Autoimmunerkrankung
In der Kinderrheuma-Therapie werden erhebliche Fortschritte erzielt
Saras Gelenke sind immer wieder dick, steif und tun weh – sie hat Rheuma. Dabei ist sie nicht 70, sondern 12 Jahre alt. Tausende Kinder leiden darunter. Früher landeten viele undiagnostiziert im Rollstuhl. Und heute?
Oliwia Nowakowska
Mi, 11. Okt 2023, 19:54 Uhr
Gesundheit & Ernährung
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"Als Sara ungefähr sechs Monate alt war, ist sie mir beim Wickeln so komisch abgerutscht, und dann hatte sie einen dicken Finger", erinnert sich Saras Mutter Manizha Wodud, die in Berlin wohnt. Das waren damals die ersten Rheuma-Anzeichen, doch der Kinderarzt sei nicht sofort darauf gekommen. "Sechs Wochen lang war ihr Finger dick." Erst Monate und einige Ärzte später bekommt die Familie die Diagnose: Juvenile idiopathische Arthritis (JIA) – eine Form des Kinderrheumas.
Kinderrheuma ist eine chronische Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem greift also den eigenen Körper an. Das verursacht Entzündungen, meistens an Gelenken, die in Schüben auftreten. Daneben können auch Knochen, Muskeln und Augen betroffen sein. Heilbar ist Rheuma nicht, aber mit gezielten Therapien lassen sich die Symptome oftmals gut behandeln.
"Die JIA macht den Löwenanteil unter den rheumatischen Erkrankungen bei Kindern aus", sagt der Kinderrheumatologe Daniel Haselbusch vom Helios-Klinikum in Berlin-Buch vor dem Welt-Rheumatag an diesem Donnerstag.
Zu den klassischen Rheuma-Formen bei Kindern gehören außerdem Kollagenosen (Bindegewebserkrankungen), Vaskulitiden (chronische Gefäßentzündungen) sowie die Gruppe der autoinflammatorischen Erkrankungen (periodische Fiebersyndrome), wie Kirsten Minden von der Charité-Universitätsmedizin in Berlin sagt.
Wie viele Kinder und Jugendliche insgesamt in Deutschland an Rheuma erkrankt sind, lasse sich nur schwer sagen, weil es dafür keine Meldepflicht gebe, sagt Minden. Im Hinblick auf vorliegende Abrechnungsdaten und bevölkerungsbezogene Studien wird hierzulande von etwa 14.000 Betroffenen ausgegangen. "Bei rund 1500 Heranwachsenden wird jedes Jahr eine JIA neu diagnostiziert."
Gelenkrheuma im Kindesalter weise Gemeinsamkeiten, aber auch erhebliche Unterschiede zur Krankheit im Erwachsenenalter auf, sagt Minden. Beispielsweise sei es bei Kindern deutlich schwieriger zu erkennen. "Für keine der Rheumaformen bei Kindern gibt es einen diagnoseweisenden Marker", erklärt die Charité-Ärztin. Symptome seien bei Kindern häufig viel unauffälliger, sagt auch Daniel Haselbusch. Dazu gehören ständige Müdigkeit, die Kinder können außerdem gereizt oder unkonzentriert sein.
Sara hat als Baby auch sehr viel geweint, wie ihre Mutter erzählt. "Immer, als ich ihr Söckchen angezogen habe, hat sie so geschrien. Ich dachte, sie ist einfach ein Schreikind und empfindlich." Manizha Wodud arbeitet in Vollzeit und erzieht Sara und ihre 14-jährige Schwester allein. Sie erinnert sich an schwierige Phasen: "Es gab eine Zeit, da musste die Große ihre Hausaufgaben bei Ärzten im Wartezimmer machen." Einmal habe sich ein Schub stark auf Saras Augen ausgewirkt. "Da saß meine Mutter vor der Kita, weil ich arbeiten war und Sara stündlich Augentropfen bekommen musste."
Rund 15 Prozent der Kinder mit einer JIA entwickeln Haselbusch zufolge eine Augenentzündung. "Die ist insofern tückisch, als dass die nicht von außen sichtbar ist." Die Kinder haben kein gerötetes Auge oder Schmerzen und seien meistens zu jung, um gut zu kommunizieren, dass etwas nicht stimme.
Wie oft Schübe vorkommen, lasse sich nicht richtig beziffern, sagt Haselbusch. "Es gibt Kinder, die zwei Jahre keinen Schub haben, und es gibt Kinder, die haben alle zwei Monate einen. Das sollte nicht sein, weil dann klar ist, dass die Therapie nicht intensiv genug ist."
Die Behandlungsmöglichkeiten sind heutzutage vielfältig. Sie fangen bei entzündungshemmenden, nicht-steroidalen Medikamenten wie Ibuprofen und Naproxen an, erklärt Kinderrheumatologe Haselbusch. "Der zweite Schritt sind in der Regel Steroide." Diese werden meist unter Vollnarkose direkt ins Gelenk gespritzt. Zudem gebe es Medikamente wie die von Sara, die das Immunsystem unterdrücken und die Betroffene mindestens anderthalb Jahre einnehmen müssen. Heutzutage seien ebenso neuartige Medikamente auf dem Markt, die teilweise individuell auf das Kind zugeschnitten und in ihrer Produktion sehr aufwändig seien.
"Ich kenne heute kein Kind mehr, das neu an Rheuma erkrankt und deshalb im Rollstuhl landet. Das war aber in den 1990er-Jahren sicher noch anders, was wir den neuen Therapien zu verdanken haben", stellt Haselbusch fest. Rund 40 Prozent der Kinder könnten als Erwachsene symptomfrei bleiben.
Auch wenn das Rheuma bei Sara immer noch akut ist und die Schübe immer wieder zurückkommen, ist sie aktiv, geht gern zur Schule und zum Cheerleading – hier ist sie mit ihrem Team sehr erfolgreich. "Wir haben uns für die Weltmeisterschaften in Amerika qualifiziert", erzählt sie mit funkelnden Augen. Im Frühjahr 2024 geht es für sie dann nach Orlando im US-Bundesstaat Florida.
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