Offenburger erinnern sich an die Ferien ihrer Kindheit
Ins Mittelmeer mit Schwimmkrokodil Emil aus der DDR
Der Schriftsteller Karlheinz Kluge erzählt, wie er und seine Familie die neue Mobilität der Wirtschaftswunderjahre mittels VW Käfer genossen.
ske
Fr, 28. Aug 2020, 10:00 Uhr
Offenburg
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Karl Heinz Kluge ist mit seinem jüngeren Bruder Lothar in einer Dreizimmerwohnung in der Moltkestraße aufgewachsen und lebt heute mit seiner aus Schutterwald stammenden Frau Rita in Rammersweier. Das klingt nach tiefer Verwurzelung, und auch der Titel der 2010 erschienenen Ortenau-Anthologie "Den Schwarzwald im Rücken", in der Kluge als Mitherausgeber mit einem Beitrag vertreten ist, legt diesen Gedanken nahe. Aber in seiner Kindheit klingen auch die Themen Flucht, Vertreibung, Neuanfang und Traumaverarbeitung an, waren doch beide Eltern Heimatvertriebene, die Mutter Elli aus Ostpreußen (ehemals Waltersdorf), der Vater Heinrich aus Wüstegiersdorf/Kreis Waldenburg in Schlesien. Der Sprachklang in der Familie war nicht das weiche Badische, das Kluge selber schätzt und pflegt, sondern es klang härter, östlicher im Hause Kluge.
Der Bub lernte früh, bei den Familientreffen bei der Tante oder der Oma Minna in Ebersweier, die Ohren zu spitzen und sich selber zusammenzureimen, was in den Erzählungen von der Flucht der Mutter und ihrer sechs Geschwister sowie deren Mutter bedeutungsvoll ausgelassen wurde. Es ging ums Frische Haff, um dickes Eis, um Fliegerangriffe und Tote. Und wie war das jetzt genau? Und warum stockte der Erzählfluss an gewissen Stellen? Da waren Geschichten zu entdecken, die ihn heute noch beschäftigen.
Mutter Elli war geprägt von diesen Erlebnissen, Vater Heinrich, geschickter Automechaniker, auf seine Art auch: "Er war voller Lebenshunger, feierte gern und gab gern einen aus, kam oft spät nach Hause und war durch seinen Job bei der Firma Linde im Außendienst die Woche über weg von daheim, da musste ich ein bisschen den Mann in der Familie spielen, Verantwortung übernehmen, meine Mutter unterstützen", erzählt Kluge.
Die große Familie des Vaters habe sich eher im Norden und Osten Deutschlands niedergelassen, unter anderem in Leipzig und Berlin, später reiste man mit dem Auto zu Besuch dort hin. Vater Heinrich war nach der Entlassung aus der französischen Gefangenschaft einem Freund nach Appenweier gefolgt, der dort als Lehrer tätig war, so war er ins Badische gekommen. Freund Hermann verfügte über eine Autogrube, in der er Vater Kluge am Wochenende an seinem Auto herum schrauben ließ – beider Kinder spielten während dessen miteinander.
Und die Schule? Das sei in der Familie kein wichtiges Thema gewesen. Kluge besuchte bis zum Abschluss die Georg-Monsch-Volksschule, auf der er, ein guter Schüler, aus Unterforderung mit seinen Freunden unter der Bank Comics fabrizierte. Freunde vom Schiller-Gymnasium liehen ihm Bücher aus. Gespielt wurde auf der Straße, in den Kellern der Nachbarschaft, auf dem Gelände einer alten Kohlenhandlung, mit dem Verpackungsmaterial der ansässigen Ladengeschäfte. Eine selbst konstruierte Seilbahn aus Märklin- Bauteilen über ein Fensterkreuz im vierten Stock bis zur Teppichstange im Hof beförderte den Hamster von Freund Fritz unversehrt von oben nach unten. Ab und an wurde es auch gefährlich, etwa wenn ein Spielkameraden auf den Einfall kam, ein mit Pappe verkleidetes Klettergerüst im Hof anzuzünden. "Wir hatten viel Freiheit, und zum Glück ist nie etwas Schlimmes passiert", resümiert Kluge.
Da Vater Kluge immer ein Auto besaß und unternehmungslustig war, sei die Familie in den Ferien viel unterwegs gewesen. Mit geliehener Ausrüstung – Zelt, Kocher, Luftmatratzen, kratzige Wolldecken – sei man mit dem Käfer an die Côte d’Azur zum Campen gefahren, eine schöne, ruhige Familienzeit, in der am Strand Federball und Fußball gespielt, abends gekocht wurde. Der Vater konnte seine Französischkenntnisse aufbessern, zum Beispiel wenn Sohn Lothar seinen Schnuller vermisste und beim Einkauf in das bislang nicht geläufige Wort "Titinous" vonnöten war. "Kardanwelle oder Getriebe hätte er problemlos auf Französisch sagen können," lacht Kluge.
"Dort an der Côte d’Azur hatte ich die erste Begegnung mit dem Meer, das war ein gewaltiger Eindruck. Wir konnten beide früh schwimmen, mein Begleiter war damals ein Schwimmkrokodil aus DDR-Produktion. Der Haupteindruck war aber, dass die Familie vereint eine ungestörte Zeit zusammen verbringen konnte."
In die Auch in die Schweiz und an den Bodensee reiste man, und öfter auch mal zu den Verwandten in die DDR. " Vater fuhr stundenlang an einem Stück, ohne müde zu werden. In Appenweier begann die Autobahn, da trat er dann kräftig aufs Gas. Und nach ein paar Stunden waren wir in Leipzig oder Berlin."
Nach der Schulzeit und der Lehre als Elektromechaniker bei Telefunken – später Marconi – ging Kluge um dem Wehrdienst zu entgehen nach West-Berlin, holte sein Abitur nach und studierte Germanistik, Philosophie und Geographie, schloss als Magister Artium ab und entschied sich für das Wagnis, als Freier Schriftsteller zu arbeiten.
Mit Ehefrau Rita und Tochter Lisa, die heute verheiratet ist und zwei Söhne hat, wurden Familienferien auf dem Reiterhof oder auf dem Bauernhof gemacht. Eine nächste Reise soll nach Ostpreußen gehen, zum Herkunftsort der vor zwei Jahren verstorbenen Mutter, um einen letzten Gruß von ihr dort hinzubringen, wo sie nach der Flucht sich nicht mehr hin wagte. Das wird eine geschichtenträchtige Reise werden, und vielleicht wird ja auch ein Buch daraus.