Antisemitismus unter Schülern
Memes mit Hakenkreuzen gehen von Smartphone zu Smartphone
Michael Blume, der Landesbeauftragte gegen Antisemitismus, spricht im BZ-Interview über Judenfeindlichkeit in sozialen Medien – und darüber, wie Schulen damit umgehen sollten.
Mi, 19. Feb 2020, 19:17 Uhr
Südwest
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BZ: Herr Blume, wenn von wachsendem Antisemitismus an Schulen die Rede ist, was genau ist dann damit gemeint?
Blume: Ich würde den Schülerinnen und Schülern gar nicht vorhalten, dass sie antisemitischer seien als frühere Generationen. Aber ich nehme wahr, dass durch die digitalen Medien, vor allem Whatsapp, in scheinbar geschlossenen Gruppen sich eine Verrohung und eine Gruppendynamik entwickelt. Es beginnt häufig als ein Spiel mit Tabus und entgleist dann, bis in die Strafbarkeit hinein. Da werden zum Beispiel Witze über Anne Frank gemacht, ein Holocaust-Opfer, wie man sie früher nicht gemacht hätte. Durch die scheinbare Anonymität im Netz verschiebt sich die Grenze des Sagbaren. Wir sehen das ja auch bei Älteren wie den Polizeischülern in Lahr.
Blume: Das gab es früher natürlich auch schon, dass zum Beispiel in Familien negativ über Jüdinnen und Juden gesprochen wurde. Heute ist es aber weiter verbreitet, wir haben in der Rap-Kultur antisemitische Klischees, denken Sie an Kollegah. Wir haben Antisemitismus bei Einheimischen, wir haben ihn bei Zuwanderern aus Osteuropa oder der arabischen Welt. In Teilen der Jugendkultur ist eine Protestkultur entstanden, die mit solchen Klischees spielt und guckt, wie weit man damit gehen kann. Da werden Memes mit Hakenkreuzen von Smartphone zu Smartphone geschickt, und wenn sich in der Gruppe niemand findet, der sagt "Das geht nicht", dann fallen Tabus.
BZ: Und es hat mal wieder nichts mit Kontakt zu realen Juden zu tun.
Blume: Es ist ja überall auf der Welt so: Rassismus und Antisemitismus treten dort verstärkt auf, wo man den wenigsten Kontakt hat zu Zuwanderern oder Jüdinnen und Juden. Denn wenn man sich kennt, weiß man: Das sind auch keine besseren oder schlechteren Menschen, es sind einfach Menschen.
BZ: Was muss konkret getan werden, wenn in einer Schule solche Dinge wie in Mannheim bemerkt werden?
Blume: Das erste ist, das Gespräch zu suchen. Aber es sollten auch Sanktionen verhängt werden, durchaus bis zur polizeilichen Anzeige.
Blume: Den Kindern und Jugendlichen passiert ja nichts Strafrechtliches, dafür sind sie zu jung. Aber man macht ihnen damit deutlich: Ihr habt hier Grenzen überschritten, die ihr nicht überschreiten dürft. Entscheidend ist, dass auch die Eltern einbezogen werden.
BZ: In Ihrem Vortrag haben Sie gesagt, mit jedem neuen Massenmedium käme wieder neuer Antisemitismus, also mit dem Buchdruck, dem Radio, dem Film und jetzt dem Internet. Aber sind Medien nicht auch Mittel der Aufklärung?
Blume: Durchaus. Aber wenn ein neues Medium auftritt, erschüttert das die ganze Gesellschaft. Bis hin zu der Frage, wie die Menschen sich selbst erfahren. Denken Sie nur an die Selfie-Kultur und wie es sich dadurch verändert hat, wie wir uns präsentieren, wie wir die Welt wahrnehmen, wie wir Beziehungen sehen. Das erzeugt auf der einen Seite immer große Potenziale, aber auch große Probleme. Und leider sind Rassisten und Antisemiten meist sehr gut und sehr schnell darin, die emotionalen Möglichkeiten neuer Medien zu nutzen. Populisten haben da immer einen Vorsprung, weil sie gar nicht auf rationale Argumente zielen, sondern auf die Gefühlswelt der Menschen.
BZ: Das heißt, es gilt nun auch digital gegen Antisemitismus zu arbeiten?
Blume: Genau. Ich bin zum Beispiel ein großer Fan davon, mit Podcasts zu arbeiten. Ich bin auch kein Gegner sozialer Medien, ich halte es aber für hochproblematisch, dass wir werbefinanzierte soziale Medien haben, die davon leben, dass sie unsere Aufmerksamkeit als Produkt an Werbetreibende verkaufen und die Menschen emotionalisieren. Ich würde mir bessere, durch Gebühren finanzierte soziale Medien wünschen.
BZ: Sie selbst sind ja im Herbst mit öffentlicher Ankündigung aus Facebook ausgetreten. Bedauern Sie das mittlerweile?
Blume: Nein. Ich hatte das, was in den sozialen Medien passiert, immer wissenschaftlich betrachtet. Als aber Facebook angekündigt hat, es werde das Portal Breitbart News, das Fake News verbreitet, zu einem Partner für Nachrichten machen, da wurde es für mich eine Gewissensentscheidung. Inzwischen muss ich aber auch sagen, es war ein deutlicher Zugewinn an Lebensqualität: Ich bekomme deutlich weniger Hass ab als davor. Wenn ich jetzt morgens mit meiner Familie frühstücke, habe ich nicht davor schon zwanzig Hassnachrichten an meinen privaten Facebook-Account bekommen.
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