Fußball im Nationalsozialismus

Historiker über Fußball in der NS-Zeit: "Die Gleichschaltung des SC Freiburg wurde widerstandslos vollzogen"

Lange galt der SC Freiburg als Club, der auf Distanz zum Hitler-Regime ging und Widerstand leistete. Es ist eine von mehreren Legenden, mit denen der Historiker Robert Neisen im Interview aufräumt.  

Zu den Kommentaren
Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
Im Spiel des SC Freiburg gegen den 1. ...ger Kaufering des KZ-Dachau in Bayern.  | Foto: SC Freiburg e.V.
Im Spiel des SC Freiburg gegen den 1. FC Nürnberg im Winterer-Stadion am Freiburger Flugplatz am 12. Februar 1928 traf Hans Baumgart ins Tor. Anfang der 40er-Jahre war er SS-Kommandant des KZ-Außenlagers Karlshagen I auf der Ostseeinsel Usedom und später noch im Außenlager Kaufering des KZ-Dachau in Bayern. Foto: SC Freiburg e.V.

BZ: Ihr neues Buch"Spielball der Ideologie?" beginnt mit Hans Baumgart, in den 1920er-Jahren ein bekannter SC-Spieler – und Anfang der 40er-Jahre ein KZ-Lagerkommandant, verantwortlich für Hinrichtungen und Misshandlungen. Was wusste man beim Sportclub in der Nachkriegszeit über diesen Mann? Wurde Baumgarts Vergangenheit erst einmal erfolgreich verschleiert?

Ich weiß nicht, ob und inwieweit die Freiburger Öffentlichkeit Bescheid wusste, beim SC Freiburg wussten es auf jeden Fall alle. Baumgart war kein Star im heutigen Sinne, aber als überdurchschnittlicher Stürmer schon eine prominentere Figur im Club. Der Verein hat 1954, als Baumgart in Haft in einem französischen Militärgefängnis in der Eifel war, seinem Vater gegenüber die Hoffnung ausgedrückt, dass er bald gute Nachrichten von seinem Sohn Hans erhalten möge. Und es wussten zum Beispiel auch alle von Erwin Stroh, der von 1938 bis 1941 SC-Vorsitzender und in der NSDAP war und für die Partei logistische Aufträge ausgeführt hatte.

Robert Neisen, 57, studierte Geschichte in Freiburg und Madrid, ist freier Historiker, lebt in Freiburg und leitet das Büro "Zeitlupe" für Unternehmens- und Stadtgeschichte.

BZ: War Stroh nach dem Krieg auch im Gefängnis?

Nein, ihm wurden für die Entnazifizierung entsprechende Persil-Scheine ausgestellt. Aber natürlich wussten sie beim SC auch um seine Rolle in der Partei. Dass er sich zum Beispiel ein jüdisches Grundstück unter den Nagel gerissen hatte, wussten mit Sicherheit auch einige.

"Man hat die NS-Zeit verschwiegen"Robert Neisen

BZ: Als Hans Baumgart Mitte der 50er-Jahre begnadigt und frühzeitig aus der Haft entlassen wurde, hat der Sportclub ihn bald darauf gewürdigt.

Ja, es gab eine spezielle Feier für ihn nach seiner Rückkehr.

Der Historiker Robert Neisen (Foto) un...ner unabhängigen Studie aufgearbeitet.  | Foto: privat
Der Historiker Robert Neisen (Foto) und sein Kollege Andreas Lehmann hat die Geschichte des SC Freiburg in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus im Auftrag des SC Freiburg in einer unabhängigen Studie aufgearbeitet. Foto: privat

BZ: Gab es beim SC denn irgendwann einen Bruch mit solch NS-belasteten Mitgliedern, etwa nach 1968, in den 70er- oder 80er-Jahren?

Die 70er und 80er haben wir im Buch nicht beleuchten können. Wir haben aber die Vereinszeitschriften bis in die späten 50er-Jahre ausgewertet. Und für diese Zeit können wir auf jeden Fall sagen, dass es keinen Bruch gab. Man hat die NS-Zeit verschwiegen. Es gab wie in so vielen anderen Institutionen auch eine kollektive Amnesie im Verein. Im Jahr 2004, anlässlich der 100-Jahr-Feier des SC, gab es einen kritischeren Beitrag von Malte Oberschelp, der mit einigen Legenden aufgeräumt hat, aber auch immer noch die Erzählung weitertradiert hat, der SC wäre als Verein der kleinen Leute und Arbeiter in Opposition zum Regime gestanden.

BZ: Gab es 1933 eine schnelle Gleichschaltung des Vereins oder doch Widerspruch dagegen?

Insgesamt wurde die Gleichschaltung des Sportclub Freiburg genauso reibungslos und widerstandslos vollzogen wie in fast allen anderen bürgerlichen Sportvereinen. Es war tatsächlich entscheidend, ob es sich um einen bürgerlichen oder um einen proletarischen Sportverein handelte. In den bürgerlichen Vereinen gab es eigentlich keine große Opposition gegen die Gleichschaltung. Manchmal konnte man verhindern, dass der Clubvorstand ausgetauscht wurde, obwohl ihm einige Vereinsmitglieder angehörten, die zumindest als dem Regime gegenüber distanziert galten. Meistens hat man ihnen Aufpasser von der NSDAP zur Seite gestellt und irgendein prominentes, lokales Parteimitglied in den Vorstand aufgenommen. Wobei man geschaut hat, dass das nach Möglichkeit jemand ist, der zuvor schon länger im Verein war.

BZ: Wie muss man sich diese Gleichschaltung konkret vorstellen? Wie war das beim Sportclub?

Ende Mai 1933 stand beim SC die turnusmäßige Generalversammlung an, und natürlich war allen Beteiligten klar, dass es zu irgendeiner Art von Umbildung im Vorstand kommen würde. Tatsächlich war es dann so, dass man den ersten Vorsitzenden Hermann Messmer, der nicht in der NSDAP war und als Anthroposoph und Ernster Bibelforscher (heute Zeugen Jehovas, die Red.) für die Partei als unsicherer Kantonist galt, ersetzt hat durch den NSDAP-Stadtrat Ludwig Sieder. Gleichzeitig hat man auch noch andere NSDAP-Mitglieder in den erweiterten Vorstand gewählt. Zugleich aber hat man der alten, vornationalsozialistischen Vereinsführung für die vergangene Arbeit noch einmal das Vertrauen ausgesprochen. Und Hermann Messmer wurde zweiter Vorsitzender, während Präsident Josef Engesser zum Ehrenvorsitzenden ernannt wurde.

"Über einstige jüdische Mitglieder wissen wir nur, dass der ehemalige zweite Vorsitzende in Auschwitz ermordet wurde"Robert Neisen

BZ: Man hat also nach außen einen Abgang mit Würde inszeniert.

Genau. Man wollte so eine Art Kompromisslösung und kein Tabula rasa.

BZ: Dadurch gab es vermutlich auch keinen Aufschrei im Club und in der Bevölkerung.

Nein, einen Aufschrei gab es nicht. Generell war die kollektive Grundstimmung über den SC Freiburg hinaus im Frühjahr 1933 ja tatsächlich auch so, dass man die Zeit der Spaltung und der Polarisierung in der Weimarer Republik hinter sich lassen wollte. Die Hitler’sche Reichsregierung inszenierte sich geschickt als Regierung der nationalen Einheit, in der alle sozialen Schichten, auch alle Konfessionen, vereint sein sollten – außer Juden und Anhänger der Arbeiterparteien.

BZ: Was weiß man über das Schicksal jüdischer SC-Mitglieder?

Bedauerlicherweise ist die Quellenlage in dieser Frage sehr schlecht. Es gibt keine Mitgliederkartei mehr, aus der hätte hervorgehen können, wer wann aus dem Verein austreten musste. Wir haben auch auf keinen Schriftwechsel zwischen dem Registergericht am Amtsgericht Freiburg und dem Verein zurückgreifen können zu Satzungsänderungen im Zuge der Gleichschaltung. Aus diesen hätte man rekonstruieren können, wann der sogenannte Arierparagraf beim SC Freiburg eingeführt wurde, der offiziell erst ab April 1940 vorgeschrieben war, als es gar keine Juden mehr in Vereinen gab. Vermutlich wurden alle Unterlagen des Vereins beim Bombenangriff auf Freiburg am 27. November 1944 vernichtet. Wir konnten deshalb auch nicht in Erfahrung bringen, wie viele jüdische Mitglieder es im Frühjahr 1933 beim SC gab. Wir wissen zum Beispiel, dass der ehemalige Jugendleiter Hans Strauß zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied war, aber nicht, ob und wann er den Verein verlassen musste (Strauß starb 1935 eines natürlichen Todes, die Red.). Wir haben zum Beispiel auch die Mannschaftsaufstellungen der Jahre 1933 bis 1935 miteinander verglichen und die Namen rausgeschrieben, die nicht mehr in der Aufstellung aufgeführt waren, und das dann abgeglichen mit den Datenbanken, die es zu verfolgten Jüdinnen und Juden in Freiburg im Stadtarchiv und im NS-Dokumentationszentrum gibt. Aber auch da sind wir auf keine Person gestoßen, die einen jüdischen Hintergrund hatte. So ist das Einzige, das wir noch wissen über einstige jüdische SC-Mitglieder, dass Sigmund Günzburger, der zu Beginn der Weimarer Republik zweiter Vorsitzender war und auch die Geschäftsstelle des SC leitete, in Auschwitz ermordet wurde.

"Tendenzen zur Professionalisierung im Fußball hat man als Ausdruck der 'Ich-Sucht' gebrandmarkt"Robert Neisen

BZ: Inwiefern spiegelten sich denn NS-Ideologie, -Sprache und -Politik im Verein wider?

Zur Zeit der Weimarer Republik finden sich in vielen Artikeln und Beiträgen in der Vereinszeitschrift "Rundschau" ideologische Bausteine mit Nähe zu NS-Gedankengut, etwa was die Erziehung der Jugend zur Wehrhaftigkeit mittels des Sports betrifft. Beim Fußballspielen erlerne man Wendigkeit, schnelle Reaktionen und so weiter – so wie auf dem Schlachtfeld, hieß es. Und es findet sich viel Kritik an der Moderne, was zum Beispiel den angeblichen Individualismus und Hedonismus jener Zeit betrifft. Leute, die in Berlin und anderen Großstädten in Tanzcafés oder in Kneipen gingen und einen ungesunden Lebenswandel führten, das wurde als dekadent verunglimpft und dem Sport gegenübergestellt, der die Jugendlichen körperlich ertüchtigte und zu sichtlichen, tugendhaften Menschen machte. Es gab auch Kritik an der Weimarer Demokratie, an der wirtschaftlichen und sozialen Aufspaltung in verschiedene Parteien und Interessensgruppen, die nicht im Stande gewesen seien, Kompromisse zu finden, dem hat man das Ideal der "Volksgemeinschaft" gegenübergestellt. Die Gemeinschaft innerhalb des SC, die man als "SC-Familie" verklärt hat, in der verschiedene soziale Schichten und Konfessionen am gleichen Strang ziehen, wurde in diesem Zusammenhang als positives Beispiel genannt. Man hat beim SC, der damals ja nur die Nummer zwei in Südbaden hinter dem FFC war, auch die Tendenzen zur Professionalisierung im Fußball verurteilt – dass etwa herausragende Spieler Prämien oder gute Arbeitsplätze bekamen, um sie an sich zu binden. Das hat man als Ausdruck eines Materialismus und der "Ich-Sucht" in der liberalen Demokratie gebrandmarkt. Man bedauerte, dass der Fußball seine angebliche ursprüngliche Tugendhaftigkeit und seinen Idealismus verloren habe. Das alles weist eben erhebliche Schnittmengen mit der NS-Ideologie auf, und deshalb war 1933 in gedanklicher Hinsicht gar keine so große Zäsur. Vielmehr hat man von Seiten des SC Freiburg wie alle bürgerlichen Fußballvereine gehofft, dass der Sport durch die Nationalsozialisten aufgewertet werden würde. Es finden sich in den Artikeln der "Rundschau" in der NS-Zeit viele Ergebenheitsadressen an das neue Regime.

SC-Mitglied Wilhelm Knobloch (Mitte), ... Mitglied bis zu seinem Tod 1991 treu.  | Foto: Privat/Markus Knobloch
SC-Mitglied Wilhelm Knobloch (Mitte), 1908 geboren, war Kommunist und leistete mutig Widerstand gegen das NS-Regime. Nach dem Krieg war er Eisenbahngewerkschafter, dabei entstand Ende der 50er dieses Foto. Dem Sportclub Freiburg blieb er als Mitglied bis zu seinem Tod 1991 treu. Foto: Privat/Markus Knobloch

BZ: Gab es denn auch Kritik oder politischen Widerstand am NS-Regime aus SC-Kreisen?

Wir wissen von Menschen, die in Opposition zum Regime waren, aber nach wie vor im Verein geduldet wurden. Ein Beispiel dafür war Hubert Pfaff, ein überzeugter Anhänger des katholischen Zentrums, der durch eine sehr regime- und Hitler-kritische Äußerung und einer entsprechenden Denunziation verhaftet wurde und zehn Monate ins Gefängnis kam. Er hat nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis nach wie vor im Verein mitgewirkt. Es gab noch weitere SC-Mitglieder in Opposition zum Regime: Julius Ott und Wilhelm Knobloch waren Kommunisten, die daran beteiligt waren, illegale kommunistische Zeitschriften von der Schweiz nach Deutschland zu schmuggeln. Als das aufflog, kam Knobloch relativ glimpflich davon, aber Ott musste länger ins Gefängnis. Wilhelm Knobloch hat auch dem SC-Spieler Alfred "Freddy" Burghardt und dessen Ehefrau, die Jüdin war, geholfen, (1938, Anmerkung der Red.) nach Südafrika auszureisen.

BZ: Gab es denn während des Krieges noch einen Spielbetrieb?

Die meisten Spieler wurden in die Wehrmacht eingezogen. Viele von ihnen haben dann dort, wo sie gedient haben, in eigenen Soldatenmannschaften gespielt. Diese waren teilweise mit sehr guten Spielern besetzt und haben auch in den Ligen mitgespielt und durchaus Erfolge erzielt. Umgekehrt haben beim SC Freiburg Spieler, die aus militärpolitischen Gründen nach Freiburg versetzt worden waren, temporär beim SC gespielt. Es gab deshalb eine extrem hohe Fluktuation in der Mannschaft. Man hat den Spielbetrieb ziemlich lange, bis 1944, aufrechterhalten – das Regime hatte daran großes Interesse, weil der Fußball eine gute Ablenkung bot vom beschwerlichen Kriegsalltag und von den Sorgen um Angehörige an der Front. Es hat den Fußballsport deshalb mit Kräften gefördert, nicht mehr im Sinne einer ideologischen Instrumentalisierung, sondern zur Ablenkung der Massen, ähnlich wie damals die Ufa-Filme.

Robert Neisen, Andreas Lehmann: Spielball der Ideologie? Der SC Freiburg in der Zeit des Nationalsozialismus. Herder-Verlag, Freiburg 2024. 284 Seiten, 25 Euro.

Mehr zum Thema:

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare

Um Artikel auf BZ-Online kommentieren zu können müssen Sie bei "Meine BZ" angemeldet sein.
Beachten Sie bitte unsere Diskussionsregeln, die Netiquette.

Sie haben noch keinen "Meine BZ" Account? Jetzt registrieren


Weitere Artikel