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Wenn aus Angst Freundschaft wird

Jeden Monat treffen sich Kinder mit schweren Behinderungen von der Freiburger Janusz-Korczak-Schule mit Kindern der Paula-Fürst-Schule.  

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Rot, Grün und Lila. Diese Farben will Jessica (8) haben. Ihre Lehrerin Christine Raif hält ihre Hand, mit der Jessica auf die Farbkarte tastet. Fyn (9) und Friederike (8) tauchen Murmeln in Jessicas Farben – los geht’s mit dem "Murmel-Malen". Jessica, Fyn und Friederike treffen sich jeden Monat. Jessica ist in der Schule im Janusz-Korczak-Haus für Kinder mit schweren körperlichen und geistigen Mehrfachbehinderungen, Fyn und Friederike gehen auf die Paula-Fürst-Schule des Jugendhilfswerks. Seit 2011 gibt’s diese Kooperation, mit sechs Paula-Fürst-Kindern und drei vom Janusz-Korczak-Haus.

Manchmal braucht es gar nicht so viel Programm: Als Fyn, Friederike und die anderen Kinder von der Paula-Fürst-Schule in den Rhythmik-Raum im Janusz-Korczak-Haus kommen, sind alle gespannt auf den neuen Sprachcomputer von Clara (7). Auf dem Bildschirm sind lauter Symbole – wenn Clara mit ihren Augen auf ein Symbol schaut, fängt eine Computer-Stimme an zu reden. Das ist praktisch, weil Clara selbst nicht sprechen kann. So erfahren die anderen Kinder, dass Clara am 6. Juni 2006 geboren ist. "Sie ist ein Jahr jünger als ich!" ruft Friederike.

Claras Lehrerin Simone Lode erklärt den Kindern, dass Clara bald selber Musik machen kann: Neben den Symbolen, hinter denen viele Infos stecken, und Fotos lässt sich auf dem Computer auch Musik speichern. Das finden die Kinder von der Paula-Fürst-Schule super. Sie haben ihre Lieblingsmusik mitgebracht, Fyn hat Robbie Williams ausgesucht, Friederike ein Lied aus dem Film über "Ritter Rost". Das läuft im Hintergrund – und als Erstes "We will rock you" von Queen.

Jessica, Fyn und Friederike bewegen das Murmel-Mal-Tablett, das mit Papier ausgelegt ist. Darauf rollen Murmeln hin und her und hinterlassen Spuren: bunt, unregelmäßig, kreuz und quer. Jessica lächelt – erst vorsichtig, dann immer mehr. Als ihr Bild fertig ist, sucht Friederike Farben fürs nächste Bild aus: Blau, Rot, Grün. Später packen Lisa Muschal, Referendarin an der Janusz-Korczak-Schule, und Renate Reimholz, Lehrerin an der Paula-Fürst-Schule, Seifenblasenpistolen aus. Mara (8) sitzt neben Luna (9) und pustet Seifenblasen in Lunas Richtung – eine zerplatzt auf ihrer Hand.

Nicht immer läuft alles glatt. Als alle zusammen eine Plane auf und ab schwingen, verzieht Clara plötzlich das Gesicht: ein Stück Plane hat sie unsanft gestreift.

"Unsere Kinder werden

immer noch angestarrt –

das ist hier ganz anders!"

Ilka Dlugay, Lehrerin
Ihre Lehrerin Simone Lode legt ihr schnell tröstend die Hand auf die Schulter, dann nimmt sie Claras Arme, schüttelt sie und sagt: "Das ist aber viel Wind!" Und schon ist Clara abgelenkt.

Wie geht’s den Janusz-Korczak-Kindern in solchen Situationen, wenn sie spüren, dass sie verletzbarer, langsamer und unbeweglicher sind als ihre Gäste? Für Ilka Dlugay, die Lehrerin der Janusz-Korczak-Schule, die 2010 mit ihrer Kollegin Renate Reimholz von der Paula-Fürst-Schule die Kooperationsidee entwickelt hat, steht fest: Der unbefangene Kontakt mit Kindern ohne Behinderung tut gut. "Unsere Schüler werden immer noch angestarrt , wenn wir mit ihnen in der Stadt unterwegs sind – das ist hier ganz anders!" Sie freuen sich jedes Mal auf die Treffen, erzählt sie. Und sie seien viel motivierter, Dinge auszuprobieren, wenn andere Kinder dabei sind, die ihnen Neues nahebringen.

Die Freude ist gegenseitig: An der Paula-Fürst-Schule würden gern fast alle Kinder mit dabei sein, sagt Renate Reimholz – doch nur sechs werden ausgewählt, damit die Gruppe nicht zu groß wird. Immer zwei Paula-Fürst-Kinder und ein Janusz-Korczak-Kind sollen kleine Teams bilden. Die anderen an der Paula-Fürst-Schule, die selbst nicht dabei sind, bekommen trotzdem eine Menge mit: Friederike, Fyn, Mara und die anderen erzählen von ihren Begegnungen und zeigen Fotos. Und vor allem bereiten alle zusammen in der Klasse die Treffen vor. Anfangs brachte Ikla Dlugay Prothesen und andere Hilfsmittel von Kindern mit Behinderung mit. Da erzählten manche, dass sie auch mal eine Schiene hatten, zum Beispiel als sie sich den Fuß verletzt hatten. So wird zunächst Fremdes vertraut.

Doch es geht auch um brenzlige Themen, die sich nicht so leicht auflösen. Ein Mädchen hat generell Angst vor Menschen im Rollstuhl – sie möchte nicht mit zu den Treffen gehen. Manche Kinder befürchten, dass die Mädchen und Jungs von der Janusz-Korczak-Schule Schmerzen haben und leiden – da hilft es, darüber zu reden, viel zu erklären und miteinander in Kontakt zu kommen.

Von der ersten Gruppe hat eine Paula-Fürst-Schülerin "ihrem" Janusz-Korczak-Mädchen zum Abschied einen Brief geschrieben: "Du bist mir eine gute Freundin geworden, dir kann ich alles erzählen." Auch wenn das Mädchen ihrer Freundin nie antworten konnte, ist eine emotionale Bindung entstanden. Die Treffen haben bisher nicht zu weitergehenden privaten Kontakten geführt. Aber zu bleibenden Erinnerungen.

Ressort: Freiburg

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