Was wäre, wenn die Regierung stürzt?
Es ist offen, ob CDU, CSU und SPD gemeinsam aus ihrer Krise herausfinden / Einige Szenarien, wie es in Berlin weitergehen kann .
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BERLIN. Hält die schwarz-rote Regierungskoalition trotz des heftigen Krachs über die künftige Flüchtlingspolitik am Donnerstag? Am Wochenende ist erst einmal Telefondiplomatie gefragt. Die Badische Zeitung zeigt, welche Szenarien danach denkbar sind.
Wie eine Verständigung zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) aussehen könnte, ist offen. Für die eigentlich geplante gemeinsame Fraktionssitzung am Freitag gebe es aktuell "keine Basis", so ein CDU-Abgeordneter. Deshalb dürfte es am Wochenende zu intensiver Telefondiplomatie kommen. Eine Einigung müsste vor Montagmittag stehen. Dann will der CSU-Vorstand in München Seehofer bei den Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze zum Alleingang auffordern. In der CDU wird eine Einigung als zentral angesehen, um Schaden von Deutschland und Europa abzuwenden. Merkel will aber "nicht zu Lasten Dritter" handeln, sondern im Rahmen der EU oder zwischenstaatlicher Verträge. Zugleich müsste ein Konsens aber nahe bei der CSU-Position liegen. Die Partei will Garantien, dass ohne europäische oder bilaterale Abkommen national gehandelt werden kann – etwa durch einen sofortigen Beschluss zu Zurückweisungen an der deutschen Grenze.
Diskutiert wird in Berlin auch, dass der angedrohte Seehofer-Alleingang zumindest vorübergehend folgenlos für die Koalition bleiben könnte. "Es gibt keinen Automatismus, dass Merkel ihn dann entlassen muss", heißt es im Umfeld des Innenministers. Dem folgend könnte die Kanzlerin ein Auge zudrücken, wenn vom CSU-Beschluss am Montag bis zur Ankündigung des ministeriellen Zurückweisungserlasses durch Seehofer einige Tage vergingen – und dessen praktische Umsetzung erst auf die Zeit nach einem möglicherweise ohnehin erfolglosen EU-Gipfel am 28. und 29. Juni fiele. Eine andere Variante wäre, dass es zur Auflösung der Fraktionsgemeinschaft zwischen den Unionsschwestern kommt – wie zu Oppositionszeiten 1976 einmal beschlossen, aber nie umgesetzt. Merkel könnte nach dieser Lesart das Ende der Fraktionsgemeinschaft und das Verbleiben der CSU in der Koalition akzeptieren. Die Variante gilt als unwahrscheinlich. Ausgeschlossen aber wird derzeit wenig. Denkbar ist auch, dass die CSU aus der Dreierkoalition aussteigt, Merkel aber als Minderheitskanzlerin im Amt bleibt.
Theoretisch könnten CDU, CSU und SPD sich auf eine neue Kanzlerin oder einen neuen Kanzler verständigen – falls die amtierende Regierungschefin vorher zurücktritt. Der Vorteil läge darin, dass weder neue Koalitionsverhandlungen, geschweige denn eine Neuwahl anstünden und die Sache vergleichsweise schnell über die Bühne ginge. In weltpolitisch so unruhigen Zeiten würde Deutschland damit auch ein wichtiges Zeichen der Stabilität senden.
Einige SPD-Abgeordnete könnten sich etwa Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble als einen Mann des Übergangs vorstellen – einen Mann mit ausreichender Autorität, in seiner Partei, in Deutschland und auch in Europa. Um Merkel zu einem schnellen Rücktritt zu zwingen, müsste die CSU aber in einer Fraktionssitzung der Union gemeinsam mit den Abgeordneten der CDU eine Mehrheit gegen den Kurs der Bundeskanzlerin organisieren. Dies aber misslang bisher, und die brachiale Offensive der CSU-Granden führte zunächst nur dazu, dass sich die CDU-Abgeordneten nun doch wieder um ihre Vorsitzende scharen. Merkels Rückhalt scheint also – bei aller CDU-internen Kritik – vorerst noch größer zu sein, als von der CSU zunächst erhofft. Sie kann, wenn sie nicht aus freien Stücken aufgibt, also noch einmal eine Machtprobe mit Seehofer riskieren.
Wenn die CSU aus der Regierung fliegt, wird sie damit zur kleinsten Oppositionsfraktion im Bundestag. CDU und SPD könnten mit allen anderen Fraktionen eine Koalition bilden, wobei ein Bündnis mit AfD und Linken aber aus ideologischen Gründen so gut wie ausgeschlossen wäre. Denkbar wären Schwarz-Rot mit den Liberalen als Ergänzung oder Schwarz-Rot mit den Grünen. Doch sowohl die FDP, als auch die Grünen würden eine Rolle als Anhängsel der um die CSU erleichterten CDU/SPD-Koalition nicht akzeptieren und könnten bei den Verhandlungen hoch um Maximalforderungen pokern. Ziemlich sicher würde der auf Anti-Merkel-Kurs wandelnde Chef-Liberale Christian Lindner einen Kanzlerwechsel anstreben. Die Grünen dagegen haben während der geplatzten Jamaika-Sondierungen zu einem guten Einvernehmen mit Merkel gefunden. Die abgespeckte schwarz-rot-grüne Variante könnte eine Option für Merkel sein, Kanzlerin zu bleiben.
Auch in einer Regierungskrise hat der Bundestag kein Recht auf Selbstauflösung. Zu einer Neuwahl kann es nur kommen, wenn Merkel die Vertrauensfrage stellt und verliert. Käme es so und würde die Kanzlerin zudem weder eine Minderheitsregierung führen noch eine neue Koalition schmieden wollen, müsste sie den Bundespräsidenten um Auflösung des Bundestags bitten. Das Staatsoberhaupt kann dem nachkommen, muss es aber nicht. Dass eine Neuwahl für Frank-Walter Steinmeier kein Automatismus ist, hat er im Herbst, nach dem Platzen der Jamaika-Sondierung, bewiesen. Wie er jetzt entscheiden würde, ist völlig offen. Entschließt er sich, das Parlament aufzulösen, muss der neue Bundestag binnen 60 Tagen gewählt werden.
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