverschmutzung mit Ausnahme des atomaren Abfalls, aber das hat man im Griff. Ich weiß, dass man in Deutschland die Energiewende vorantreibt, aber raus aus der Atomenergie und gleichzeitig raus aus der Kohlestromproduktion – das möchte ich mal sehen, wie das funktioniert. Unmöglich.
BZ: Resümee: Die unmittelbare Zukunft macht Ihnen also keine Sorgen.
Brender: Wir warten ab. Das Atomkraftwerk schließt auf keinen Fall vor den Präsidentschaftswahlen, und jede Entscheidung – wie die am Dienstag – kann nach den Wahlen zu jeder Zeit wieder zurückgenommen werden. Es gibt nichts, was unumkehrbar ist, und ich bin zuversichtlich, dass das Werk Fessenheim auch über 2018 hinaus Strom produzieren wird. Minimum bis 2021, wenn es keine wirtschaftlichen Hinderungsgründe gibt. Und wir hoffen auf eine Produktion bis 2030, das scheint mir realisierbar. Ohne Gefahr für die Bevölkerung, mit maximaler Sicherheit, denn das ist auch für uns wichtig. Und wenn wir diesen Zeithorizont bis 2030 hätten, ließe uns das Zeit, uns hier neu zu orientieren. Das ist das, was ich fordere, und das ist, was ich mir wünsche.
Der 58-jährige Claude Brender ist seit März 2014 Bürgermeister von Fessenheim, vorher war er selbstständiger Unternehmer. Er gehört keiner Partei an und begreift sich im rechten Spektrum als Unabhängiger (sans étiquette, ähnlich der Freien Wähler). Gewählt ist er für sechs Jahre an die Spitze des Gemeinderats.
- Entschädigung für Fessenheim: Ein Schritt in Richtung Stilllegung
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