Heimkommen
"Hoffen auf einen stabilen Arbeitsmarkt"
Verlagsthema Die lahmende Konjunktur hinterlässt auch auf dem Arbeitsmarkt in Südbaden Spuren. Dennoch besteht grundsätzlich weiterhin ein großer Bedarf an Fachkräften.
Fr, 22. Dez 2023, 10:33 Uhr
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Thema: Heimkommen
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Alexander Merk: Die abkühlende Konjunktur hinterlässt Spuren auch auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitgeber melden derzeit weniger offene Stellen und halten sich mit der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze zurück. Arbeitslose mit Wettbewerbsnachteilen finden derzeit nur schwer eine Stelle. Dass die Arbeitslosigkeit kaum oder nur wenig steigt, liegt daran, dass Betriebe trotz Flaute kaum Personal freisetzen. Manche suchen sogar noch Personal, weil nicht nur Nachwuchskräfte fehlen, sondern zunehmend auch noch die Babyboomer ersetzt werden müssen. Für das kommende Jahr rechne ich mit einem weiter stabilen Arbeitsmarkt und, sollte der Konjunkturmotor anlaufen, auch mit weiteren Engpässen bei Arbeitskräften.
BZ: Unabhängig von der Konjunktur – in welchen Bereichen und welchen Berufen ist der Bedarf an Arbeitskräften besonders ausgeprägt?
Merk: Die Wirtschaftsstruktur in der Wirtschaftsregion Freiburg ist breit diversifiziert. Deshalb verteilt sich die Arbeitskräftenachfrage auf viele Berufe. Den größten Stellenbestand registrieren wir im Verkauf, gefolgt von Berufen im Bereich Lager, Erziehung, Krankenpflege, Energietechnik, Arzt- und Praxishilfe, Büro und Sekretariat sowie Altenpflege. Aber auch in großen Teilen des produzierenden Gewerbes und breitgefächert im Handwerk werden Arbeitskräfte gesucht. Über 80 Prozent der Stellenangebote richten sich an Fachkräfte.
BZ: Inwiefern gelingt es der Region Arbeitskräfte aus anderen Gebieten Deutschlands, aus dem Elsass und dem weiteren Ausland anzuziehen?
Merk: Die Beschäftigung in der Wirtschaftsregion Freiburg ist in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich gewachsen. Mit dazu beigetragen haben auch Zuwanderung und grenzüberschreitende Aktivitäten. Die Region gilt in vielerlei Hinsicht als attraktiv mit einem hohen Freizeitwert. Getrübt wird dieses Bild durch hohe Kosten für Wohnraum und vergleichsweise niedrigen Löhnen, zumindest was den Ballungsraum Freiburg im Vergleich zu anderen Großstädten betrifft. Mit den französischen Partnern haben wir uns darauf verständigt, dass wir uns nicht gegenseitig Arbeitskräfte abwerben. Denn anders als vor zehn Jahren, als wir mit der Anwerbung von Fachkräften dort begonnen haben, ist auch das Elsass in Teilen der Wirtschaft von Fachkräfteengpässen betroffen.
BZ: Und wie ist das mit Fachkräften aus anderen Ländern?
Merk: In vielen europäischen Staaten gibt es inzwischen Fachkräfteengpässe. Von dort können wir kaum noch Zuwanderung erwarten. Im Gegenteil: Wir stehen mit diesen Ländern im Wettbewerb um Arbeitskräfte aus Drittstaaten. Um mithalten zu können, sollten wir alle Hemmnisse ausräumen und Bedingungen für eine möglichst friktionsfreie Migration schaffen. Dazu gehört, dass wir Bürokratie abbauen, Vorschriften vereinfachen und Prozesse beschleunigen – Stichwort Arbeitsgenehmigungen beziehungsweise Anerkennung von Bildungsabschlüssen. Wir brauchen eine gut funktionierende Sprachförderung, eine Willkommenskultur und ein ganzheitliches Migrationskonzept, das auch das Leben neben der Arbeit und das Leben der mitgereisten Familienangehörigen berücksichtigt. Wir gewinnen Arbeitskräfte aus dem Ausland, aber noch nicht in dem Maße, wie wir uns das wünschen.
BZ: Wo sehen Sie langfristig noch Potenziale, um das Arbeitskräfteangebot in der Region zu erhöhen?
Merk: Es gibt noch viele Stellschrauben, die nicht ausgeschöpft sind. Junge Menschen durch eine enge Betreuung so auf das Berufsleben vorbereiten, dass Ausbildungs- oder Studienabbrüche möglichst vermieden werden. Wir haben in der stillen Reserve Menschen, die gerne eine Arbeit ausüben würden, das aber wegen persönlicher Bindungen nicht machen können. Ich denke an erziehende oder pflegende Menschen. Und es gibt Beschäftigte, die aus denselben Gründen ihre Arbeitszeit einschränken müssen, aber gerne aufstocken würden. Sicherlich sind die Zwänge und Spielräume in den Unternehmen je nach Branche und anderen Faktoren unterschiedlich. Ich bin aber dennoch überzeugt, dass diesbezüglich mit Ideenreichtum noch mehr als bisher erreicht werden kann.
BZ: Und was kann für bereits Angestellte getan werden?
Merk: Dasselbe gilt für ältere Beschäftigte. Sie länger im Unternehmen zu halten wird tatsächlich immer wichtiger. Etwa mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, Jobsharing, Homeoffice, Weiterbildungsanreizen, altersgerechter Arbeitsergonomie, Mentoring-Programmen und einer Unternehmenskultur, die Vielfalt schätzt, ist noch viel möglich.
BZ: Welchen Stellenwert hat die Weiterbildung in Bezug auf die Personalsituation?
Merk: Vor dem Hintergrund des anstehenden Strukturwandels wird das Thema Weiterbildung immer wichtiger. Noch immer verfügen über 40.000 Beschäftigte im Agenturbezirk über keinen Berufsabschluss. Wenn im vergangenen Jahr lediglich 200 Beschäftigte eine über das Qualifizierungschancengesetz geförderte Weiterbildung begonnen haben, zeigt das: Hier geht noch deutlich mehr. Nicht zu unterschätzen ist das Thema Inklusion. Aus vielen Gesprächen mit Arbeitgebern weiß ich, dass es sich lohnt, in Menschen mit Handicap zu investieren. Sie sind top motiviert und freuen sich, am Arbeitsleben teilhaben zu können.
BZ: Welche Unterstützung bietet, beziehungsweise welche Rolle spielt die Freiburger Arbeitsagentur dabei?
Merk: Wir haben ein umfangreiches Beratungs- und Leistungsportfolio für die Zeit vor und im Erwerbsleben. Jungen Menschen an der Schwelle von der Schule in den Beruf helfen wir bei der Orientierung, der Berufs- und Studienwahl, der Ausbildungsplatzsuche und dabei, Ausbildung und Studium erfolgreich abzuschließen. Erwachsene unterstützen wir bei den Themen: Arbeit suchen, beruflich aufsteigen, Qualifikationen erweitern oder nachholen, Beruf wechseln oder beruflich wieder einsteigen. Arbeitgebende unterstützen wir in Fragen des Arbeitsmarktes und der Berufe, alternativer Besetzungsmöglichkeiten, der Gestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitszeit, der familienorientierten Arbeitswelt, der betrieblichen Aus- und Weiterbildung und der Beschäftigungssicherung.
BZ: Inwieweit wird die Digitalisierung, speziell die Künstliche Intelligenz den Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren verändern?
Merk: Sie wird dafür sorgen, dass verschiedene Arbeitsplätze wegfallen, sich verändern, aber auch neu entstehen. Sie nimmt Einfluss auf Berufsbilder. Routineaufgaben können automatisiert werden. Arbeitsplätze werden im Sinne von Arbeitsschutz aber auch sicherer. Sie macht Arbeitsplätze weniger fehleranfällig und damit produktiver. Sie schafft neue Arbeitsmöglichkeiten im Bereich der Entwicklung, Implementierung und Wartung von KI-Systemen. Sie verlangt von den Menschen am Arbeitsmarkt das ab, was sie selbst vorlebt: ständiges Dazulernen und Fähigkeiten kontinuierlich den sich ändernden Anforderungen anzupassen. Und sie kann ein Stück weit dazu beitragen, Engpässe bei Arbeitskräften zu lindern. Sie wird den Arbeitsmarkt transformieren.
BZ: Aus den Betrieben hört man manchmal, Angehörige der "Generation Z" seien teils recht schwierige Arbeitskräfte beziehungsweise Auszubildende. Haben Sie Tipps für Arbeitgeber, wie sie mit jüngeren Beschäftigten am besten umgehen sollten?
Merk: Sich nicht gleich von ihnen abwenden, wenn sie im ersten Eindruck sich nicht so verhalten, wie man das in der Situation als angemessen empfindet. Sie ist eine andere Generation mit anderen Stärken. Sie ist technikaffin, möchte sich beruflich weiterentwickeln, legt Wert auf Sinnhaftigkeit, schätzt Flexibilität, Vielfalt und Kommunikation auf Augenhöhe. Und sie weiß, dass sie auf dem Arbeitsmarkt eine gute Marktposition hat. Es lohnt sich, sie für das Unternehmen zu gewinnen. Aber dazu muss man sich auf sie einlassen und ihren Bedürfnissen entgegenkommen.
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