Wenn Theater ohne Sprache auskommt

Maskentheater ohne Dialoge. Kann das funktionieren? Sogar sehr gut, wenn hinter der Maske Mitglieder des Künstlerkollektivs Familie Flöz stecken. Am Freitagabend gastierten sie mit ihrem Stück "Feste" im Lahrer Parktheater.  

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Die Schauspieler schlüpften in rasantem Wechsel in sämtliche Rollen.  | Foto: Juliana Eiland-Jung
Die Schauspieler schlüpften in rasantem Wechsel in sämtliche Rollen. Foto: Juliana Eiland-Jung
Noch während das Publikum die Plätze einnimmt, geht es auf der Bühne schon geschäftig zu. Immer wieder kommt jemand aus einer Seitentür, räumt einen Müllsack weg oder legt einen raus, und man wartet, dass das Licht ausgeht. Tut es aber nicht. Stattdessen kommt ein Engel, ein Mann im goldenen Anzug und ein König auf die Bühne, scheinen etwas auszuhandeln, und verschwinden wieder. Erst dann wird langsam das Licht heruntergedimmt und das Spiel beginnt.

Anfangs fühlt man sich an klassisches Volkstheater à la Ohnsorg erinnert. Im ummauerten Hinterhof eines offensichtlich hochherrschaftlichen Hauses werkelt griesgrämig, aber gutmütig der Hausmeister. Eine Putzfrau schäkert mit ihm, kehrt ein wenig herum und äfft eine Dame im Business-Kostüm nach, die irgendwelche Anweisungen gibt. Typen, deren Charakter subtil körpersprachlich vermittelt wird. Und es kommen noch zahlreiche Personen hinzu, manche nur für einen kurzen Auftritt, andere wiederkehrend. Bäcker, Postbote, Braut und Bräutigam – denn es soll geheiratet werden, alles dreht sich um die Vorbereitung des Fests.

Doch das Haus ist auch eine Festung, in der durch eine kurze Unachtsamkeit des Portiers eine obdachlose Schwangere nach Schutz sucht. Ihre Anwesenheit verändert die eingespielten Rituale und Charaktere und unseren Blick auf die Szene. Ihre Bedürftigkeit und Schutzlosigkeit fordert die Figuren auf der Bühne, aber auch die Zuschauer zum Nachdenken auf. Von der schönen, reichen Welt sehen wir in diesem Hinterhof ohnehin nichts. Durch sie wird allen klar: Außerhalb dieser Welt von kleinen Alltagsmissgeschicken und sozialer Ungleichheit gibt es noch eine Welt, in der es nicht um die Frage der perfekten Hochzeitstorte geht, sondern ums Überleben.

Innerhalb von fast zwei Stunden spielen drei (!) Schauspieler (Andres Angulo, Johannes Stubenvoll, Thomas van Ouwerkerk) sämtliche Rollen in rasantem Wechsel – und zwar, ohne dass man je den Überblick verliert. Mit unglaublicher Perfektion spiegeln ihre Körper Charakter und Gefühle der Figuren. Kostüm- und Maskenwechsel, Auf- und Abgänge, greifen wie Zahnräder ineinander, ohne dass daraus die zuweilen ermüdende Türen-Dramaturgie eines konventionellen Boulevardstückes entsteht.

Bei allem Slapstick, bei allen heiteren Interaktionen, Stolperern, Mr. Bean-Momenten und Clownerien, ist "Feste" dennoch ein ernstes Stück. Ungerechtigkeit, Flüchtlingselend, Drogenkonsum – nichts bleibt ausgespart, für nichts wird eine einfache Lösung präsentiert. Stattdessen: Genau hingeschaut und dargestellt – unterstützt durch Musik vom Band und Live auf der Bühne (Piano: Maraike Brüning, Violoncello: Benjamin Reber). Regisseur Michael Vogel gelingt es, ein überzeichnetes, aber umso treffenderes Bild der Realität zu zeigen. Man blickt hinter die Fassaden, die sich da im Bühnenbild (Felix Nolze) und in den Masken (Hajo Schüler) manifestieren. Ein faszinierendes Gesamtkunstwerk, das an die antiken Ursprünge des Theaters anknüpft. Vielleicht ist es diese Erdung, aus der die besondere Kraft kommt, mit der hier die großen Fragen und das kleine Glück verhandelt werden. Am Ende ist das Publikum begeistert und ergriffen zugleich – und bekommt als Zugabe noch eine kleine Szene geschenkt, bei der das ganze Ensemble das musikalische Leitmotiv auf der Glasharfe zum Klingen bringt. So klingt ein unvergesslicher Theaterabend aus – und nach.
Schlagworte: Michael Vogel, Felix Nolze, Hajo Schüler
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