Massenabfertigung im Callcenter für Flirtwillige
Die Ausstellung "Is anyone home lol" im Kunsthaus Langenthal.
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Die Frauen sind nicht aus Fleisch und Blut, sondern Avatare, die menschlichen Schönheitsklischees angeglichen sind. Aus LCD-Bildschirmen auf mannshohen Gestellen betreiben sie chatroomtypische Animierkonversation. Schaut man einem dieser virtuellen Wesen in die maskierten Augen, wirkt die Ansprache durch die auf angenehm getrimmte Maschinenstimmen durchaus persönlich. Entfernt man sich jedoch ein paar Schritte vom Bildschirm, füllt ein vielsprachiges Stimmengewirr den schlauchförmigen Raum, und es stellt sich eher das Gefühl ein, in die Massenabfertigung eines Callcenters für Flirtwillige geraten zu sein.
Beide Eindrücke haben damit zu tun, wie sie generiert wurden. Was die Angels von sich geben, stammt vom real existierenden Onlinedatingportal Ashley Madison. Diese Plattform wurde 2015 gehackt. Alles, was dort gechattet wurde, Profile von 33 Millionen Nutzern und viele andere Informationen, wurden veröffentlicht. Aus diesen Daten geht hervor, dass Millionen männlichen Kunden nur wenige weibliche gegenüberstehen. Um diese Unwucht auszugleichen, hat Ashley Madison Zehntausende virtuelle weibliche Nutzer programmieren lassen. Diese sogenannten Fembots simulieren die menschliche Kommunikation und verwickeln kontaktwillige Männer in eine – kostenpflichtige – Konversation.
Die !Mediengruppe Bitnik hat sich diese Daten zunutze gemacht, um das zuvor gut gehütete Betriebsgeheimnis in öffentlich begehbare Kunst zu verwandeln. Zu diesem aufklärerischen Impuls passt eine der Installationen in den Nebenräumen: Ein Laserdrucker druckt dort über die Dauer der Ausstellung "is anyone home lol" sämtliche 197 000 öffentlich gemachte Firmen-Emails aus. Die Mails zeigen, dass die Fembots intern Angel genannt wurden. Daher auch der Name "Angel at Work" für die virtuellen Animierdamen. Was sonst noch intern bei Ashley Madison verhandelt wurde, können Besucher anhand der Ausdrucke selbst erforschen – falls sie viel Zeit mitbringen. Die Papiermenge wird gewaltig sein, weshalb die Aufsicht den Drucker nur anschaltet, wenn Besucher da sind, um den Raum nicht vorzeitig zu fluten.
Diese Überflutungsdrohung ist nicht auf den Ausstellungsraum beschränkt. Unter dem Titel "Disaster Waiting to Happen: 75 000 Fembot Army" kündigt das Künstlerkollektiv an, den Code für 75 000 bisher nicht verwirklichte Fembots samt Mutterbot, mit dem weitere Bots erzeugt werden können, außerhalb der Dating-Platform auszusetzen. Noch ist der für diese Aktion reservierte Raum versperrt. Doch wehe, wenn sie losgelassen! In naher Zukunft sollten kontaktsuchende, alleinstehende Männer mit ihren Onlineaktivitäten vorsichtig sein.
Die ästhetische Gesamtwirkung der Ausstellung ist allerdings mehr als ihr aufklärerisch-aktivistischer Aspekt. Am eindringlichsten wird das in den Nebenräumen spürbar, wo stumme Bots schüchtern in Monitoren am Boden stehen. In dieser Mischung aus Hinterzimmer für Zwangsprostitution und Freakshow steigt ein gewisser melancholischer Respekt für fremde Wesen auf, die zwischen Kommerz und Vergnügen mitleidlos zur Schau gestellt werden.
Empfehlenswert ist unbedingt, auch den zweiten Stock des Kunsthauses zu besuchen. Während die !Mediengruppe Bitnik inszeniert, wie der Mensch die Begegnung mit künstlicher Intelligenz in bewährter kommerzieller Versklavungsmanier bewerkstelligt, zelebriert in der Etage darüber die französische Künstlerin Lauren Hurlet auf intelligente Weise ihr Unbehagen darüber, wie technische Apparate Menschen langsam zu Cyborgs machen.
Mi-Fr 14–17 Uhr, Sa und So 10–17 Uhr. Infos unter http://www.kunsthauslangenthal.ch
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