Studie
Kinder und Jugendliche bewegen sich nicht genug
Kinder und Jugendliche verbringen einen Großteil ihrer Freizeit vor dem Bildschirm und immer weniger Zeit mit "freiem Spielen" – nicht erst seit Corona. Insbesondere auf dem Land ist das Problem gewachsen.
Annett Stein (dpa)
Do, 13. Mai 2021, 20:42 Uhr
Gesundheit & Ernährung
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. Buden bauen im Wald, stundenlang durch Hinterhöfe tingeln: Viele Erwachsenen erinnern sich gern an ihr freies Spiel mit Freunden. Heute sind Bildschirm-Aktivitäten oft gefragter – und Kinder bekommen Diagnosen, die einst Senioren vorbehalten waren.
Die Emotikon-Studie in Brandenburg, in die seit 2009 fast 200 000 Drittklässler einbezogen worden seien, zeige vor allem eine schlechtere Ausdauer von Kindern. Das gelte auch bundes- und weltweit. "Die körperliche Fitness von Kindern ist erheblich schlechter als vor 20, 30 Jahren", sagt Granacher. Ein Begriff aus der Altersmedizin für den Kraftrückgang, die Dynapenie, werde nun auch auf Kinder angewandt und als pädiatrische Dynapenie bezeichnet. "Betroffene Kinder haben nicht mehr ausreichend Muskelkraft für spielerische Aktivitäten wie das Klettern auf einem Klettergerüst."
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt für Kinder und Jugendliche täglich mindestens 60 Minuten körperliche Aktivität bei moderaten bis hohen Intensitäten. Weltweit erfüllt nach den aktuellsten Daten ein großer Teil der Kinder die Empfehlung nicht, bei den Jugendlichen bewegen sich 80 Prozent nicht genug. "Und das war vor der Pandemie", sagt Granacher.
Schul- und Vereinssport, selbst der Weg zur Schule fielen nun in der Corona-Krise über Monate weg. "Das ist noch mal ein Brandbeschleuniger", sagt der Stuttgarter Bewegungsexperte Clemens Becker. Binnen eines Jahres könne sehr viel Muskelmasse, Koordination und Ausdauer verloren gehen. Auch Granacher sagt, gerade weil es inzwischen weniger freies Spiel gebe, wirke sich der Ausfall von Schul- und Vereinssport besonders stark aus.
"70 Prozent der Kinder in Deutschland betreiben normalerweise Vereinssport", sagt Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Die ohnehin vorhandenen koordinativen Verluste hätten sich in der Pandemie sicher noch einmal verschärft.
Während sich viele Kinder im ersten Lockdown – bei schönem Frühlingswetter – häufig draußen aufhielten, bewegten sie sich gemäß einer Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) im zweiten Corona-Lockdown erheblich weniger als üblich. Eine andere Freizeitaktivität legte dafür immens zu: der Medienkonsum. Im Mittel saßen die in die Studie aufgenommenen 4- bis 17-Jährigen 222 Minuten am Tag vor Bildschirmen, 28 Minuten länger als im ersten Lockdown.
War es lange nur das Fernsehen, das Kinder und Jugendliche stundenlang auf die Couch bannte, kommen heute Videospiele, Youtube-Videos und soziale Medien hinzu. Nach der Ende 2020 vorgestellten JIM-Studie stieg allein die tägliche Internetnutzungsdauer der 12- bis 19-Jährigen nach eigener Einschätzung von 205 Minuten 2019 auf 258 Minuten in 2020. Weniger Bewegung bei höherem Medienkonsum – das sei "ein gefährlicher Cocktail", warnt Granacher.
Experte Pennig sagt, ein Minus an Bewegung in dieser lebensprägenden Entwicklungsphase habe Auswirkungen auf das gesamte Leben. Zum einen mieden Kinder, die etwa wegen mehr Gewicht und schlechter Motorik beim Spiel mit Gleichaltrigen häufiger verlören, das Toben und Spielen oft ganz. Zum anderen sei es so, dass sich das Bewegungsverhalten in der Kindheit verfestige. Aus inaktiven Kindern werden mit großer Wahrscheinlichkeit inaktive Erwachsene.
Wichtig ist den Experten zufolge nun, den Verlust an Koordination, Kraft und Ausdauer aufzuholen. Dafür müssten an den Schulen gezielte Förderangebote geschaffen werden, so Granacher. "Sonst droht aus der Covid-19-Pandemie eine körperliche Inaktivitätspandemie mit allen negativen gesundheitlichen Konsequenzen zu werden ."
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