Urlaubsgedanken in Kriegszeiten

Zeit für Leichtigkeit

Darf man pausieren und urlauben, während in Europa auf Schlachtfeldern gekämpft wird? Man darf. Nur wer in chronisch bedrohlichen Zeiten auf sicht achtgibt, brennt nicht aus.  

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Auszeit am Ostseestrand  | Foto: Axel Heimken
Auszeit am Ostseestrand Foto: Axel Heimken
Es war einmal eine Zeit, da ging das mit dem Erholen recht einfach. Man stellte fest: Ich kann nicht mehr, ich muss mal raus, ich brauche Erholung, ich buche Urlaub. Ab nach Griechenland – wer Flugscham hatte, fuhr mit dem Zug an den Atlantik. Schon kam man aufgetankt zurück und gut war’s.

Was dann kam, kennen wir: Pandemie. Lockdown, geschlossene Grenzen, stornierte Zimmer, Reisewarnung. Seit einiger Zeit hangeln wir uns endlich wieder aus dem Viren-Winter hinaus in die Reisefreiheit und spüren in dieser warmen Woche mehr denn je: Auszeit, ja, Du bist’s! Dich hab ich vernommen!

Wäre da nicht seit Februar diese Zeitenwende. Der eigene Kontinent kriegsgetroffen, das unermessliche Leid der Ukrainer in unseren Köpfen, die Flüchtlinge am Gleis nebenan. Und dennoch haben viele für Pfingsten schon eine Reise gebucht. Vielleicht mit schlechtem Gewissen oder mit der leisen Frage: Darf man in seiner kleinen Welt genießen, während die große alles andere als heile ist? Darf man durch Kornfelder Südeuropas radeln, während auf Schlachtfeldern in Europa gekämpft wird? Darf man pausieren und urlauben, obwohl wir fühlen: Es kann nicht mehr so weitergehen? Geht das überhaupt in diesem Kriegsjahr: In Flipflops unbeschwert zu faulenzen?

Man darf. Vielleicht muss man sogar mehr denn je die Koffer packen. Die Sehnsucht nach ein paar Tagen Leichtigkeit ist nur allzu menschlich, sie ist ein psychisches Grundbedürfnis. Und man darf auch nicht so tun, als habe es vorher kein Leid auf der Welt gegeben – man hat nur oft weggeschaut.

Die zurückliegende Zeit war schwer. Gerade für viele Familien. Schon vor der Pandemie wurde ja vielen Angestellten mehr aufgebrummt. Unschönes Stichwort: Verdichtung in der Arbeitswelt. Darüber hat sich nun mit Krieg, Corona und Klima eine weitere, dauerhafte Stress- und Sorgenschwere gelegt.

Viele haben gemerkt: Man schafft unglaublich viel. Man schafft sogar noch mehr. Aber es gibt Kraftgrenzen. Wenn man weiter funktionieren soll, braucht es bewusste Stopps und Selbstfürsorge: die kleinen Inseln im Alltag, die bewusst genommene Zeit für sich, den Tag im Schwimmbad – und auch die Mini-Pausen in der Alltagsrennerei, von denen heute in der BZ-Serie "Baden tankt auf" die Rede ist. Aber es braucht auch mal längere Ausstiege. Geografische Distanz hilft, die eigene kleine Welt im Kopf und den Blick auf das große Ganze zu sortieren, Verhältnisse geradezurücken.

Wo die eigenen Grenzen liegen, das muss jeder für sich herausfinden. Das beginnt schon beim allabendlichen Nachrichtenschauen. Es ist wichtig, hinzusehen. Zu wissen und zu verstehen, wie etwa Propaganda und Lügen funktionieren. Wie es den Ukrainern geht und wie mutig sie sind. Doch viele spüren: Man muss die Kriegsnachrichten dosieren. Vielleicht reicht ein Artikel, eine Sendung – und nicht das ganze Talkshow-Brennpunkt-Fotostreckenprogramm, nach dem man nachts wach liegt vor lauter Zukunftsangst. Nur wer auf sich achtgibt, gerade in chronisch bedrohlichen Zeiten, der wird nicht verrückt im Laufe der Jahre, der brennt nicht irgendwann aus. Ein schlechtes Gewissen beim Erholen hilft niemandem. Besser wäre es, nach der Pause die Kraft zu nutzen für neue Carepakete, für die Flüchtlingshilfe oder auch für eine Spende.

Der Blick auf den See, das Grillen im Garten, das Ja zum Urlaub: Es ist wie im Kinderbuch "Frederick". Man muss wie die gleichnamige Maus Sonnenstrahlen, Farben und Wörter sammeln, um auch die bevorstehende Zeit zu bewältigen. Denn die Viren dürften wiederkehren. Der furchtbare Krieg dürfte andauern. Es wird weiter viel Kraft, Haltung, Empathie brauchen. Deswegen auftanken. Öfters mal kurz, auch mal lang. Dann wird das alles wieder gehen.
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