Wurde der Doppelagent vergiftet?
Im englischen Salisbury wurde möglicherweise ein Anschlag auf Sergej Skripal verübt / Der frühere Oberst des russischen Geheimdienstes hat für Großbritannien spioniert.
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Der Vorfall lässt in London alle Alarmglocken schrillen. Jeder Brite erinnert sich an die spektakuläre Poloniumvergiftung des Ex-KGB-Mannes Alexander Litwinenko vor zwölf Jahren an der Themse. Steckt Russland hinter der Vergiftung? Der zuständige Antiterror-Chef Scotland Yards, Mark Rowley, warnt allerdings vor übereilten Schlüssen. Es gebe, sagte Rowley, in solchen Fällen "immer rasch eine Tendenz zu Verschwörungstheorien".
Sergej Skripal ist ein ehemaliger Oberst des russischen Militär-Geheimdienstes. Als Doppelagent lieferte er zehn Jahre lang dem britischen Geheimdienst Informationen über russische Agenten. Er ist für diesen Verrat 2006 in seiner Heimat zu dreizehn Jahren Haft und Zwangsarbeit verurteilt worden. Von britischer Seite soll er für seine Dienste rund 75 000 Pfund (84 000 Euro) erhalten haben. Im Zuge eines Ost-West-Austauschs von Spionen vier Jahre später wurde er begnadigt und nach England abgeschoben. Seither lebt er in Salisbury – unter eigenem Namen – und tritt gelegentlich bei öffentlichen Veranstaltungen auf.
Am Dienstagmittag erreicht der Fall Skripal das Parlament in Westminster, wo Außenminister Boris Johnson in aller Eile Stellung nehmen muss. Johnson versichert, sollte sich "der Verdacht vieler Abgeordneter" in dieser Sache bestätigen, werde London "robust" reagieren. Leider wisse man ja, sagte der Minister, dass Russland zu einer "niederträchtigen und zerstörerischen Macht" geworden sei. Sollte sich erweisen, dass Moskau mit Skripals Vergiftung zu tun habe, werde die britische Regierung durchaus auch neue Sanktionen ins Auge fassen, meinte Johnson. Einen Sturm der Entrüstung im eigenen Land löst er freilich mit der Idee aus, England könnte die Fußball-WM diesen Sommer in Russland boykottieren. Ein Sprecher erklärt später, das habe der Minister so nicht gemeint.
Unterdessen liegen Sergej und Julia Skripal am Dienstag noch immer bewusstlos auf einer Intensivstation des Salisbury-Krankenhauses. Entdeckt worden waren sie am Sonntagnachmittag von Passanten auf einer Parkbank nahe einer Pizzeria: Julia ohnmächtig an den Vater gelehnt, dieser angeblich wild gestikulierend, bis er selbst das Bewusstsein verlor. Auch zwei Mitarbeiter der Rettungsdienste, die Vater und Tochter eingeliefert hatten, müssen wegen Reiz-Symptomen behandelt werden. Diese Tatsache lässt die Fahnder rätseln, ob Giftgas gegen die Opfer eingesetzt worden ist.
Vorsichtshalber ordnet die Polizei die Schließung einer Pizzeria und eines Pubs im Zentrum von Salisbury an. Giftexperten in gelben Schutzanzügen fahnden nach möglichen gefährlichen Substanzen. Spezialeinheiten überprüfen Aufnahmen von Überwachungskameras örtlicher Geschäfte, in der Hoffnung auf einen Hinweis.
Aus Russland ist keiner zu erwarten. Ein Sprecher des Kremls erklärt, man bedauere den "tragischen Vorfall" von Salisbury, verfüge aber über keinerlei Informationen. Der russische Ex-Geheimdienstler Andrej Lugowoy, heute Mitglied der Duma, meint nur abfällig: "Die Engländer leiden unter Phobien. Wenn Russen etwas zustößt, müssen die Täter gleich Russen gewesen sein."
Lugowoy wird in England des Mordes an Alexander Litwinenko beschuldigt. Litwinenko war im November 2006 nach einer Begegnung mit Lugowoy und einem anderen Landsmann in einer Hotelbar im Londoner Stadtteil Mayfair auf qualvolle Weise ums Leben gekommen. In seinem Tee fand sich hochradioaktives Polonium-210. Auch andere Ex-Agenten, Geschäftsleute und Dissidenten aus dem Osten sind über die Jahre in England unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen oder Anschlägen zum Opfer gefallen. Am berühmtesten ist der Fall des bulgarischen Regimekritikers Georgi Markow, dem ein Unbekannter 1978 auf Waterloo Bridge eine vergiftete Regenschirmspitze ins Bein stieß.
Ungeklärt blieb bis heute der Fall German Gorbuntsows, auf den im Jahr 2012 beim Aussteigen aus einem Taxi in Ost-London viermal geschossen wurde. Im gleichen Jahr wurden im Magen des kollabierten russischen Geschäftsmanns Alexander Perepilichnyy Spuren einer giftigen Pflanze gefunden. Perepilichnyy hatte an der Aufklärung russischer Geldwäsche-Operationen mitgewirkt.
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