Extremsport
Reiz des Todes: Wingsuit-Piloten in Schweizer Alpen abgestürzt
In Fluganzügen springen sie aus dem Helikopter, gleiten durch die Luft – riskieren ihr Leben. In der Schweiz sind vier Wingsuitpiloten abgestürzt. Unter ihnen der Trainer eines Vereins aus Eschbach.
Mi, 16. Apr 2014, 9:00 Uhr
Panorama
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Es sind Bilder, die faszinieren: Basejumper stürzen sich von einer hohen Felswand in den Abgrund, um nach kurzem freien Fall mit ihrem Schirm sanft zu Boden zu gleiten. Wingsuitpiloten springen in Fluganzügen aus einem Helikopter und gleiten minutenlang wie Flughörnchen durch die Lüfte. Beides sind extrem riskante Sportarten – erst vor zwei Wochen starben im Schweizer Kanton Bern vier Wingsuitpiloten bei ihrem Sprung. Was motiviert die Springer, für ihren Sport ihr Leben aufs Spiel zu setzen?
Seit dem Jahr 2001 verloren allerdings auch 37 Menschen bei Sprüngen in dem Tal ihr Leben, weltweit sind es im Schnitt 20 Basejumper und Wingsuitpiloten pro Jahr. Erst zwei Wochen ist es her, dass vier Extremsportler – eine 33-jährige Basejumperin, sowie drei erfahrene Wingsuitpiloten – bei Unfällen rund um das Springer-Mekka tödlich verunglückten. Eines der Opfer war der neuseeländische Vorzeigepilot und Wingsuit-Weltmeister von 2013, Dan Vicary – einer der prominentesten Vertreter seiner Zunft. Vicary lebte in Lauterbrunnen und arbeitete dort als Trainer des Wingsuit-Competence-Centers des Vereins "Skyhigh Fallschirmsport" aus dem badischen Eschbach.
Über der Lauterbrunner Nachbargemeinde Lütschental sprang Vicary, gemeinsam mit zwei weiteren Piloten, in seinem Flügelanzug aus einem Helikopter. Aus noch ungeklärter Ursache stürzten die drei Männer ungebremst in ein nahegelegenes Feld. Vicary wurde nur 33 Jahre alt. Ab 1. Mai sollte er für die Eschbacher das erste Wingsuit-Trainingscamp des Jahres leiten. "Die Nachricht von Dans Tod hat uns bis ins Mark erschüttert", erklärt Matthias Pfrommer, der gemeinsam mit Vicary das Wingsuit-Competence-Center betreute. "Wir werden ihn sehr vermissen." Gegenüber der Presse sind die Springer oft sehr zurückhaltend. Sie fürchten um den Ruf des Sports. Auch Pfrommer hat nur Zeit für ein Interview per E-Mail – in diesem schildert er aber bereitwillig seine Motivation und sein Risikoempfinden beim Sprung.
Pfrommer springt erst seit einem knappen Jahr mit dem Wingsuit aus Flugzeugen – 50 Mal hat er sich seitdem im Flügelanzug aus der Höhe fallen lassen. Ein Freund von ihm ist gestorben – bekommt er da keine Zweifel an seinem Sport? Pfrommer verneint. "Vermutlich hat fast jeder von uns schon einen Bekannten bei einem Verkehrsunfall verloren, trotzdem steigen wir alle wieder ins Auto. Absolute Sicherheit gibt es nirgends." Die Verkehrstoten werden von Springern gerne angeführt, wenn es darum geht, die Gefährlichkeit ihres Sports zu relativieren. Es ist jedoch ein Vergleich, der hinkt – schließlich fahren in Deutschland täglich Millionen Menschen Auto, und es gibt gerade mal 3340 Tote im Jahr.
Bei allem Risiko: Der Reiz scheint für die Springer die Angst zu überwiegen. Das bestätigt auch Pfrommer: "Die Überwindung der natürlichen Angst beim Basejumping führt zu extremen Glücksgefühlen. Jeder kennt das im Kleinen, zum Beispiel aus der Achterbahn", schreibt er. "Durch den Einsatz von Wingsuits ist man jetzt eine Stufe weiter. Es ist nicht mehr der kurze Kick, sondern das Gefühl, nur mit dem eigenen Körper Täler entlang fliegen zu können."
Gegen das Image des lebensmüden Adrenalinjunkies wehrt sich Pfrommer vehement. Abenteuerlustig müsse man zwar sein, jedoch seien sich die Springer der Gefahr sehr wohl bewusst. "Dadurch geht man noch konzentrierter und akribischer vor – sowohl in der Vorbereitung, als auch in der Ausführung", meint Pfrommer. Es werde möglichst nichts dem Zufall überlassen.
"Lebensmüde sind diese Menschen bei weitem nicht", meint auch die Berner Sportpsychologin Romana Feldmann, die sich mit Extremsportlern beschäftigt. Die Springer versuchten durchaus, das Risiko möglichst gering zu halten. Allerdings sei die Risikoeinschätzung bei Athleten und Laien unterschiedlich: Wer sich intensiv mit der Materie auseinandersetze, habe einen anderen Maßstab beim Abschätzen der Gefahren. Unfälle brächten die Springer nicht direkt mit sich selbst in Verbindung, sondern führten diese eher auf individuelle Fehler zurück – oder schlicht und einfach auf Pech, sagt die Psychologin.
Die Motivation, sich immer wieder solchen Extremsituationen auszusetzen, erklärt sie mit dem "Sensation Seeking" – einem von Mensch zu Mensch unterschiedlich starken Persönlichkeitsmerkmal, das das Bedürfnis nach Reizzufuhr von außen beschreibt. "Menschen mit hoher Ausprägung können dieses beim Extremsport ausleben", so Feldmann. "Dabei geht man an seine Grenzen und bricht aus dem Alltagsmodus aus. Man fühlt sich lebendig und aufgeputscht – nicht zuletzt weil man seine eigene Angst überwunden und kontrolliert hat."
In Lauterbrunnen scheiden sich an der Springergemeinde die Geister. Während sich die einen an den Stunts der Extremsportler erfreuen und die Politik den touristischen Nutzen begrüßt, rufen andere der vielen Toten wegen nach einem Verbot. Matthias Pfrommer warnt indes davor, das Springen unter Strafe zu stellen: "Es würde so nicht unterbunden, sondern Nacht- und Nebelaktionen hervorrufen, die weitaus gefährlicher sind." Letztlich müsse jeder selbst wissen, welchem Risiko er sich aussetzen will, meint auch Psychologin Feldmann – die Anwohner würden allerdings in die Situation hineingezwungen.
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