Zeitgeschichte

"Nai hämmer gsait": Dieser Mann hat das berühmte Wyhl-Plakat entworfen

Hubert Hoffmann war einer jener Störenfriede, die vor 50 Jahren den Bau des Kernkraftwerks in Wyhl verhinderten. Optisch hat der heute 67-Jährige den Protest entscheidend geprägt. Ein Interview.  

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Hubert Hoffmann  | Foto: Dominik Bloedner
Hubert Hoffmann Foto: Dominik Bloedner

BZ: Herr Hoffmann, ein Blick zurück. Wo waren Sie am 23. Februar 1975? Auch bei der großen Kundgebung und dann bei der Besetzung des Baugeländes in Wyhl?

Ja, die erste Besetzung fünf Tage zuvor war ja unter Woche. Ich war damals Schüler in Müllheim, hatte also keine Zeit. Die erste Besetzung dauerte nur einen Tag, dann wurde der Bauplatz von der Polizei geräumt. Die zweite Besetzung fand an einem Sonntag nach einer Großkundgebung mit knapp 30.000 Menschen statt – und sollte bis November 1975 andauern. Ich fuhr damals mit anderen aus dem Markgräflerland im VW-Bus dorthin, wir waren Teilnehmer an einem Vorbereitungskurs für Kriegsdienstverweigerer.

BZ: Was trieb die Menschen damals um? Herrschte wirklich eine Art Endzeitstimmung?

Nein, im Gegenteil. Es herrschte eher eine Aufbruchstimmung. Man hatte das Gefühl, man kann etwas erreichen, wenn sich nur genügend Menschen zusammentun.

"Die Motivationslage der Menschen war sicherlich unterschiedlich."

BZ: Und die Angst vor der Atomkraft?

Die Motivationslage der Menschen war sicherlich unterschiedlich. Die Bauern und die Winzer fürchteten den Nebel aus den Kühltürmen und dass keiner mehr ihre Produkte kaufen wollte, sollte hier im Kaiserstuhl ein Atomkraftwerk entstehen. Andere wie ich waren besorgt wegen der gefährlichen Strahlung, der möglichen Folgen für die Gesundheit und natürlich wegen des Unfallrisikos. Ein engagierter Biologielehrer und ein Onkel, der Arzt war, haben mich damals diesbezüglich politisiert. Mit dem Onkel war ich schon als Zehnjähriger im elsässischen Fessenheim auf meiner ersten Demo gegen die Atomkraft.

BZ: Schaut man sich alte Fotos an, dann fällt vor allem eines auf: Der Protest war bunt gemischt. Wie haben Sie sich als ortsfremder junger Mann da gefühlt?

Nicht fehl am Platz. Die Annäherung von uns jungen Leuten an die lokalen Bürgerinitiativen fand schon zuvor beim erfolgreichen Protest gegen das Blei-Chemie-Werk in Marckolsheim auf der anderen Seite des Rheins statt.

BZ: War das wirklich ein so harmonischer Zusammenschluss von Stadt- und Landbevölkerung?

Sicher, da kamen ganz unterschiedliche Milieus zusammen. Und einige vom Land hatten durchaus die Befürchtung, dass nun die Kommunisten an den Kaiserstuhl kommen. Wobei, einer der ihren, der Fischermeister Balthasar Ehret aus Weisweil, war ein Kommunist. Aber die einzelnen Menschen überzeugten in Wyhl durch ihr Engagement für die Sache, nicht so sehr durch ihre politische Anschauung. Alle machten mit: Die Bauern lieferten das Holz und bauten auf dem Gelände das Freundschaftshaus, den Treffpunkt. Die Bäuerinnen sorgten für die Verpflegung. Wir jungen Leute kamen an den Wochenenden aufs Gelände zu Veranstaltungen und zu den Nachtwachen.

BZ: Die Sprache des Protests war Alemannisch, Ihr Slogan ist es auch. Wie kam es dazu?

Es war eben ein Protest aus der Region. Ich bin in einem hochdeutschen Elternhaus aufgewachsen, hatte aber keine Probleme mit dem Alemannisch.

Rund 5.000 Kernkraftgegner demonstrier...erstand gegen technische Großprojekte.  | Foto: Rolf Haid (dpa)
Rund 5.000 Kernkraftgegner demonstrieren am 18.09.1983 in der Nähe des geplanten Baugeländes für das Kernkraftwerk Wyhl. Unter dem alemannischen Motto "Nai hämmer gsait! (Nein haben wir gesagt)" wurden die Einwohner der Gemeinde Wyhl am Kaiserstuhl wenige Jahre später zum Symbol für den Widerstand gegen technische Großprojekte. Foto: Rolf Haid (dpa)

BZ: Axel Mayer, langjähriger Vorsitzender des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in Südbaden, hat Sie mal als "vielbeschäftigten, nie bezahlten Hobbygrafiker der Bürgerinitiativen und der Umweltbewegung" tituliert. Wie und wann kam es zu dem Plakat "Nai hämmer gsait"?

Das Plakat entstand um 1980 herum, die juristische Auseinandersetzung ging nach dem freiwilligen Ende der Blockade noch einige Jahre. 1975 hatte der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger noch gesagt, ohne das AKW würden hier die Lichter ausgehen. Sein Nachfolger Späth hat dann Vernunft walten lassen und sagte, das AKW werde nicht gebraucht. Für das Plakat haben mich die Proteste in Marckolsheim inspiriert. Da stand 1974 der Slogan auf elsässisch auf einem Transparent auf dem Bauplatz und kam dann über den Rhein. Ich habe schon als Jugendlicher gerne gestalterische Sachen gemacht. Herausgekommen sind dann diese kräftig rot durchgestrichenen Kühltürme und das große "Nai" darüber.

"Ich hätte damals nie gedacht, dass Slogan und Plakat Karriere machen würden. Diese Mischung aus Mundart und Protest war wohl sehr eingängig."

BZ: Wo überall und bei welchen Protesten ist dieses "Nai" in der Folge dann noch aufgetaucht?

Das Plakat war anfangs nicht unumstritten, setzte sich aber durch. Axel Mayer hat dafür gesorgt. Wir druckten das Logo auf Plakate und machten Aufkleber. Ich hätte damals nie gedacht, dass Slogan und Plakat Karriere machen würden. Diese Mischung aus Mundart und Protest war wohl sehr eingängig. Das "Nai" ist dann bei vielen späteren Protesten zum Einsatz gekommen, sogar bei Protesten gegen die Windkraft im Wiesental oder bei den Protesten so genannter Querdenker gegen die Corona-Maßnahmen. Tja, ein Copyright habe ich natürlich nicht (schmunzelt). Auch bei Demos gegen die AfD kamen Schriftart und Text schon zum Einsatz.

BZ: Sie haben gewonnen damals, in Wyhl wurde kein Kernkraftwerk gebaut. Heute wollen einige Parteien den Ausstieg aus der Atomenergie wieder rückgängig machen. Was halten Sie davon?

Das hängt wohl mit dem derzeitigen Wahlkampf zusammen. Den Wiedereinstieg halte ich jedoch für ökonomisch nicht sinnvoll und daher unrealistisch. Und man sollte nicht vergessen: Im Zuge der Anti-AKW-Bewegung wurden auch alternative Energiequellen entwickelt. Leider sind in diesem Wahlkampf Themen wie der Klimawandel und die Maßnahmen dagegen komplett unter den Tisch gefallen.

Hubert Hoffmann, 67 und vierfacher Vater, hat nach dem Studium der Sozialpädagogik bei einer Baukooperative und im Mietshäusersyndikat in Freiburg gearbeitet, später war er Vorstand der Wohngenossenschaft Genova im Stadtviertel Vauban. Derzeit ist er im Projekt einer Baugenossenschaft im Freiburger Gebiet Kleineschholz.

Zum Symbol des Widerstands gegen die A...eses Plakat, entworfen von Axel Mayer.  | Foto: Privat
Zum Symbol des Widerstands gegen die Atomkraft in Deutschland wurde dieses Plakat, entworfen von Axel Mayer. Foto: Privat
Schlagworte: Axel Mayer, Hubert Hoffmann, Balthasar Ehret
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Axel Mayer

785 seit 21. Jun 2009

Als Plakatidee
hat Hubert Hoffmann den Satz des Marckolsheim-Transparents für die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen aufgegriffen. Ursprünglich stammt das Motiv von einem Transparent der Bauplatzbesetzung 1974/75 in Marckolsheim, die mit am Anfang der Klimaschutzbewegung steht. Das "awer" im Ursprungstext zeigt deutlich, dass hier elsässische Transparentmaler am Werk waren und dass der grenzüberschreitend-gemeinsame Dialekt viele Variationen hat. Hubert war in der Zeit der Wyhl-Proteste ein vielbeschäftigter, niebezahlter Hobbygrafiker der Bürgerinitiativen und der Umweltbewegung. Auf vielen der alten Wyhl-, Fessenheim-, Waldsterben- und Dreyecklandplakaten findet sich irgendwo versteckt ein kleines Schneckensymol, das Zeichen, dass die Grafik von Hubert Hoffmann stammt. Von ihm kam die Idee des ersten NAI-Plakats und ich erinnere mich noch, wie schwierig es für mich war, die erste Ablehnung in den BI's für das Motiv zu überwinden und endlich in Druck zu gehen. Es war damals nicht anders als heute: Ein Plakatmotiv, drei Leute, vier Meinungen und viel Kritik ... Später wurde das anfänglich umstrittene und teilweise sogar abgelehnte Motiv zu dem Symbol des erfolgreichen Widerstands gegen das Atomkraftwerk Wyhl und heute ziert es im Wyhler Wald den Gedenkstein der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen.

Axel Mayer

Dietrich May

938 seit 26. Mär 2011

Danke, Herr Mayer, für Ihre ausführliche Antwort. Aber dennoch: "...dieses Plakat, entworfen von Axel Mayer" Wie kommt es zu dieser Bildunterschrift der BZ? Das fehlt noch.

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