Flüchtlingskrise

Die Kanzlerin bei Anne Will: Merkel erklärt und kämpft

Sechs Millionen interessierten sich dafür, wie die Kanzlerin die Flüchtlingskrise bewältigen möchte. Angela Merkel blieb auch bei "Anne Will" bei ihrem Kurs. Eine Analyse.  

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Angela Merkel zu Gast bei Anne Will  | Foto: dpa
Angela Merkel zu Gast bei Anne Will Foto: dpa

Freddy Schenk und Max Ballauf scheinen der TV-Nation mehr am Herzen zu liegen als Angela Merkel und die Flüchtlingskrise. Gut zehn Millionen Zuschauer wollten am Sonntag den "Tatort" sehen. Sechs Millionen interessierten sich dafür, wie die Kanzlerin die schwierigste Herausforderung ihrer Amtszeit, die Flüchtlingskrise, bewältigen möchte. Merkel blieb auch bei "Anne Will" bei ihrem Kurs. Eine Analyse.

Plan B? "Ich habe ihn nicht, ich arbeite an einem anderen"
Die Kanzlerin setzt auf eine diplomatische Strategie: Sie will die Fluchtursachen vor Ort einhegen, sich mit der Türkei auf eine Art Pförtnerrolle vor den Toren Europas verständigen, vorrangig die EU-Außengrenzen schützen und die europäischen Staaten auf ein Minimum an Solidarität verpflichten, sprich: auf die Übernahme bestimmter Kontingente von Flüchtlingen. Mit nationalen Maßnahmen allein sei die Flüchtlingskrise nicht zu bewältigen. Merkel ist bei ihren diplomatischen Bemühungen bisher aber nicht weit vorangekommen. Einige drohen zu scheitern, andere werden allenfalls mittelfristig zu realisieren sein.

Trotzdem sei jetzt "überhaupt nicht die Zeit, über andere Lösungen nachzudenken", versichert sie. Merkel will unter keinen Umständen den Eindruck erwecken, dass sie für den Fall, dass auf europäischer Ebene keine Fortschritte zu erzielen sind, erwägt, auch die deutschen Grenzen abzuriegeln. In CDU-Kreisen wird das als Denkvariante diskutiert, um verunsicherte Anhänger rechtzeitig vor den Landtagswahlen am 13. März zu mobilisieren.

"Ich bin nicht in der Rolle eines Bittstellers"
Merkels Gastgeberin hatte nach den Druckmitteln der Kanzlerin im europaweiten Poker um mehr Solidarität bei der Suche nach Asylländern für die vielen Flüchtlinge gefragt. Daran gebricht es der Kanzlerin tatsächlich. Auch in den Verhandlungen mit der Türkei ist Merkel einerseits der Kooperationsbereitschaft des Erdogan-Regimes ausgeliefert, andererseits dringend darauf angewiesen, dass sich eine "Koalition der Willigen" findet, die Ankara Flüchtlinge abnimmt. In all diesen Fragen offenbart sich die tatsächliche Schwäche der vermeintlich stärksten Frau Europas. Doch Merkel gab sich bei Anne Will große Mühe, die Verhältnisse schön zu reden. In fast allen Fragen seien die 28 EU-Länder einer Meinung, behauptete sie. Den Beweis wird sie bald liefern müssen.

"Wenn der eine Grenzen definiert, muss der andere leiden"
Das lässt sich gerade an der Südgrenze Mazedoniens und in Griechenland besichtigen. Griechenland ist mit Zehntausenden von Asylbewerbern, die dort gestrandet sind, weil sie auf der Balkanroute nicht mehr weiterkommen, hoffnungslos überfordert. Das Zitat ließe sich auch mit dem Vorgehen der Türken gegen Flüchtlinge aus Syrien an der Grenze zu dem Bürgerkriegsland illustrieren. Merkels Satz trifft den Kern ihrer humanitären Flüchtlingspolitik. Abschottung, so ihr Credo, ist nur zum Preis neuen Elends und katastrophaler Bilder zu erreichen. Deutschland müsse "eine Lösung im Sinne aller" anstreben, sagt die Kanzlerin.

"Die SPD und Herr Gabriel machen sich damit klein"
Merkel spielt darauf an, dass die Große Koalition auf Drängen der SPD in den vergangenen Jahren milliardenschwere Beschlüsse zu Gunsten von Rentnern, Arbeitnehmern und sozial Bedürftigen gefasst hat. Wer den Eindruck erwecke, es gebe einen Nachholbedarf für soziale Wohltaten, weil der Staat nun viel Geld für Flüchtlinge ausgebe, der missachte die eigenen Erfolge. Darin hat die SPD seit der Agenda 2010 eine gewisse Routine. Gabriel schürt das Vorurteil, es gebe eine soziale Schieflage "was einfach nicht stimmt", betont Merkel.

"Ich bin gegen eine starre Obergrenze"
Merkel setzt sich von der bayerischen Schwesterpartei CSU ab, die per Beschluss regeln will, dass Deutschland im laufenden Jahr nicht mehr als 200 000 Flüchtlinge aufnimmt. Wie viele Menschen in der Bundesrepublik tatsächlich ankommen und um Asyl ersuchen werden, lässt sich aber nicht einfach herbeidekretieren. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat auch keine Antwort auf die Frage, was zu tun wäre, wenn der 200 001. Flüchtling eines Tages an der Grenze Einlass begehrt. Die Zahl der Asylbewerber "hängt nicht nur von uns ab", betont Merkel. Man könne das "nicht auf die Nummer genau sagen". Zudem wolle sie "nichts versprechen, was drei Wochen hält und danach nicht mehr". Dafür gab es in der Talkshow am Sonntag Szenenapplaus vom Publikum.

"Ich habe gewusst, dass es das schwierigste Problem ist"
Diese Behauptung klingt ein bisschen vollmundig. Im Sommer 2015 hatte Merkel einige Wochen gebraucht, die Dramatik der Krise zu erfassen. In den Jahren zuvor hatte sie die Probleme der Staaten im Süden Europas mit Flüchtlingen weitgehend ausgeblendet. Nun ist klar: Diese Herausforderung könnte die EU sprengen, Merkels Koalition zerlegen, die Union entzweien – und ihre Kanzlerschaft gefährden. Aber die CDU-Frau richtet sich keineswegs auf einen schnellen Abgang ein. Auf die Frage nach dem schwierigsten Problem ihrer Kanzlerschaft sagt sie: "Man weiß ja nie, was noch kommt."
Blumen für Merkel

Valentinstag war vorbei und Geburtstag hat Angela Merkel erst im Juli. Trotzdem wurden am 24. Februar an der Pforte des Kanzleramts in Berlin 130 Blumensträuße für die Kanzlerin abgegeben – als Dank für ihre Flüchtlingspolitik. Über Facebook hatte ein Nutzer dazu vorher auf Deutsch und Englisch aufgerufen. Auch wenn Merkels Büro recht groß ist - 130 Sträuße nehmen dann doch viel Platz ein. So seien viele der bunten Gebinde vor Merkels Büro aufgestellt worden, verlautete aus dem Kanzleramt. Es habe den Flur geschmückt und geduftet wie in einem Blumenladen.

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